Kreativität und Kommunikation bei Menschen mit Demenz

Kreativität und Kommunikation bei Menschen mit Demenz

von: John Killick, Claire Craig

Hogrefe AG, 2013

ISBN: 9783456952505

Sprache: Deutsch

202 Seiten, Download: 3416 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Kreativität und Kommunikation bei Menschen mit Demenz



Professor Bruce Miller (2000) von der University of California erforscht zurzeit ein interessantes Gebiet, das allerdings nur eine kleine Gruppe von Menschen mit Demenz betrifft. Mehr oder weniger zufällig hat er entdeckt, dass Menschen mit frontotemporaler Demenz manchmal eine außergewöhnliche künstlerische Begabung haben. Ein geringer Teil von ihnen hat sich vorher nie in irgendeiner Weise kreativ hervorgetan.

Im Vorwort zu seinem Fotoband schreibt James McKillop (2003):
Als ich erfuhr, dass ich Demenz habe, öffnete sich nach einer schwierigen Zeit in meinem Leben wieder eine Tür. Neue Herausforderungen, neue Freundschaften. Ich wollte ein Bewusstsein für Demenz schaffen und zeigen, dass Menschen mit dieser Krankheit in der Lage sind, vergessene Fähigkeiten neu zu lernen und sich neue anzueignen.

Häufig wird übersehen, dass Kunst die Möglichkeit bietet, Neues zu lernen. Dies liegt unter anderem an der Überzeugung, Menschen mit Demenz seien nicht in der Lage, neue Fähigkeiten oder Interessen zu entwickeln. Wir wissen, dass dies falsch ist. Menschen mit Demenz sind sehr wohl imstande, neue Dinge zu lernen oder sich zumindest mit neuen Dingen zu beschäftigen, und daher sollten wir nicht zulassen, dass sie durch unsere vorgefasste Meinung eingeschränkt werden, da dieser Prozess das Selbstwertgefühl wieder aufzubauen vermag und die Chance zur Entwicklung neuer Rollen bietet. Die Kunst hat in dieser Hinsicht viel zu bieten, aber wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir die Menschen unterstützen, damit sie optimal von solchen Erfahrungen profitieren. Kapitel 3.1 befasst sich ausführlicher mit diesem Thema.

Es gibt sicher viele Menschen mit Demenz, die nichts von den Möglichkeiten der Kunst wissen, was den Selbstausdruck und die Verbesserung des Wohlbefindens anbelangt. Es gilt, gezielte Strategien zu entwickeln und die Betroffenen mit den verschiedenen Kunstformen und ihren Möglichkeiten vertraut zu machen. Aber es gibt auch Menschen mit Demenz, die sich befreit, vielleicht sogar enthemmt fühlen und die schon erfahren haben, was die Kunst ihnen zu geben vermag. Agnes Houston, eine Frau mit Demenz, die in Schottland lebt, äußert sich zu beiden Gruppen:
Ich sage nicht, dass Demenz nicht schlimm ist. Aber ich sage, dass sie auch eine Lizenz ist, eine Lizenz, frei zu sein, ich selbst zu sein. Ich glaube, als ich die Diagnose erfuhr, bekam ich die Erlaubnis, in dieser Person entspannter zu sein und sie zu akzeptieren. Ich wollte herausfinden, ob ich künstlerisch begabt bin. Kreativität ist etwas, das ich ausprobieren möchte. Unkonventionelles Denken ist mein Ziel. Es wird passieren. Es ist ein bisschen so wie das Warten an Weihnachten. Man weiß, bald ist es so weit, aber als Kind weiß man nie so genau wann. Das ist ein schönes Gefühl. (Houston, 2009)

