Die eigene Haut retten - Hilfe bei Skin-Picking

Die eigene Haut retten - Hilfe bei Skin-Picking

von: Katharina Vollmeyer, Susanne Fricke

BALANCE buch + medien verlag, 2012

ISBN: 9783867397513

Sprache: Deutsch

140 Seiten, Download: 395 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Die eigene Haut retten - Hilfe bei Skin-Picking



Skin Picking – was ist das?


Von Skin Picking betroffene Personen berühren, reiben, kratzen oder quetschen Hautstellen. Sie folgen dabei einem starken inneren Drang, dem sie kaum Widerstand entgegensetzen können. Das Bearbeiten der Haut führt in der Regel zu beachtlichen Gewebeschäden und Schmerzen sowie zu großem Schamgefühl und starker Selbstabwertung. Darüber hinaus bedeutet die Erkrankung meist eine starke Beeinträchtigung im beruflichen und privaten Alltag.

In diesem Kapitel wollen wir Sie erst einmal damit vertraut machen, was genau unter der Erkrankung Skin Picking zu verstehen ist. Wir nennen Ihnen dazu zunächst ein paar Zahlen, beschreiben die Erkrankung näher und erläutern, welche negativen Folgen Skin Picking mit sich bringt. Des Weiteren behandeln wir die diagnostische Einordnung von Skin Picking, die Abgrenzung von alltäglichen Gewohnheiten und von ähnlichen Erkrankungen. Am Schluss fassen wir noch einmal das Wichtigste zusammen.

Zunächst ein paar Zahlen


Skin Picking kommt häufiger vor, als man denkt. Trotzdem ist die Erkrankung bisher weitgehend unbekannt. Statistiken, empirische Daten und Zahlen sind daher noch recht rar und die folgenden Angaben zur Häufigkeit nur als ungefähre Schätzungen zu verstehen. Außerdem liegen noch keine einheitlichen Kriterien vor, um genau feststellen zu können, wann jemand unter Skin Picking leidet und wann nicht. Dies führt dazu, dass viele Forscher eigene Definitionen für ihre Untersuchungen entwickeln, die sich zum Teil unterscheiden, was sich wiederum auf die Vergleichbarkeit der Zahlen auswirkt. Erst wenn es eine einheitliche Definition gibt (zur diagnostischen Einordnung siehe S. 37), sind zuverlässigere Daten zu erwarten. Trotz dieser Einschränkungen liefern auch die vorläufigen Daten Hinweise, wie häufig Skin Picking ist.

Bei einer telefonischen Umfrage, die Nancy KEUTHEN mit ihrer Forschergruppe (2010) durchführte, gaben 1,4 % der über 2.500 befragten erwachsenen Amerikaner an, dass sie übermäßig ihre Haut bearbeiten und deswegen aktuell sehr belastet oder in wichtigen Lebensbereichen beeinträchtigt sind. 10 % (= 251 der Befragten) sagten, dass sie zumindest einmal in ihrem Leben so stark ihre Haut bearbeitet hatten, dass Hautverletzungen entstanden waren. Von diesen 251 Personen wiederum gaben 12 % an, dass sie dadurch sehr belastet waren. Knapp 5 % äußerten sogar, dass sie deswegen wichtige Aufgaben nicht wahrnehmen konnten. HAYES und Mitarbeiter (2009) fanden in ihrer Untersuchung ähnlich hohe Zahlen. Hier litten ca. 5 % (= 19 von 354 befragten Amerikanern) unter Skin Picking.

Neben diesen beiden Untersuchungen an US-Bürgern aus der Normalbevölkerung gibt es weitere Untersuchungen, in denen spezielle Gruppen befragt wurden, beispielsweise Psychologiestudenten: 5 % aller deutschen Psychologiestudenten sind von behandlungsbedürftigem Skin Picking betroffen, wie Antje Bohne und ihre Kollegen herausfanden (2002). Ähnlich sind die Ergebnisse für amerikanische Psychologiestudenten, nämlich 4 % Betroffene (KEUTHEN und andere 2000). Außerdem sollen 2 % aller Hautarztpatienten unter Dermatillomanie leiden, wie GRIESEMER bereits 1978 feststellte.

Skin Picking tritt auch in Kombination mit anderen psychiatrischen Erkrankungen auf: 8 % aller erwachsenen Zwangskranken und 13 % aller zwangskranken Kinder und Jugendlichen leiden gleichzeitig an Skin Picking (GRANT und andere 2006 und 2010). Besonders betroffen sind Menschen mit einer körperdysmorphen Störung. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, bei der sich Betroffene sehr stark mit einem (scheinbaren) äußerlichen Makel beschäftigen, der für Außenstehende gar nicht oder kaum erkennbar ist (siehe Abgrenzung von ähnlichen Erkrankungen). Ungefähr ein Drittel dieser Menschen sind gleichzeitig an Skin Picking erkrankt (GRANT, MENARD & PHILLIPS 2006).

Dass Skin Picking gar nicht so selten ist, spiegelt sich mittlerweile sehr deutlich im Internet wider. Es gibt etliche Plattformen zum Thema; die entsprechenden Links finden Sie im Kapitel Adressen und Literatur. Sie bieten Betroffenen die Möglichkeit zum Austausch von Erfahrungen und Hilfestellungen, und sie sind sehr gut besucht. Allein die deutsche Yahoo!-Gruppe zu Skin Picking zählt über 1.300 Mitglieder.

