Entwicklungspsychologie

Entwicklungspsychologie

von: Georg-Wilhelm Rothgang, Johannes Bach, Franz J. Schermer

Kohlhammer Verlag, 2015

ISBN: 9783170257191

Sprache: Deutsch

228 Seiten, Download: 3678 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Entwicklungspsychologie



2         Entwicklungspsychologie und die Praxis Sozialer Arbeit


 

 

2.1        Gesetzliche Grundlagen der Sozialen Arbeit und Entwicklungspsychologie


Die Wichtigkeit fundierter Kenntnisse über die menschliche Entwicklung für die Praxis Sozialer Arbeit soll exemplarisch aufgezeigt werden anhand einiger Regelungen des KJHG (SGB VIII), wobei die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit und nur insoweit dargestellt werden, als ein expliziter Bezug zum Thema »menschliche Entwicklung« deutlich wird. Wesentliche Aufgaben der Jugendhilfe und damit der Sozialen Arbeit sind in §1 KJHG beschrieben:

§ 1

Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe

(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die Gemeinschaft.

(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung dieses Rechts insbesondere

1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen,

2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen,

3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,

4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

Wenn jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung hat, wird klar, dass die Soziale Arbeit keine »Feuerwehr« sein soll, die nur bei Problemen und Schwierigkeiten von Jugendlichen und ihren Familien aktiv wird, sondern Jugendhilfe muss die gesamte junge Generation einschließlich der Familien im Blick haben. Damit ergeben sich vielfältige Anforderungen an die Soziale Arbeit, die entwicklungspsychologische Kenntnisse nicht nur wünschenswert sondern dringend erforderlich machen.

Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fördern


Nur wenn man über den Ablauf der Entwicklung und die einflussnehmenden Faktoren Bescheid weiß, wird man sinnvoll entscheiden können, ob, wann und auf welche Weise versucht werden soll, auf die Entwicklung fördernd einzuwirken. Entwicklungspsychologisches Wissen kann aber auch dazu beitragen, die Grenzen der Beeinflussbarkeit menschlicher Entwicklung zu erkennen.

Benachteiligungen vermeiden und abbauen


Die Kenntnis »normaler« Entwicklungsverläufe und -bedingungen kann sensibilisieren für Auffälligkeiten und Störungen der Entwicklung oder auch für vorhandene entwicklungshemmende Umweltbedingungen und kann ein frühzeitiges, präventives Eingreifen zumindest ermöglichen. Ob erforderliche Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden, hängt von vielfältigen Faktoren ab, wie zum Beispiel finanziellen und personellen Ressourcen oder auch der Einsicht in die Notwendigkeit bei allen Beteiligten. So wird es wohl häufiger Realität sein, dass erst dann reagiert wird, wenn Auffälligkeiten in der Entwicklung nicht mehr zu übersehen sind.

Partizipation von Kindern und Jugendlichen ermöglichen


Im KJHG wird die Bedeutung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen deutlich herausgehoben. So wird in § 8 des KJHG gefordert, dass Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungstand an allen Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen sind. Aus entwicklungspsychologischer Sicht wird hier eine doppelte und keineswegs einfach zu erfüllende Anforderung gestellt: Zum einen die Feststellung oder auch Diagnose des individuellen Entwicklungsstandes und zum anderen die Ausrichtung des Vorgehens an eben diesem diagnostizierten Entwicklungsstand. Auch im Hinblick auf die Jugendarbeit wird die Bedeutung der Partizipation herausgestellt, indem gefordert wird, dass die Angebote der Jugendarbeit an den Interessen junger Menschen anknüpfen sollen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden sollen (§ 11 KJHG).

Altersgemäße Förderung anbieten


Damit die Angebote der Jugendhilfe die jeweilige Zielgruppe überhaupt erreichen können, müssen sie auf den Entwicklungsstand der Zielgruppe abgestimmt und altersgemäß sein. Ohne eine fundierte Kenntnis des Entwicklungsverlaufs wird dies auch nicht annähernd zu leisten sein.

