Wissenschaftliches Arbeiten im Lehramtsstudium - Recherchieren, schreiben, forschen

Wissenschaftliches Arbeiten im Lehramtsstudium - Recherchieren, schreiben, forschen

von: Markus Roos, Bruno Leutwyler

Hogrefe AG, 2017

ISBN: 9783456958170

Sprache: Deutsch

329 Seiten, Download: 10082 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Wissenschaftliches Arbeiten im Lehramtsstudium - Recherchieren, schreiben, forschen



1 Einführung


„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“

Teilhard de Chardin

Der Zweifel – wie ihn Teilhard der Chardin als Beginn der Wissenschaft charakterisierte – mag für Lehrerinnen und Lehrer nicht unbedingt erstrebenswert erscheinen. Gerade von der Ausbildung erwarten angehende Lehrpersonen durchaus zu Recht erste Sicherheiten für den Einstieg in einen anspruchsvollen Beruf. Auch mit einiger Berufspraxis sehnen sich amtierende Lehrpersonen wohl eher selten nach Zweifeln; dauernde Veränderungen in Schulen und ihrer Umgebung sowie die zum Berufsalltag gehörenden Ungewissheiten in Lern- und Bildungsprozessen erfordern ein hohes Maß an Flexibilität, sodass zusätzliches Anzweifeln von Gewissheiten eher absurd erscheinen mag.

Und dennoch: Anzweifeln drückt eine Denk- und Geisteshaltung aus, die sich mit der eigenen Sicht auf die Dinge nicht zufrieden geben will, die den Dingen auf den Grund gehen will, die immer wieder fragt: Könnte es auch anders sein? „Wissenschaft“ wird zwar häufig als das Bestreben verstanden, neues Wissen – und damit auch neue Gewissheiten – zu erschaffen, also neue Erkenntnisse zu gewinnen oder bestehende Erkenntnisse neu zu systematisieren. Der Weg zu diesem übergeordneten Ziel von Wissenschaft geht jedoch stark vom Zweifeln aus, indem bestehende Gewissheiten dafür in Frage gestellt werden.1

So wie das Anzweifeln von Gewissheiten einen Lebensnerv für die Wissenschaften charakterisiert, stellt das Anzweifeln von eigenen Sichtweisen auch bei angehenden und amtierenden Lehrpersonen eine Voraussetzung für Lernen und Entwicklung dar. Wer eigene Sichtweisen anzweifelt, lässt sich auf neue Perspektiven ein und ist offen für andere Zugänge zu einem Thema. Das ist auch in der Ausbildung zur Lehrerin oder zum Lehrer zentral. Ein solches Studium ist deutlich mehr ist als eine Anhäufung von Wissen. Es ist idealerweise auch eine Form der Persönlichkeitsbildung, eine intensive Auseinandersetzung mit neuen Themen, neuen Perspektiven, neuen Erfahrungen, neuen Theorien und neuen Fakten – kurz: eine Auseinandersetzung, welche die eigene Sichtweise auf die Dinge erweitern, anreichern, differenzieren und oftmals auch revidieren soll.

Eine solche Denk- und Geisteshaltung, die eigene Sichtweisen und bestehende Gewissheiten anzweifelt, wird in der „Wissenschaft“ ganz besonders kultiviert. „Wissenschaft“ strebt danach, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich mit einem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Doch nicht jede intensive Auseinandersetzung ist eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Was wissenschaftliches Denken und Arbeiten charakterisiert, wird im nächsten Abschnitt (Kap. 1.1) in einer ersten Annäherung skizziert. Darauf aufbauend lässt sich beschreiben, was wissenschaftliche Fragestellungen sind (Kap. 1.2) und wie der Prozess einer wissenschaftlichen Arbeit idealerweise abläuft (Kap. 1.3). Von diesem Prozess leitet sich auch der Aufbau dieses Buches ab, wie er in Kap. 1.4 beschrieben ist. In Kapitel 1.5 folgen zudem einige Hinweise, wie mit diesem Buch am besten gearbeitet werden kann. Damit ist die Grundlage gelegt, um zum Abschluss dieses Einführungskapitels nach dem Sinn und Zweck zu fragen, warum es sich für Lehrpersonen lohnt, wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen zu kultivieren (Kap. 1.6).

1.1 Merkmale wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens


Die grundlegende Frage an dieser Stelle lautet, was wissenschaftliches Denken und Arbeiten ist – und nicht, was „Wissenschaft“ insgesamt ist. Dass der Begriff „Wissenschaft“ bis anhin in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt wurde und nun auch an dieser Stelle nicht gebührend definiert wird, hat damit zu tun, dass es die Wissenschaft so nicht gibt. Viel eher gibt es eine große Vielzahl an unterschiedlichen Wissenschaften: So werden beispielsweise häufig Natur- und Geisteswissenschaften unterschieden, in den letzten Jahrzehnten oft auch Sozial- und Kulturwissenschaften. Dabei wird der Begriff „Wissenschaften“ meist im Plural gebraucht. Damit wird deutlich, wie unterschiedlich das Verständnis von „Wissenschaft“ sein kann und dass es verschiedene Wissenschaften gibt. Doch das Verständnis davon, was „Wissenschaft“ ist, unterscheidet sich nicht nur zwischen Disziplinen, sondern auch zwischen Epochen und Kulturkreisen.