Unter den Betroffenen überwiegen klar die Frauen. Je nach Untersuchung beträgt der Frauenanteil 60 bis 90 %. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Männeranteil unterschätzt wird, da Männer im Allgemeinen seltener psychologische Hilfe in Anspruch nehmen als Frauen.

Die Erkrankung kann zu jeder Zeit auftreten, entwickelt sich jedoch besonders häufig in der späten Kindheit oder frühen Jugend, wie mehrere Untersuchungen belegen (z. B. FLESSNER & WOODS 2006 sowie WILHELM und andere 1999). Nicht selten besteht am Anfang ein Zusammenhang mit Akne. Neben den seit Kindheit und Jugend Betroffenen gibt es eine zweite Gruppe, bei denen behandlungsbedürftiges Skin Picking zwischen 30 und 45 Jahren beginnt (GRANT & ODLAUG 2010).

Die Erkrankung ist nicht immer gleich präsent. Viele Betroffene berichten von guten und von schlechten Zeiten mit schwächerem und stärkerem Skin Picking. Manche erleben auch symptomfreie Zeiträume, wenn es ihnen richtig gut geht. Wird Skin Picking nicht behandelt, so besteht das Risiko, dass die Erkrankung chronisch wird. Zumindest dauert es oft viele Jahre, bis sich jemand aufgrund von Skin Picking in psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung begibt, und nur schätzungsweise knapp die Hälfte der Betroffenen nimmt überhaupt eine solche Behandlung in Anspruch. Grund hierfür ist häufig, dass sie sich schämen oder nicht wissen, dass die Erkrankung behandelt werden kann. Fachleute wiederum fragen oft nicht nach, ob jemand unter Skin Picking leidet, weil sie die Erkrankung einfach nicht kennen.

Beschreibung der Erkrankung


Skin Picking ist ein sehr vielgestaltiges Krankheitsbild: Die Art und Weise, wie die Haut bearbeitet wird, die darum herum stattfindenden Rituale und Verhaltensweisen, die Auslöser im Vorfeld und die Folgen können von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Wir möchten Ihnen daher im Folgenden einen Eindruck von der Erkrankung und ihren vielfältigen Erscheinungsformen geben.

STEFANIE* »Ich bin in der Regel eine Stunde am Tag damit beschäftigt, meine Haut zu zerstören. Am meisten bearbeite ich mein Gesicht, ein wenig die rechte und linke Halspartie, den Nacken, das Dekolleté, meinen Rücken, die Oberarme und meinen Po. Manchmal die Kopfhaut. Im Gesicht knibbel ich mit beiden Händen vor dem Spiegel. Die anderen Stellen bearbeite ich in der Regel mit einer Hand, wenn ich z. B. am Schreibtisch oder auf der Couch sitze. Das beginnt morgens im Bett, da sucht meine Hand schon nach Stellen, wo eine kleine Kruste abgezogen werden kann. Bin ich dann im Bad, kontrolliere ich mein Gesicht und finde meist auch ein paar Stellen, an denen ich mit beiden Händen herumdrücke. Während der Arbeit bin ich dann an der einen oder anderen Stelle noch mal dran. In der Mittagspause auch ein wenig. Dann sitze ich z. B. am Computer und kratze an meinem Rücken oder an den Oberarmen. Abends ist es am schlimmsten, weil ich dann nicht mehr aus dem Haus muss und ungeschminkt bleiben kann. Ich knibbele, drücke und ziehe kleine Hautfetzen ab. Vor dem Spiegel vergesse ich völlig die Zeit und bearbeite am Ende wieder die Hautstellen, mit denen ich angefangen habe.«

Viele Menschen, die nur gelegentlich an ihrer Haut »herumpulen«, können sich gar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, für die dieses »Herumpulen« keineswegs eine harmlose Angewohnheit, sondern ein großes Problem ist. Die Erkrankung Skin Picking ist mit alltäglichem Knibbeln und Kratzen nicht zu vergleichen: Sie nimmt sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch, sie ist für Betroffene sehr belastend und führt oft zu starken Beeinträchtigungen im Alltag.

Betroffene knibbeln und pulen, kratzen, reiben, drücken oder quetschen ihre Haut. Sie folgen einem unwiderstehlichen Drang, dem sie kaum Widerstand entgegensetzen können. Dieser Drang ist ein wichtiges Merkmal der Erkrankung, er ist gewissermaßen untrennbar mit der Erkrankung verknüpft. Es ist, als ob das Denken aussetzt: Die Betroffenen schalten ab und geben sich völlig dem Bearbeiten der Haut hin. Warnende und rationale Gedanken sind in diesem Moment weitgehend machtlos, Gedanken an die negativen Konsequenzen existieren entweder nicht oder werden beiseitegeschoben und ignoriert. Erst wenn der ekstatische Schub nachlässt, findet eine Rückkehr in die Realität statt und auf das Getane wird meist mit Reue und Schuldgefühlen zurückgeblickt.

Bei den bearbeiteten Hautstellen handelt es sich vorwiegend um Hautunreinheiten wie Pickel oder Mitesser. Es können aber auch Insektenstiche, Entzündungen, Wunden, Narben oder Muttermale sein. Teilweise wird auch gesunde Haut bearbeitet. In der Regel ist nicht nur eine Hautpartie betroffen, sondern es gibt mehrere Bereiche, die bearbeitet werden. Am häufigsten betroffen ist das Gesicht, weil es leicht zu erreichen ist. Im Prinzip können aber alle Bereiche der Haut betroffen sein. Meist werden die Fingernägel oder Fingerspitzen verwendet, es werden aber auch Hilfsmittel wie Pinzetten, Nadeln oder andere spitze...

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