Breitgefächerte Information und Beratung anbieten


Wenn Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützt werden sollen, wird man dabei auch auf entwicklungspsychologische Erkenntnisse zurückgreifen müssen, um die subjektiven Erfahrungen und Sichtweisen der Eltern zu erweitern und zu ergänzen und ihre Erziehungskompetenz weiterzuentwickeln. Das geforderte Informations- und Beratungsangebot der Jugendhilfe ist aber noch umfassender zu sehen, da ja auch Kinder und Jugendliche das Recht haben, sich in allen Angelegenheiten der Entwicklung und Erziehung an das Jugendamt zu wenden (§ 8 KJHG).

Verweise auf das Thema »menschliche Entwicklung« und die Bedeutung entwicklungspsychologischer Kenntnisse könnte man noch in weiteren Regelungen des KJHG finden. Die bisherigen Ausführungen dürften aber deutlich gemacht haben, dass die Jugendhilfe in vielfacher Weise mit entwicklungspsychologischen Fragestellungen konfrontiert ist. Man könnte diesen Nachweis auch für andere Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit führen, ob es sich nun um die Jugendgerichtshilfe, die Arbeit mit Menschen mit Behinderung, die Erwachsenenbildung oder die Arbeit mit alten Menschen handelt.

2.2        Mögliche Praxisbeiträge der Entwicklungspsychologie


Es gehört zu den Aufgaben von Psychologie und Sozialarbeit/Sozialpädagogik, auf Menschen unterschiedlichen Alters und ihre Lebensbedingungen gestaltend und verändernd einzuwirken, sei es bei der Planung von Interventionen zur Verhinderung von Fehlentwicklungen (Prävention), zur Modifikation fehlgelaufener Entwicklungen (Korrektur) oder zur allgemeinen Förderung der Entwicklung (Optimierung). Hierbei sollte jeweils auf der Grundlage entwicklungspsychologischer Erkenntnisse und unter Rückgriff auf den Wissensbestand anderer Disziplinen (z. B. Soziologie, Pädagogik) entschieden werden, wann (Lebensalter), bei wem (Betroffener und/oder materielle und/oder soziale Umwelt) und wie (Art der Intervention) einzugreifen ist. So kann man in Anlehnung an Montada (1987, 1995c) mehrere denkbare Beiträge der Entwicklungspsychologie zur Praxis der Sozialen Arbeit unterscheiden.

2.2.1      Orientierung über den Lebensverlauf


In der Sozialen Arbeit hat man es häufig mit Altersgruppen zu tun, denen man selbst nicht mehr (Kinder, Jugendliche) oder noch nicht (alte Menschen) angehört. Dennoch würde wohl niemand unterstellen, dass man sich mit fremden, völlig unbekannten Lebensabschnitten beschäftigt. Kann man doch darauf verweisen, dass man selbst ja auch einmal Kind und Jugendlicher war und Kinder und Jugendliche sowie alte Menschen auch aus mehr oder weniger intensiver alltäglicher Beobachtung kennt. Der Wert des eigenen Erlebens, der eigenen Erfahrungen und der eigenen Lebensgeschichte für das praktische Handeln in der Sozialen Arbeit soll keineswegs gering geschätzt werden. Dennoch wird davon auszugehen sein, dass diese eigenen Erfahrungen zwangsläufig subjektiv gefärbt sein werden. Professionelles Handeln erfordert, dass der subjektive Wissensbestand kontinuierlich reflektiert und überprüft wird. Der Wert entwicklungspsychologischer Beschreibungen des Lebensverlaufs ist gerade darin zu sehen, dass sie helfen, eigene Erfahrungen zu überdenken und durch systematisch gewonnene empirische Erfahrungen und theoretische Überlegungen zu ergänzen. In dieser Weise abgesicherte Kenntnisse über alterstypische Erlebens- und Verhaltensweisen liefern dann die Grundlage für die Gestaltung altersangemessener Entwicklungsbedingungen und -anforderungen sowie für die Diagnose von Entwicklungsauffälligkeiten und bieten Anhaltspunkte für die Beurteilung der Altersangemessenheit pädagogischer Interventionen. Da in einem einführenden Lehrbuch der Entwicklungspsychologie einzelne Lebensphasen nicht detailliert dargestellt werden können, kann hier nur auf die einschlägige Literatur verwiesen werden. Einen ersten Einblick vermitteln die folgenden Werke:

•  Frühe Kindheit: Bischof-Köhler (1998); Elsner & Pauen (2012); Hasselhorn &...

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