Generalisierte Angststörung - Psychodynamische Therapie

Generalisierte Angststörung - Psychodynamische Therapie

von: Falk Leichsenring, Simone Salzer

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783840923050

Sprache: Deutsch

126 Seiten, Download: 2778 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Generalisierte Angststörung - Psychodynamische Therapie



Liebesverlust, Strafe, dem Über-Ich und vor Kastration. Um mit dieser Angst fertig zu werden, werden im nächsten Schritt Abwehrmechanismen eingesetzt. Diese führen dazu, dass der betreffende Triebimpuls unbewusst und die Angst so reduziert wird.

Je nach Art der eingesetzten Abwehrmechanismen entstehen dabei unterschiedliche Symptome („Triebschicksal“): Bei Isolierung vom Affekt entsteht eine Zwangssymptomatik (Zwangsimpuls), bei Projektion und Verschiebung eine phobische Symptomatik (phobischer Modus nach Mentzos, 1992). Das Symptom wird als Kompromiss verstanden zwischen Triebimpuls und Abwehr: Der Triebimpuls ist im Symptom enthalten, aber so entstellt, dass er keine Angst mehr auslöst. Ein Patient mit wiederkehrenden Zwangsimpulsen, der z. B. die aggressive Phantasie hat, jemandem eine brennende Zigarette ins Gesicht zu drücken, empfindet dabei keine Aggression, weil der zugehörige Affekt „abgetrennt“ ist (Isolierung vom Affekt). Er ist erschreckt über die für ihn als fremd erlebten Phantasien. Andererseits ist er über seine Phantasien immer wieder mit seinen aggressiven Impulsen beschäftigt, die in den aggressiven Phantasien teilweise befriedigt werden. Diese Form der Symptomentstehung, bei der das Symptom als Kompromiss zwischen Triebimpuls und Abwehr verstanden wird, wird als Konflikpathologie (im Unterschied zur Strukturpathologie, s. u.) bezeichnet. In Begriffen des psychoanalytischen Strukturmodells (3-Instanzen-Modell) liegt hier ein Konflikt zwischen Es (sexuelle und/oder aggressive Impulse) auf der einen Seite und Über-Ich (verinnerlichte Normen und Verbote) oder der äußeren Realität auf der anderen Seite zugrunde, zwischen denen das Ich vermittelt. Versagt die Abwehr, weil sie zu schwach ist, die Triebimpulse oder das Über-Ich zu stark sind, so erfolgt ein Angstanfall und das Individuum erlebt Hilflosigkeit. Allerdings wird die Entstehung einer psychischen Symptomatik im Rahmen der psychoanalytischen Theorie nicht allein auf psychische Faktoren reduziert, sondern es wird von einer Wechselwirkung (Freuds „Ergänzungsreihe“) von psychischen und biologischen Faktoren ausgegangen (Luborsky, 1995; Miller et al., 2005) .

In Ergänzung zu den von Freud dargestellten Gefahrensituationen beschrieben Objektbeziehungstheoretiker wie Fairbairn (1952), Melanie Klein (1952/ 1946) und Kernberg (1983) später weitere prototypische Formen der Angst wie z. B. Vernichtungangst, Verfolgungsangst, Trennungsangst, Verschmelzungsangst und Angst vor Verschlingung. Im Rahmen der Selbstpsychologie beschrieb Kohut (1977) die Angst vor Desintegration des Selbst (Auflösung, Zerfall). Diese Ängste liegen in der Regel eher bei einer Strukturpathologie (s. u.) vor.

