Emotionale Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen - Entwicklung und Folgen

Emotionale Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen - Entwicklung und Folgen

von: Julie Klinkhammer, Maria von Salisch

Kohlhammer Verlag, 2015

ISBN: 9783170283947

Sprache: Deutsch

188 Seiten, Download: 3319 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Emotionale Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen - Entwicklung und Folgen



3         Entwicklung emotionaler Kompetenz bei Kindern und Jugendlichen


 

 

 

 

 

Im Laufe ihres jungen Lebens sammeln Kinder viele Erfahrungen mit Emotionen – mit ihren eigenen und denen ihrer Mitmenschen. Dies ist eine wichtige Aufgabe für Kinder, damit sie verstehen (und vorhersagen können), welche Emotionen Familienmitglieder, Spielkameraden und Betreuungspersonen empfinden und um das eigene emotionale Ausdrucksverhalten daran auszurichten. Ihr Wohlbefinden hängt von diesen nahen Mitmenschen in vielerlei Hinsicht ab.

Vor dem Eintritt in den Kindergarten beschränken sich die sozialen Interaktionen meist auf Eltern, Geschwister und andere Freunde und Verwandte. Im Kindergarten steht das Kind dann einer Vielzahl von ganz neuen Eindrücken und Erfahrungen gegenüber, die es – auch außerhalb des geschützten familiären Rahmens – vermehrt alleine bewältigen muss (Denham, 1998). Das Kind wird herausgefordert, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten aktiv zu entwickeln, um auch zukünftigen Anforderungen und Aufgaben gewachsen zu sein. »Aus dem Kleinkind, das bei jeder Emotionsepisode noch der Unterstützung seiner Bezugsperson bedarf, wird ein Kind, das seine Handlungen mittels seiner Emotionen und Volitionen selbstständig regulieren kann, ebenso wie es auch seine Emotionen bereits willkürlich in gewissen Grenzen beeinflussen kann« (Holodynski, 2006, S. 85). So müssen die Kinder den Umgang mit eigenen und fremden Emotionen im Kontakt mit Gleichaltrigen und Erzieher/innen zunächst noch lernen. Dies bildet wiederum die Voraussetzung dafür, dass sie sich in vielen sozialen Situationen im Kindergarten kompetent verhalten können. »Aufgrund der herausragenden Bedeutung von Emotionen für die soziale Interaktion kann der Erwerb emotionaler Kompetenz als eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben (…) im Kleinkind- und Vorschulalter bezeichnet werden. Sie fördert und bildet eine Grundlage für andere Entwicklungsbereiche« (Mayer, Heim & Scheithauer, 2007, S. 65).

Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die verschiedenen Phasen und Teilbereiche der Entwicklung emotionaler Kompetenzen, die Kinder und Jugendliche erwerben. Als gesicherte Erkenntnis gilt, dass bereits Neugeborene über ein »Repertoire an emotionsrelevanten Fähigkeiten«, sogenannten »Vorläuferemotionen« (Holodynski, 2006) verfügen. Das Neugeborene ist darauf angewiesen, mit Hilfe des emotionalen Ausdrucks von Distress oder Zufriedenheit seine Bezugspersonen dazu zu veranlassen, ihm Zuwendung zukommen zu lassen und seine Versorgung zu sichern. Schon in den ersten Lebenswochen sind Säuglinge empfänglich für Emotionsausdrücke im Gesicht und der Stimme ihrer Bezugspersonen. Sie können positive von negativen Emotionen (Wohlbehagen/Missbehagen und Grad der Erregtheit) schon sehr früh unterscheiden (Hoehl, 2014) und beginnen, entsprechend des gezeigten Gefühls zu reagieren (Haviland & Lelwica, 1987; zusammenfassend von Salisch, 2000). Im Laufe des Heranwachsens schränken die Bezugspersonen die Fürsorge für ihre Kinder immer weiter ein, um gleichzeitig eine »stetig wachsende Selbstständigkeit in der Regulation seiner Handlungen und Emotionen zu fordern und seine Handlungen an den kulturellen Normen und Regeln zu bewerten« (Holodynski, 2006, S. 121).

Wesentliche Entwicklungsschritte der emotionalen Kompetenz vollziehen sich in den ersten Lebensjahren (Pons, Harris & de Rosnay, 2004) und interindividuelle Unterschiede im Emotionsverständnis der Kinder werden mit dem Alter zunehmend stabiler (Pons & Harris, 2005; von Salisch, Klinkhammer & Hänel, 2015). Bettina Janke (2002) war eine der ersten, die ein übersichtliches und detailliertes Buch zu diesem Thema (»Entwicklung des Emotionswissens bei Kindern«) im deutschen Sprachraum schrieb. Auf den folgenden Seiten werden die einzelnen Fortschritte nach ihrem ungefähren Erscheinungszeitpunkt geordnet (Pons & Harris, 2002). Dabei wird der Schwerpunkt auf folgende Entwicklungsschritte gelegt:

•  Emotionale Bewusstheit und Ausdrucksverhalten,

•  Erkennen und Benennen von Emotionen,

•  Situationen als emotionsauslösende Ereignisse,

•  Wünsche als Auslöser für Emotionen,

•  Erinnerungen als Auslöser für Emotionen,

•  Emotionale Perspektivenübernahme,

•  Wahre und vorgetäuschte Emotionen,

•  Gemischte und ambivalente Emotionen,

•  Moralische Emotionen,

•  Emotionsregulation.

