Erste Hilfe im Sachunterricht (E-Book)

Erste Hilfe im Sachunterricht (E-Book)

von: Julia Menger, Michael Denninghoff, Thomas Menger

hep verlag, 2023

ISBN: 9783035522259

Sprache: Deutsch

112 Seiten, Download: 5909 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Erste Hilfe im Sachunterricht (E-Book)



3.2 Zentrale Prinzipien des Sachunterrichts als Basis der Lernangebote


Die Frage nach Voraussetzungen und Kriterien für lernwirksamen Unterricht steht seit einigen Jahren nicht nur im Fokus von Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken, sondern ist auch für viele Lehrkräfte Teil ihrer schulischen Praxis. Da die domänenspezifische Forschung zur Unterrichtsqualität von Sachunterricht noch nicht genug Erkenntnisse hervorgebracht hat, können für die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien noch keine konsensfähigen, fachspezifischen Kriterien als Maßstab zugrunde gelegt werden. Um die Qualität des Materialangebots trotzdem sichern zu können, wurden sachunterrichtsdidaktische Einführungsliteratur (Hartinger & Lange-Schubert, 2019a; Kahlert et al., 2022; Kaiser, 2019) und Überzeugungen von Expertinnen und Experten aus Schulpraxis und Sachunterrichtsdidaktik (Billion-Kramer, 2021) mit Blick auf Prinzipien wirksamen Sachunterrichts ausgewertet. Die Ergebnisse wurden mit fächerübergreifenden Qualitätskriterien (Helmke, 2021, S. 168ff.) abgeglichen und mündeten so in eine Auswahl an Prinzipien (siehe Abbildung 10), die losgelöst von individuellen oder schulspezifischen Voraussetzungen als Grundsätze des Sachunterrichts gesehen werden können. Sie konkretisieren den allgemeinen Bildungsanspruch des Faches (Abschnitt 2.1) sowie die Trias aus Kind, Sache und Welt (Abschnitt 2.2). Aus dieser Zusammenschau entsteht eine Leitlinie für die Materialentwicklung, die zum einen das Unterrichtsangebot fachdidaktisch abstützt und zum anderen die Ansprüche an modernen Sachunterricht erfüllt. Da sich die einzelnen Prinzipien aufeinander beziehen, sich gegenseitig bedingen und voneinander abhängig sind, werden sie nicht einzeln, sondern als komplexes Geflecht im Kontext der Unterrichtsentwicklung zum Thema Erste Hilfe dargestellt.

Abb. 10:

Prinzipien im Sachunterricht (Piktogramme: Iris Weigt)

Sachunterrichtliche Lern- und Verstehensprozesse sollen Kinder dazu befähigen, ihre Lebenswelt zu hinterfragen, zu verstehen und zu erschließen, um sich darin orientieren zu können, in ihr verantwortungsvoll zu handeln und sie dadurch mitzugestalten (GDSU, 2013, S. 9). Die Lebenswelt der Kinder ist daher zentraler Ausgangspunkt sachunterrichtlichen Lernens. Das ausgesuchte Thema wird gezielt auf Gegenwarts- und antizipierte Zukunftsbedeutung für die Lerngruppe überprüft (Klafki, 2007, S. 270), um sicherzustellen, dass es Kindern in ihrer gegenwärtigen Lebensphase Verstehens-, Urteils- und Handlungsmöglichkeiten eröffnen kann und gleichzeitig Entwicklungspotenzial mit Blick auf ihre Zukunft enthält (Klafki, 2007, S. 273). Mit dem Lebensweltbezug sind die Erfahrungen, Interessen, Haltungen und das Vorwissen zu einem Thema eng verknüpft, denn diese werden durch die objektive, soziale und subjektive Welt stark geprägt. Sachunterricht greift diesen den Kindern eigenen Blick auf die Welt auf, erweitert ihn durch neue Wahrnehmungsmöglichkeiten, bearbeitet ausgewählte Schwerpunkte und eröffnet schließlich durch Interaktion, Kommunikation und Reflexion neue Deutungsmöglichkeiten. Die Vorstellungen der Kinder werden so im Sinne der jeweiligen Fachperspektive ausdifferenziert, erweitert und auf ihre Intersubjektivität überprüft (Künzli David, Gysin & Bertschy, 2017, S. 34). Sachunterricht ist auf diese Weise anschlussfähig, sowohl an die Lernvoraussetzungen der Kinder als auch an die Fachkulturen der verschiedenen Bezugsdisziplinen (Spannungsfeld Kind und Sache). Im Spiralcurriculum zur Ersten Hilfe wird dieser Forderung Rechnung getragen, indem Situationen aus dem Schulalltag gesammelt werden, in denen Erste-Hilfe-Maßnahmen notwendig wurden. Durch ihre Verschriftlichung entstehen anders als bei fiktiven Situationsbeschreibungen Fallvignetten, die genau auf die Schulsituation und die Lerngruppe angepasst sind. Über Jahre hinweg können sie erweitert, systematisiert und im Unterricht in Bezug auf unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte bearbeitet werden. Im Sinne der Anschlussfähigkeit lassen sich erlernte Erste-Hilfe-Maßnahmen auf die eigenen Situationen anwenden (Interventionen), Möglichkeiten der Unfallvermeidung thematisieren (Prävention) und die Gesamtsituation gemeinsam bewerten (Interpretation). Mit zunehmendem Alter können Kinder die Situationen selbst aufschreiben und üben damit die Dokumentation (siehe Abbildung 12). Alternativ ist auch eine Sprachaufnahme in Form eines Interviews möglich, die dann mithilfe eines QR-Codes abrufbar ist (siehe Abbildung 11).

