Rechenschwäche - Grundlagen, Diagnostik und Förderung

Rechenschwäche - Grundlagen, Diagnostik und Förderung

von: Katharina Lambert

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783840926204

Sprache: Deutsch

291 Seiten, Download: 2918 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Rechenschwäche - Grundlagen, Diagnostik und Förderung



1 Die Entwicklung mathematischer Kompetenzen (S. 13-14)

Wenn Kinder beginnen in der Schule aufzufallen, weil sie in Mathematik nicht nur schlecht mitkommen, sondern ein grundlegendes Verständnis in diesem Fach vermissen lassen, dann ist diesem Nicht-Verstehen meist eine ganze Reihe von Fehlverläufen an unterschiedlichsten Stellen vorausgegangen. Denn die Entwicklung von mathematischem Verständnis beginnt nicht erst mit dem Eintritt in die Schule. In den letzten Jahren rückte insbesondere die mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzentwicklung von Kindergartenkindern in den öffentlichen und wissenschaftlichen Fokus; in diesem Alter werden erste Grundlagen für das systematische Erlernen mathematischer Konzepte gelegt. Doch auch ohne formale Unterweisung verfügen Kinder bereits im Kindergarten und sogar in der Krippe über ein basales Verständnis von Mengen und Zahlbeziehungen. Wie sich dieses Verständnis entwickelt und wann Kinder im Durchschnitt welche Kompetenzen erwerben, stellt eine wesentliche Grundlage bei der Untersuchung und Einordnung der Rechenschwäche dar. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob rechenschwache Kinder „lediglich“ eine Entwicklungsverzögerung aufweisen – ob sie also Kompetenzen in einer ähnlichen Reihenfolge und einer ähnlichen Weise erwerben wie andere Kinder, nur eben deutlich langsamer – oder ob bei diesen Kindern ein grundlegendes Defizit in der Verarbeitung von mathematisch-numerischen Inhalten besteht. Sie würden dann nicht nur mehr Zeit, sondern eine gezieltere oder auch grundlegend andere Art der Unterweisung benötigen. Nur wenn man versteht, wie und wann Kinder bestimmte Fähigkeiten normalerweise erwerben, ist ein frühzeitiges Erkennen und Fördern von Kindern möglich, denen bestimmte Entwicklungsschritte nicht ausreichend gelingen.

Auch wenn das Feld der Mathematik umfassend und komplex ist und aus so vielen unterschiedlichen Teilbereichen besteht, dass es „die eine Entwicklung“ nicht gibt, soll im Folgenden ein kurzer Überblick darüber gegeben werden, wie und wann Kinder bestimmte mathematische Grundfertigkeiten erwerben. Dabei wird jeweils kurz darauf Bezug genommen, an welchen Stellen es zu Schwierigkeiten kommen kann. Darüber hinaus sollen die derzeit gängigsten Theorien und Modelle des Zahlbegriffs sowie der Entwicklung mathematischer Kompetenzen dargestellt werden, die auch im Bereich der Erforschung der Rechenschwäche eine zentrale Rolle spielen.

1.1 Präverbales Verständnis von Mengen und ihre Beziehungen

1.1.1 Tierisches Zahlverständnis

Vorläufer der menschlichen Fähigkeit zur Manipulation von Zahlen und diskreten Mengen finden sich auch im Tierreich. Aus Befunden zum Verständnis von Mengen und Zahlen bei Tieren wird häufig eine biologische Basis von mathematischen Fähigkeiten abgeleitet. In einer ganzen Reihe von Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Rhesusaffen Mengen relativ exakt unterscheiden können. Dabei entscheiden sie nicht nur auf Basis von „mehr“ oder „weniger“. Sie zeigen diese Fähigkeit auch bei unterschiedlicher Darbietungsform, also bei angezeigten Objekten, Tönen oder Lichtsignalen; zudem sind sie in der Lage, von einer Modalität auf die andere zu generalisieren. Rhesusaffen können sogar Objekte auf einem Touchscreen in aufsteigender Reihenfolge korrekt anordnen. Allerdings nimmt die Genauigkeit bei Aufgaben dieser Art mit ansteigender Menge zunehmend ab.

Platt und Johnson (1971) trainierten Ratten darauf, einen Hebel 4-, 8-, 16- oder 24-Mal zu drücken. Es ergab sich eine Normalverteilung von Hebeldrücken um diese Mengen. Dabei nahm die Varianz bei steigender Menge deutlich zu; die Ratten waren also nicht in der Lage, die jeweilige Anzahl abzuzählen, vielmehr schienen sie eine unpräzise Repräsentation von Numerositäten zu besitzen. Bei erwachsenen Menschen zeigt sich übrigens ein ähnliches Muster von Hebeldrücken bei ansteigender Zahl, was darauf hindeutet, dass Menschen und Affen eine ähnliche mentale Repräsentation von Zahlen besitzen (Whalen, Gallistel & Gelman, 1999).

Rhesusaffen scheinen darüber hinaus in der Lage zu sein, arabische Zahlen zu erlernen (Washburn & Rumbaugh, 1991). In einem Experiment sollten sie hierfür Zahlen einer bestimmten Menge zuordnen. Außerdem konnten in Experimenten ähnlich der von Wynn (1992a) mit Säuglingen durchgeführten Versuche (siehe dazu im nachfolgenden Abschnitt), frei lebende Rhesusaffen bei der Rechnung 1 + 1 ein nicht mögliches Ergebnis erkennen (Hauser, Carey & Hauser, 2000; Sulkowski & Hauser, 2000).

Vorläuferfähigkeiten des mathematischen Verständnisses scheinen somit nicht zwangsläufig sprachliche Fähigkeiten vorauszusetzen. Diese Vorläuferfähigkeiten zu spezifizieren und weiterzuentwickeln, bedarf jedoch einer kulturellen Schulung und dafür ist Sprache eine notwendige Bedingung (vgl. Landerl & Kaufmann, 2008).

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