In allen Facetten von „Wissenschaft“ sind jedoch wissenschaftliches Denken und Arbeiten durch gewisse Merkmale gekennzeichnet. Dazu gehören die folgenden Merkmale (vgl. Bohl, 2008; Fromm & Paschelke, 2006):

  • Aufarbeitung bestehender Erkenntnisse und eigenständige Gedankenarbeit: Wissenschaftliches Arbeiten ist immer eine Kombination von Wiedergabe vorliegender Erkenntnisse und von intensiver eigenständiger Auseinandersetzung mit fremden Gedanken. Es ist nie nur „copy and paste“, obwohl das Wiederholen, Aneignen und Aufarbeiten von dem, was andere bereits zum Thema erarbeitet und erkannt haben, zu jeder wissenschaftlichen Arbeit gehört. Darüber hinaus gehört immer auch ein eigenständiges Weiterdenken zur wissenschaftlichen Arbeit, beispielsweise indem Zusammenhänge hergestellt, Begriffe und Definitionen verglichen und analysiert oder Argumentationen begründet kritisiert werden.
  • Systematisches und methodisch kontrolliertes Vorgehen: Wissenschaftliches Arbeiten ist zielorientiert; es ist systematisch, folgt einer inneren Logik und wird gelenkt durch einen dauernden Blick auf die leitende Fragestellung. Es geht nie nur um additive Auflistungen ohne inneren Zusammenhang. Wissenschaftliches Arbeiten ist methodisch kontrolliert und folgt meist expliziten Regeln und Methoden; das Verfahren zur Beantwortung einer Fragestellung wird begründet und bleibt auch für andere nachvollziehbar, sodass andere das Verfahren wiederholen und damit die Erkenntnisse überprüfen können.
  • Fundierung der Aussagen und Objektivierung: Beim wissenschaftlichen Denken und Arbeiten wird auf unbelegte oder oberflächliche Behauptungen und auf rein persönliche Erfahrungen verzichtet. Wissenschaftliche Argumentationen werden fundiert, indem die einzelnen Aussagen erläutert und begründet werden – insbesondere natürlich mit Verweisen auf theoretische Erkenntnisse oder auf Befunde, die von durchgeführten Studien ans Tageslicht gefördert wurden. Sie fokussieren auf die Sache selbst und streben meist nach Objektivität.
  • Überprüfbares und reflektiertes Argumentieren: Wissenschaftliche Aussagen sind grundsätzlich überprüfbar und unterscheiden sich damit klar von Glaubenssätzen. Die Grundlagen für die Überprüfung der Argumentation liefern Quellenangaben, wo auf bestehende Erkenntnisse verwiesen wird, sowie nachvollziehbare Beschreibungen von Verfahren, wo eigene Erkenntnisse berichtet werden. Wissenschaftliche Aussagen unterscheiden theoretische Erklärungen, Beschreibungen von empirischen Befunden, eigene Interpretationen und Schlussfolgerungen sowie plausible Vermutungen und wertgeleitete Überzeugungen. Voraussetzungen für das eigene Denken und Argumentieren werden reflektiert und expliziert, beispielsweise indem theoretische, methodische, weltanschauliche oder normative Voraussetzungen offen gelegt werden.
  • Präzises, eindeutiges und logisches Argumentieren: Wissenschaftliches Argumentieren erfordert eine gewisse Tiefe und ist entsprechend ausführlich. Es ist sachlich, präzise, eindeutig und berücksichtigt in angemessener Art die Fachsprache, weil damit die eigene Argumentation an den Stand der Forschung anschließt. Wissenschaftliche Argumente sind logisch, gut nachvollziehbar und widerspruchsfrei aufgebaut. Allfällige Ungereimtheiten oder Widersprüche werden ausdrücklich problematisiert.
  • Klare Begriffe: In wissenschaftlichen Argumentationen werden zentrale Begriffe geklärt und bewusst und sorgfältig verwendet. Bestimmte Begriffe sind oft Ausdruck theoretischer Konzepte oder aber sie werden in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet. Um sich theoretisch zu positionieren und um ein einheitliches Verständnis zu gewährleisten, werden die ganz zentralen Begriffe jeweils sorgfältig definiert.
  • Sorgfältige und einheitliche Darstellung: Wissenschaftliches Arbeiten ist sorgfältiges und umsichtiges Arbeiten. Dies zeigt sich nicht nur, aber auch in der formalen Darstellung, beispielsweise im Umgang mit Quellen, Abbildungen, Inhalts- oder Literaturverzeichnissen. Bei Qualifikationsarbeiten im Rahmen eines Studiums werden solche formalen Aspekte meist reglementiert, wobei sich der Detaillierungsgrad der Vorgaben je nach Organisation unterscheidet.
  • Redlichkeit: Nicht zuletzt ist wissenschaftliches Arbeiten auch redliches Arbeiten, sodass fremde Erkenntnisse, Gedanken und Ideen auch als solche gekennzeichnet werden (bspw. mit Quellenangaben). Plagiate als Diebstahl von geistigem Eigentum führen zur Ächtung in der Gemeinschaft der wissenschaftlich Tätigen (in der sogenannten „scientific community“) und werden strafrechtlich geahndet.

Diese Merkmale von wissenschaftlichem Denken und Arbeiten charakterisieren Grundhaltungen, die für eine Vielzahl von Arbeiten hilfreich sind und in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern gelebt werden. Im akademischen Tätigkeitsfeld – in dem Tätigkeitsfeld also, das gemeinhin mit „Wissenschaft“ gleich gesetzt wird – werden diese Grundhaltungen allerdings ganz besonders und bewusst kultiviert. Die Aufzählung dieser...

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