Als ein häufiger Konflikt im Rahmen einer Konflikpathologie wird bei Angstpatienten der zwischen Abhängigkeit und Autonomie angesehen, dem Wunsch selbstständig zu sein und der Angst vor damit verbundenen Gefahren. Aus psychodynamischer Sicht handelt es sich dabei um innere Gefahren. Insbe sondere für Patienten mit Phobien nimmt König (1981) an, dass diese Patienten befürchten, die eigenen Impulse nicht steuern zu können. Dies hätte fatale soziale Folgen, nämlich wenn sie den eigenen sexuellen und aggressiven Impulsen unkontrolliert nachgegeben würden. Die Angst vor Kontrollverlust ist insofern berechtigt, als dass diese Personen nicht über ein ausreichend entwickeltes internalisiertes „steuerndes Objekt“ verfügen (König, 1981). Diese Patienten suchen deshalb in der Außenwelt nach Objekten, die sie steuern, führen und leiten. Gleichzeitig besteht auch immer eine Ambivalenz gegenüber dem steuernden Objekt, z. B. zwischen dem Wunsch, geführt zu werden, und dem Widerwillen, wie ein Kind „an die Hand genommen“ zu werden (Konflikt zwischen Abhängigkeit und Autonomie). Für Patienten mit „frei flottierender“, d. h. nicht situationsgebundener Angst (v. a. Patienten mit Panikstörung) sieht Mentzos (1992) eine mangelnde Selbstund Objektkonstanz und die damit einhergehende Angst vor Selbstverlust als zentral an. Mit mangelnder Selbstund Objektkonstanz (vgl. Hartmanns Aufsatz „The mutual influences in the development of ego and id“, 1964) ist gemeint, dass die Patienten keine dauerhaften Vorstellungen von sich selbst und von anderen haben. Dies führt z. B. zu Angstanfällen, wenn ein wichtiges (Sicherheit gebendes) Objekt nicht anwesend ist. Dies erfolgt nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“ analog zu Piagets Konzept der mangelnden Objektpermanenz, aber hier auf der emotionalen Ebene. Ein Objekt, das nicht mehr physisch präsent ist, hat aufgehört zu existieren. Die Angst vor Selbstverlust wird nach Mentzos (1992) verschoben (Abwehrmechanismus) auf die Angst, dass lebenswichtige körperliche Funktionen (z. B. des Herzens) ausfallen und der Patient sterben müsse. Diese Angst ist konkreter und damit für den Patienten besser zu verstehen als die eigentliche Angst vor Selbstverlust. Hierin besteht die Funktion der Symptomatik, es handelt sich also um einen primären Krankheitsgewinn im Sinne einer Abwehr. Auslösende Situationen für die Angstsymptomatik sind häufig Trennungserlebnisse. Hierbei geht es um Trennungen von Objekten, die steuern und/oder Sicherheit geben (König, 1981; Mentzos, 1992). Bei depressiven Störungen seien dagegen Trennungen von Objekten symptomauslösend, wenn diese Objekte Liebe und Anerkennung (Selbstwert) statt Sicherheit geben (Mentzos, 1992). Trennungsangst hat aber oft bei Angstpatienten noch einen anderen Hintergrund (z. B. Milrod et al., 1997): Angstpatienten befürchten häufig, dass sie das zentrale Objekt zerstören, wenn sie sich trennen und selbstständig werden (Loslösung und Individuation). Für viele Angstpatienten stellen Selbst und Objekt eine symbiotische Einheit dar. Löst sich der Patient ab, werden diese Einheit und das Objekt in seinem Erleben zerstört. So befürchtete etwa eine Patientin mit einer Panikstörung, dass es ihre Mutter, zu der sie eine äußerst problematische und ambivalente Beziehung hatte, nicht überleben würde, wenn sie (die Patientin) ihre eigenen Wege gehen würde. Wünsche nach Loslösung sind daher bei Angstpatienten oft mit Schuldgefühlen verbunden. Die Mutter der genannten Patientin erkrankte an Krebs und vermittelte der Patientin explizit, dass sie an der Erkrankung schuld sei, da sie immer „so böse“ zu ihr gewesen sei. Aggressive Impulse, zu denen auch die Wünsche nach Loslösung gehören („böse sein“), waren daher mit der Angst verbunden, der Mutter etwas ganz Schlimmes anzutun sowie mit entsprechenden Schuldgefühlen. Der Grundkonflikt zwischen Abhängigkeit und Autonomie spielt bei vielen Patienten mit einer Panikstörung eine große Rolle, ist aber auch bedeutsam für alle anderen Angststörungen und damit eben auch für die Generalisierte Angststörung. Einund derselbe Konflikt kann (phänomenologisch) sehr unterschiedlichen Störungsbildern zugrunde liegen und ist daher nicht auf ein Störungsbild beschränkt.

Bei der Angst vor Trennung setzt die Bindungstheorie (Bowlby, 1975) an. Bowlby betonte die Bedeutung unsicherer Bindung v.a. bei Patienten mit Agoraphobie. Bowlby bezeichnet die Agoraphobie als „Pseudophobie“, da ihr nicht die Angst vor Triebimpulsen zugrunde liegen würde, sondern die Angst davor, allein und schutzlos zu sein. Patienten mit Agoraphobie seien daher ständig auf der Suche nach Sicherheit gebenden Objekten. Aber auch für andere Angsstörungen wird heute eine unsichere Bindung angenommen, z. B. für Patienten mit einer Generalisierten Angststörung (Crits-Christoph, Wolf-Palacio, Ficher & Rudick, 1995) oder Patienten mit einer Sozialen Phobie (z. B. Eng et al., 2006). Eine sichere Bindung geht aus psychoanalytischer Sicht mit gut integrierten und stabilen verinnerlichten Selbstund Objektrepräsentanzen einher (Selbstund Objektkonstanz, vgl. z.B. Arbeitskreis OPD, 2001, 2009) . Bei den in Zusammenhang mit der Objektbeziehungstheorie, der Selbstpsychologie und der Bindungstheorie beschriebenen Ängsten handelt es sich in der Regel nicht um Angst im Sinne des oben beschriebenen Konfliktmodells, sondern um eine als Strukturpathologie bezeichnete Störung. Ihr liegt ein Defizit (kein Konflikt) zugrunde, d. h. bestimmte psychische Funktionen (Ich-Funktionen) oder Strukturen (Arbeitskreis OPD, 2001, 2009) sind nicht ausreichend entwickelt. Um spezifische strukturelle Defizite handelt es sich z.B. bei dem oben beschriebenen Mangel an einem „steuernden inneren“ Objekt (König, 1981). Auch bei der von Mentzos (1992) beschriebenen mangelhaften Selbstund Objektkonstanz handelt es sich um eine – allerdings grundlegendere – Strukturpathologie (Arbeitskreis OPD, 2001, 2009; Rudolf, 2004).

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