Schon jetzt ist deutlich, dass sich die Entwicklung von Emotionsausdruck und Emotionswissen nur schwer trennen lässt und beide eng mit der sprachlichen und der kognitiven Entwicklung verknüpft sind (von Salisch, Klinkhammer & Hänel, 2015). Kapitel 4 geht auf diese interindividuellen Unterschiede bei Emotionswissen und Emotionsregulation näher ein.

3.1        Emotionale Bewusstheit und Ausdrucksverhalten


Das emotionale Ausdrucksverhalten dient unter anderem zur Herstellung und Aufrechterhaltung des Kontaktes mit der Umwelt sowie zur Kommunikation in zwischenmenschlichen Beziehungen. Es beschränkt sich nicht nur auf den von außen beobachtbaren Gesichtsausdruck bzw. die Mimik, sondern beinhaltet auch den Körperduktus, die Gestik, den Klang der Stimme bzw. Geräusche, das Blickverhalten, das Verhalten im Raum, Berührungen und die Art, wie Spiele oder kreative Materialien verwendet werden (Holodynski, 2006; Hyson, 1994).

Die bereits in den ersten Lebenswochen beobachtbaren emotionalen Gesichtsausdrücke von Neugeborenen nehmen in den darauffolgenden Wochen stetig zu und werden immer einheitlicher und häufiger dargeboten (z. T. auch als Reaktion auf menschliche Gesichter; Malatesta & Haviland, 1982). Alan Sroufe (1996) bezeichnet die Emotionen des Neugeborenen als »Vorläuferemotionen«, weil sie eher Reflexen als später ausgebildeten Emotionen ähneln. Er unterscheidet fünf verschiedene Ausdrucksmuster, die von Neugeborenen gezeigt werden: Distress, Interesse, endogenes Wohlbehagen, Erschrecken/Furcht und Ekel. Aus diesen Vorläuferemotionen differenzieren sich durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt (vor allem mit den Bezugspersonen) die folgenden funktionsfähigen Emotionssysteme aus: Wohlbehagen, Freude, Zuneigung und Belustigung, Frustration, Ärger und Trotz, Furcht und Verlegenheit, Überraschung, Kummer und Traurigkeit. Kinder im Alter zwischen zehn Wochen und sechs Monaten reagieren bereits sehr differenziert auf das Gesicht ihrer Mutter, wobei ihr Verhalten mehr als bloße Imitation des mütterlichen Ausdrucks interpretiert werden kann (Haviland & Lelwica, 1987). Die ersten Anzeichen für den Gesichtsausdruck von Stolz, Scham, Schüchternheit, Verlegenheit, Verachtung oder Schuld treten bereits unregelmäßig in einem Alter von ca. sechs Monaten auf und werden später konstanter. Schon mit zwei Jahren zeigen manche Kinder stabile interindividuelle Unterschiede im Hinblick auf den Ausdruck und Verhaltenstendenzen bei verschiedenen Gefühlen (Denham, 1998). Im Alter von drei Jahren gelingt es Kindern bereits bis zu einem gewissen Grad, ihren Emotionsausdruck an die Situation anzupassen. Damit schaffen sie es, ihre Mitmenschen zu täuschen, indem sie zum Beispiel angeben, einen attraktiven (aber verbotenen) Spielzeugzoo nicht angeschaut zu haben (Lewis, Stanger & Sullivan, 1989).

Die Fähigkeit, willkürlich geforderte Gesichtsbewegungen nachzuahmen, entwickelt sich in einer regelmäßigen Weise im Alter von vier bis 14 Jahren (Kwint, 1934, nach Izard, 1999). Zweijährigen gelingt diese Aufgabe noch nicht, während Dreijährige bereits den Gesichtsausdruck von Freude und Überraschung willentlich zeigen können. Bei den vier- und fünfjährigen Kindern bestehen Unterschiede zu den Darbietungs-Fähigkeiten der Erwachsenen nur noch beim Ausdruck von Überraschung und Ärger, den Erwachsene problemlos beherrschen. Alle Altersgruppen haben Schwierigkeiten mit der einwandfreien Wiedergabe des Gesichtsausdrucks von Angst und Ekel. Zu diesen Ergebnissen kamen Lewis, Sullivan und Vasen (1987) in einer Untersuchung mit 37 Kindern im Alter von zwei bis fünf Jahren sowie zehn erwachsenen Versuchsteilnehmern.

Sobald ein Kind einen gewissen Grad erreicht hat, sich seiner selbst bewusst und zur Selbstreflexion fähig zu sein, kann es selbstbezogene und soziale Emotionen wie Stolz, Scham, Schuld, Neid oder Verlegenheit wahrnehmen (Lewis, 2014). Voraussetzung hierfür ist das Wissen, die Akzeptanz und die Anwendung von Verhaltensregeln (Denham, 1998), die meist durch die Eltern oder andere Sozialisationseinflüsse...

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