Handbuch Hochschullehre Digital - Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre

Handbuch Hochschullehre Digital - Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre

von: Jürgen Handke

Tectum Wissenschaftsverlag, 2015

ISBN: 9783828861947

Sprache: Deutsch

198 Seiten, Download: 6496 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Handbuch Hochschullehre Digital - Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre



II Die klassische Lehre

Um den Einstieg in das digitale Zeitalter auch in der Lehre zu erleichtern, soll in den folgenden Abschnitten zunächst gezeigt werden, nach welchen Schritten eine Lerneinheit auf klassische Art und Weise vorbereitet und gelehrt wird, um anschließend die entsprechenden Digitalisierungsmaßnahmen einzuleiten.

Ein Erfahrungsbericht

Jeder Hochschullehrer hat seine eigene Art und seinen eigenen Stil zu lehren und Inhalte zu vermitteln. Vor dem Hintergrund einer in hohem Maße intransparenten Lehre, ist es daher schwierig allgemeingültige Prinzipien für den Aufbau einer Lerneinheit, möglichst auch noch fächerübergreifend, aus der Beobachtung Einzelner abzuleiten.

Die folgenden Ausführungen basieren daher auf meinen persönlichen Einschätzungen und meiner eigenen Herangehensweise an die Hochschullehre, sind aber verbunden mit der Hoffnung, dass sie auf möglichst viele Szenarien der Hochschullehre übertragbar sind.

II.1Vom Kurs zur Lerneinheit

II.1 bis II.3
Erfahrungen

Wie haben Sie als Lehrender in der Vergangenheit eine Unterrichtseinheit vorbereitet, deren Inhalt nicht direkt mit Ihrer Forschung in Zusammenhang stand, aber Teil einer Lehrveranstaltung war, die Sie – aus welchen Gründen auch immer – übernommen hatten? Spielen wir dieses Szenario aus meiner Sicht mit einem ausgewählten Inhalt meines Faches einmal durch.

In meinem Fach gehört eine Lehrveranstaltung zum Thema „Semantics“ zum Curriculum jedes linguistischen Studienganges und wird in der Regel in der Aufbauphase, d.h. für Studenten im 2. bis 6. Semester angeboten. Eine solche Lehrveranstaltung besteht in einem 15-wöchigen Semester in der Regel aus 15 Sitzungen (eine Auftaktsitzung sowie 14 inhaltliche Sitzungen).

Eine dieser Sitzungen, in der Folge Lerneinheit genannt, ist in einem Semantikkurs gewöhnlich dem Thema „Prädikatenlogik“ (engl. „Predicates“) gewidmet. Dabei handelt es sich um ein unverzichtbares Thema zur Formalisierung von Satzbedeutung.16 Diese Lerneinheit soll uns in der Folge exemplarisch zunächst als Ausgangspunkt für die inhaltliche Umsetzung in einem traditionellen Lehrformat dienen, um später anhand des entwickelten klassischen Gerüsts eine digitale Version dieser Lerneinheit zu produzieren.

Da das Thema „Prädikatenlogik“ allerdings nie Bestandteil meiner eigenen Forschung geschweige denn Teil eines selbst verfassten Lehrbuches war (ich habe wie die meisten meiner Fachkollegen bisher kein entsprechendes Lehrbuch geschrieben), musste ich wie bei nahezu all meinen Kursen und ihren Lerneinheiten auf das Material anderer zurückgreifen. Und das geschah nach einer Reihe von nahezu automatisierten Schritten.

II.1.1 Das inhaltliche Gerüst

Zunächst habe ich eine intensive bibliothekgestützte Recherche vorgenommen, d.h. ich war persönlich in der Bibliothek unterwegs, habe sondiert, gewichtet und mich am Ende für eine kleine Auswahl von Quellen entschieden, auf deren Basis ich die Inhalte der Lerneinheit zusammengestellt habe. Zusätzlich habe ich auf meine eigenen Mitschriften von Lehrveranstaltungen während meines Studiums zurückgegriffen und so ein inhaltliches Gerüst erstellt, das aus den in Tabelle II.1. aufgeführten Inhalten und zentralen Themen bestand.

Tab. II.1: Lernziele und zentrale Themen in der Lerneinheit „Predicates“

Kurs

Semantics

Lerneinheit

Predicates

Zentrale
Themen der
Lerneinheit

The Machinery

Predications and Predicates

Quantifiers

Thematic Roles

Inhalt der
Lerneinheit

This unit introduces a meta-language which defines the meaning of a sentence in terms of predicates, arguments, and quantifiers. Furthermore, it examines the notion of thematic roles, which offer a way to portray the specific roles played by the entities involved in sentences.

Übrigens war eines der typischen Zeichen meiner traditionellen Bibliotheksarbeit ein großes Bücherregal in meinem Büro, auf dem sich für alle sichtbar die Ergebnisse meiner Recherche unter Beachtung der Bücherleihfristen befanden.

II.1.2 Zusammenstellen der Inhalte

Aus den durch die intensive Recherche gewonnenen Informationen habe ich anschließend auf der Basis der von mir als qualitativ hochwertig eingeschätzten Quellen ein stichpunktartiges, meist handschriftliches Skript erstellt, das bis zu Beginn der 1990er Jahre durch Klarsichtfolien, später durch eigens angefertigte PowerPoint-Folien unterstützt wurde. Für diesen traditionellen „Medienmix“ hatte ich die alleinige Deutungshoheit, die Qualitätssicherung erfolgte ausschließlich durch mich. Meine Rolle war somit die des „Remix-Künstlers“ vorhandener Elemente (Muus-Merholz, 2014: 3:50 bis 4:14) und gleichzeitig die des alleinigen Qualitätssicherers.