Abb. 11:

Unfallsituation mit Sprachaufnahme und QR-Code

Abb. 12:

Unfallsituation verschriftlicht von einer Schülerin

Wenn die Lebenswelt nicht nur der Ausgangspunkt, sondern auch strukturgebendes Merkmal sachunterrichtlicher Lernprozesse ist, erschließt sich damit unmittelbar die Bedeutung von Vielperspektivität als zentralem Merkmal und Prinzip des Sachunterrichts. Die Lebenswelt begegnet Kindern nicht in einzelfachlich geprägten Dimensionen, sodass sich auch Interessen, Erfahrungen, Fragen und das Vorwissen nicht ausschließlich auf eine Fachdisziplin beziehen. Das betrifft Themen der Ersten Hilfe in besonderer Weise, denn erst durch die Vernetzung verschiedener Perspektiven zusammen mit der Reflexion von Handlungsmöglichkeiten können Situationen bewertet und Konsequenzen abgeleitet werden. Die im Themenfeld angelegte Interdisziplinarität legt nahe, komplexe, übergeordnete Fragen ins Zentrum zu stellen, die durch ihren Lebensweltbezug in Gegenwart und Zukunft für die Lerngruppe bedeutsam werden. Disziplinäre Wissensbestände lassen sich bei der Bearbeitung solcher Fragen aufeinander beziehen und bei Uneinigkeiten gegeneinander abwägen (Künzli David, Gysin & Bertschy, 2017, S. 32f.). Eine Verengung auf einzelne Fachdisziplinen würde dem Themenfeld Erste Hilfe nicht gerecht. Erst durch die vielperspektivische Erschließung können sachlich fundierte Urteilsbildung, eigenverantwortliches Handeln und die Bewertung der eigenen Hilfsfähigkeit mit den Spezifika der Fachdisziplin verknüpft werden. Für die vier Lerneinheiten des Spiralcurriculums wurden in Anlehnung an Bertschy (2021) und Künzli David, Gysin und Bertschy (2017) aus übergeordneten Fragestellungen jeweils Leitideen entwickelt, deren Bearbeitungen sich wie ein roter Faden durch die Einheiten ziehen und damit die Struktur und das Ziel der jeweiligen Einheit vorgeben. Die Leitideen sind so gewählt, dass sie von der Lebenswelt der Kinder ausgehen, unterschiedliche Sichtweisen zulassen, individuelle Lernwege ermöglichen und eine Grundlage für weiterführendes Lernen in der nächsten Lerneinheit bilden. Die unterschiedlichen Sicht- und Bearbeitungsweisen schaffen nicht nur Möglichkeiten einer natürlichen Differenzierung, sondern unterstützen Kinder auch dabei, eine eigene Position zu entwickeln (Bertschy, 2021, S. 153) (Lernen am gemeinsamen Gegenstand, Seitz, 2013). Darüber hinaus eröffnen alle Leitideen eine klare Zielperspektive, die nach einer Umsetzung verlangt. Durch diesen Aufforderungscharakter kann der Lernprozess als sinngebend oder sinnerschließend erlebt werden (Tänzer, 2010, S. 132) (Lernen in bedeutungsvollen Kontexten). Diese projektähnliche Struktur entspricht nicht nur dem Anspruch auf eine vielperspektivische Unterrichtsgestaltung, sondern berücksichtigt auch als weitere Prinzipien die Handlungsorientierung (Gudjons, 2014) und die Förderung von Sachinteresse (Hartinger, 2022).

Abbildung 13 zeigt die Ablaufstruktur, die für alle vier Lerneinheiten die Grundlage bildet. Auch wenn Leitidee und Zielperspektive jeweils an die antizipierte Lebenswelt der Lerngruppe angepasst sind und damit einen für die Kinder bedeutungsvollen Lernkontext bilden sollten, können sie hier nur als Anregung dienen. Es gilt im Einzelnen zu prüfen, ob und wie diese an die Bedürfnisse von Lehrkraft und Lerngruppe angepasst werden müssten. Die Anzahl der Teilfragen wird durch die Komplexität der Leitidee beziehungsweise übergeordneten Leitfrage bestimmt. Je komplexer diese sind, desto mehr Teilfragen sind für eine umfassende Bearbeitung notwendig.

Die Lerneinheit zum Thema Notruf folgt aufgrund ihrer Sonderstellung nicht dieser Struktur. Damit das Absetzen eines Notrufs immer wieder ohne großen Aufwand trainiert werden kann, ist der zeitliche und inhaltliche Umfang dieser Einheit auf das Wesentliche beschränkt. Eine inhaltliche Strukturierung entlang einer Leitidee mit klarer Zielperspektive ist bei einer so kurzen Trainingseinheit weder möglich noch sinnvoll.

Abb. 13:

Struktur der Lerneinheiten

Die übergeordnete Fragestellung kann sich aus vorherigen Lerneinheiten ergeben, aus Gesprächen mit Kindern während des Unterrichts oder auch von der Lehrkraft angeregt werden, zum Beispiel «Wie kann ich kleine Wunden versorgen?». Aus dieser Fragestellung entwickelt sich eine konkrete Leitidee, mit der die Fragestellung beantwortet werden kann. In dem hier gewählten Beispiel könnte es die Idee sein, sich eine eigene Erste-Hilfe-Dose für den Schulranzen oder die Sporttasche zusammenzustellen, die mit allen wichtigen Materialien zur Wundversorgung ausgestattet ist. Welche Wunden es gibt, wie sie versorgt werden und welches Material hierfür notwendig ist, sind Teilfragen, die im gemeinsamen Planungsgespräch entwickelt werden. Darüber hinaus wird der Blick auf Ersthelfende und verletzte Personen gerichtet...

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