Wir wollen dieses Kapitel nicht beenden, ohne einen Aspekt der therapeutischen Wirkung kurz zu erwähnen. Wir nehmen ihn wahr, aber er manifestiert sich bei jedem Menschen auf andere Art. Wir meinen die Tatsache, dass es so vielen Menschen mit dieser Krankheit in bewundernswerter Weise gelingt, all die Veränderungen und Verluste zu verkraften, mit denen sie konfrontiert werden. Manche Menschen reagieren mit Ärger, Kummer und Verleugnung. Wir sind jedoch überzeugt, dass die Kunst ein Ventil für belastende Gefühle ist, was die Situation zumindest erträglicher macht und im günstigsten Fall dem ganzen Prozess eine völlig neue Bedeutung gibt. Die Kunsttherapeutin und Schriftstellerin Alida Gersie schreibt:
Wenn wir uns mit symbolhaften ausdrucksbetonten Aktivitäten beschäftigen, müssen wir uns nicht nach äußeren Forderungen oder Vorgaben richten; es gibt weder Beschränkungen noch Sanktionen und dies ermöglicht die Assimilation und damit die Transformation der wahrgenommenen Realität. Wenn diese Realität belastend ist, ist dieser Prozess umso wichtiger. (Gersie, 1991: 235–236)

1.3 Flow-Erfahrungen

Was verbinden Sie mit dem Begriff «Flow»? Er wird in verschiedenen Kontexten verwendet, beispielsweise im Zusammenhang mit dem konstanten, ununterbrochenen Strömen eines Flusses. Wir bezeichnen ein Kleidungsstück als «fließend», wenn es insgesamt harmonisch wirkt, weil jedes Teil im Einklang mit dem Gesamteindruck steht. Der Ausdruck «im Fluss sein» bezeichnet ein erstrebenswertes, angenehmes Gefühl der Stimmigkeit. Gemeinsam ist all diesen Beispielen die intensive Wahrnehmung eines allumfassenden Zusammenhangs.

Wann haben Sie zuletzt etwas Ähnliches erlebt? Wie hat es sich angefühlt? Hat die Erfahrung Sie in Hochstimmung versetzt?

Jeder, der mit Kindern zusammengelebt hat, kennt die folgende ärgerliche Situation: Man bittet die Kinder, um eine bestimmte Zeit zum Ausflug oder zum Essen fertig zu sein, aber zu der fraglichen Zeit sind sie so in eine Aktivität vertieft, dass sie die Bitte völlig vergessen haben. Kinder haben weniger Pflichten als Erwachsene und können sich daher so intensiv auf eine Sache konzentrieren, dass sie ihre Umgebung oder sich selbst völlig vergessen. Doch wir alle haben solche intensiven Erfahrungen und hätten sie vielleicht noch häufiger, wenn wir sie mehr zu schätzen wüssten oder öfter die Gelegenheit bekämen beziehungsweise sie uns selbst nehmen würden, sie zu genießen. Leider legt die westliche Gesellschaft größeren Wert auf logische Prozesse als auf solche, in denen unterschiedliche Aspekte des Bewusstseins zusammenwirken. Offenbar wird das FlowKonzept mit Mystik in Verbindung gebracht und daher grundsätzlich abgelehnt.

Der Psychologe Mihaly Czikszentmihalyi konzentriert sich bei seiner Arbeit seit langem auf Fragen, die dieses Konzept betreffen. Zu diesem Zweck hat er Daten gesammelt, um allgemeine Faktoren ausfindig zu machen, von denen sich die folgenden als relevant erwiesen haben:
1. Bestimmte Fähigkeiten sind aktiviert.
2. Übereinstimmung von Leistungsanforderungen und vorhandenen Leistungspotenzialen.
3. Kontinuierliche Rückmeldung über die Leistung.
4. Die Aktivität an sich wird als lohnend empfunden – das Ergebnis ist nicht unwichtig, hat aber keine Priorität.
5. Umfassendes Gefühl der Kontrolle – die Gewissheit, alle mit der Aufgabe verbundenen Leistungsanforderungen meistern zu können.
6. Die Konzentration erreicht ein Ausmaß, dass die Selbstwahrneh mung und alles, was nicht mit der Aktivität zusammenhängt, na hezu ausgeblendet wird.
7. Das Zeitgefühl ist vorübergehend außer Kraft gesetzt. (Czikszent mihalyi, 2008)

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