Zusätzlich habe ich folgende begleitende Printmaterialien für die Kursteilnehmer vorbereitet:

einen detaillierten Semesterplan,

eine detaillierte Literaturliste.

Der Semesterplan enthielt für alle Lerneinheiten des Kurses die zentralen Themen, die Lernziele und die von mir zu Rate gezogenen Literaturangaben. Damit wurde für die Kursteilnehmer nicht nur meine Argumentation nachvollziehbar, sondern sie bekamen auch die Möglichkeit, in manchen Fällen auch die Aufgabe, sich entsprechend vor- bzw. nachzubereiten. Dass sie diese Möglichkeiten nur ansatzweise nutzten, bzw. nur dann wahrnahmen, wenn ‚Druck‘ ausgeübt wurde, ist auch heute ein immer noch zu beobachtendes Phänomen. Abbildung II.2 zeigt einen Ausschnitt aus dem mehrseitigen Semesterplan.

Ergänzt wurde der Semesterplan durch eine detaillierte, ebenfalls mehrseitige Literaturliste, in der nun nicht nur die genauen Angaben (Verlag, Signatur in der Bibliothek, etc.) zu den in den einzelnen Lerneinheiten verwendeten Quellen aufgeführt wurden, sondern auch Tipps zur Priorisierung einzelner Quellen verzeichnet waren.

Abb. II.1: Ausschnitt aus dem Semesterplan der Lehrveranstaltung „Semantics“ im WS 1998/99; hervorgehoben die Lerneinheit „Predicates“

Semesterplan und Literaturliste wurden in der Auftaktsitzung der Lehrveranstaltung an die Teilnehmer als Fotokopien ausgegeben. Zusätzlich standen alle diese Materialien in einem speziellen Bereich der Institutsbibliothek, einem sogenannten „Handapparat“ zusammen mit den wichtigsten Quellen zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung (Abbildung II.2).

Abb. II.2: Der klassische Handapparat in der Fachbibliothek [Q1]

Dass die Präsenzphase allein nicht ausreicht, um die gelehrten Inhalte vollständig zu durchdringen, ist seit langem bekannt und wird schließlich auch durch das ECTS (European Credit Transfer System) anerkannt: Nach diesem im Rahmen des Bologna-Prozesses eingeführten Punktevergabesystem für Lehrveranstaltungen wird ein Leistungspunkt (ECTS) für 25 bis 30 Stunden Arbeitslast vergeben. Da ein Semester in der Regel 15 Wochen dauert und für eine Lehrveranstaltung 15 mal 2 Stunden angesetzt sind, wird ein ECTS für die Anwesenheit in der Präsenzveranstaltung berechnet. Einen weiteren Leistungspunkt erhält man für die Vor- bzw. Nachbereitung der Lehrveranstaltung. Somit gibt es pro Lehrveranstaltung mindestens zwei Leistungspunkte oder in Anlehnung an unsere dritte These auf S. 13 könnte man überspitzt formulieren:

Learning is not just in class!
(Lernen besteht nicht nur aus der Unterrichtsphase)

Wir können somit getrost weiterführende Lehrmaterialien und Lernszenarien definieren, mit bzw. in denen die Inhalte vertieft und eingeübt werden können.

Dazu benötigen wir auch in der klassischen Lehre begleitende Lehr- und Lernmaterialien.

II.2Begleitende Lehr- und Lernmaterialien

Um die Durchdringung der vermittelten Inhalte sicher zu stellen, habe ich zusätzliche Begleitmaterialien entwickelt, die während des Unterrichts verwendet oder zum Vertiefen der Inhalte bereitgestellt wurden. Dabei handelte es sich um

ein „Handout“ mit unterrichtsbegleitenden Fragestellungen;

ein „Worksheet“ als Hausaufgabe;

zusätzliche Texte oder Bildmaterialien.

All diese Begleitmaterialien wurden im Unterricht in Form von Printmaterialien an die Kursteilnehmer verteilt und zusätzlich zum Fotokopieren im kursspezifischen Handapparat (Abbildung II.3) in einem Aktenordner in der Bibliothek bereitgestellt.

II.2.1 Das Handout für den Unterricht

Für jede Lerneinheit gab es ein Arbeitsblatt für die Präsenzphase, das sogenannte „Handout“. Mit Hilfe der darauf enthaltenen Aufgaben, Zitate und Beispiele konnten die themenspezifischen Fragestellungen im Unterricht begleitet und punktuell illustriert werden. Abbildung II.3 zeigt einen Ausschnitt des klassischen „Handouts“ für die Lerneinheit „Predicates“, das in dieser Form mit turnusmäßigen Modifikationen bis zur Jahrtausendwende verwendet wurde.

Predicates

“Predicate logic builds on the investigation of sentence connectives in propositional logic and goes on to investigate the internal structure of sentences, for example the truth-conditional effect of certain words like the English quantifiers ‘all’, ‘some’, ‘one’, etc.”...

Kategorien

Service

Info/Kontakt