Krisen und Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen

Krisen und Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen

von: Christine Papastefanou

Kohlhammer Verlag, 2013

ISBN: 9783170275782

Sprache: Deutsch

170 Seiten, Download: 8145 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Krisen und Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen



1 Krisen und Belastungen, Krisenreaktionen bei Kindern und Jugendlichen


Christiane Papastefanou

1.1 Einführende Erläuterungen


Das Kapitel beginnt mit Erläuterungen der zentralen Begriffe »Stress«, »Krise« und »kritisches Lebensereignis« und deren Folgen für die betroffenen Individuen. Dabei werden diese Konzepte jeweils auch theoretisch eingeordnet (Stressmodell und Life-event-Forschung). Im zweiten Abschnitt werden spezielle Belastungen und kritische Ereignisse im Leben von Kindern und Jugendlichen näher beleuchtet, wobei es aus entwicklungspsychologischer Sicht sinnvoll erscheint, beide Altersphasen getrennt zu behandeln. Der dritte Abschnitt befasst sich mit dem Konzept der Bewältigung, wobei wiederum die Besonderheiten des Bewältigungsverhaltens von Kindern und Jugendlichen herausgestellt werden.

Stressoren und Stressreaktion

Der allgemeine Stressbegriff ist sehr breit gefasst und wird häufig synonym mit »Belastung« oder »Anforderung« verwendet. Die verschiedenen Definitionen stimmen im Kern darin überein, dass Stress entsteht, wenn die Anforderungen im Missverhältnis zu den Ressourcen des betroffenen Individuums stehen, so dass die Bewältigung der Anforderung gefährdet ist. In der Stressforschung stehen sich situations- und reaktionsbezogene Sichtweisen von Stress gegenüber (Eppel, 2007). Situationsbezogene Ansätze konzentrieren sich auf die stressauslösenden Situationen, die als »Stressoren« oder »Stressquellen« bezeichnet werden. Darunter verstanden werden »Störgrößen, die unser Wohlbefinden beeinträchtigen und unsere Handlungsfähigkeit bedrohen« (Eppel, 2007, S. 22). Reaktionsbezogene Ansätze befassen sich mit den Reaktionsmustern der Betroffenen auf Belastung. Diese »Stressreaktionen« oder das »Stresserleben« werden definiert als »alle Prozesse, die bei betroffenen Personen als Antwort auf einen Stressor ausgelöst werden« (Eppel, 2007, S. 19).

Stressoren werden in der Forschung anhand verschiedener Kriterien klassifiziert, wie Valenz, Dauer oder Intensität. Bezüglich der Valenz lassen sich grob Distress und Eustress gegenüber stellen. Negative Stressoren (z. B. Verlusterfahrungen), die als bedrohlich erlebt werden und potentiell gesundheitsschädigende Wirkung haben, stehen im Vordergrund des Forschungsinteresses. Aber auch positive Ereignisse, wie die Heirat oder Geburt eines Kindes, können als Stress (»Würze des Lebens«) wahrgenommen werden und haben aktivierende Wirkung. Unter dem Aspekt der zeitlichen Erstreckung werden akute diskrete Ereignisse (z. B. ein Unfall), die zeitlich befristet sind, von länger anhaltenden belasteten Lebenslagen (z. B. eine schwere Erkrankung) unterschieden, bei denen das Belastungspotential bestehen bleibt. Anhand der Intensität der potentiellen Belastungen werden üblicherweise drei Intensitätsstufen differenziert:

  1. daily hassles (Alltagswidrigkeiten, Mikrostressoren): längerfristig andauernde alltägliche Ärgernisse, Frustrationen und Irritationen, die als aufreibend, zermürbend erfahren werden, aber normalerweise bewältigbar sind (z. B. Zeitdruck).
  2. major events (Makrostressoren): schwerwiegende, aber zeitlich befristete Lebensereignisse, deren Bewältigung die Mobilisierung aller Ressourcen eines Individuums erfordert, aber irgendwann abgeschlossen ist (z. B. Todesfall).
  3. Traumata: außergewöhnliche, extrem bedrohliche Ereignisse (z. B. Gewalterfahrung, sexueller Missbrauch), die außerhalb der üblichen Erfahrung liegen und das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Individuums bedrohen. Da Traumata die normalen Anpassungsstrategien eines Menschen deutlich übersteigen und oft zu Sinnverlust und Dekompensation führen, haben sie meist nachhaltige schädigende Folgen.

Die Stressforschung wurzelt in der Biologie und versteht daher die Stressreaktion, die sich als Fluchtverhalten oder Kampfbereitschaft zeigt, als ein natürliches menschliches Verhalten, das zum Überleben der Spezies beigetragen hat. Die psychologische Stressforschung wird üblicherweise der Klinischen oder Gesundheitspsychologie zugeordnet bzw. der Sozialen Arbeit, wenn es sich um psychosoziale Belastungslagen handelt. In der psychologischen Stressforschung hat sich das transaktionale Modell von Lazarus und Folkman (1984) durchgesetzt, das heute üblicherweise als Grundlage für diesen Forschungszweig dient (► Abb. 1.1). Dieses Modell betont die Wechselwirkung zwischen Person und Anforderung: Die Art und Weise, wie eine betroffene Person einen potentiellen Stressor subjektiv bewertet, entscheidet über ihr Stresserleben. Die Bewertung ist abhängig von früheren Erfahrungen der Person mit ähnlichen Situationen. Die kognitiven Bewertungsprozesse verlaufen in mehreren Stufen: Zuerst erfolgt eine subjektive Bewertung der Situation, die entweder den Status einer »Herausforderung«, eines »Verlusts/Schadens« oder einer »Bedrohung« annehmen kann. In einem zweiten Schritt schätzt die betroffene Person die Ressourcen ein, die ihr zur Bewältigung dieser Belastung zur Verfügung stehen. Dies führt zu einer Neubewertung der Belastungssituation aus einer neuen Perspektive.

Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, welche die Bewertung des Stressors als Ergebnis des Bewältigungsprozesses verstehen (Hobfoll, 1989; zit. n. Filipp & Aymanns, 2010). Wenngleich dieses Modell nicht auf entwicklungspsychologische Aspekte eingeht, scheint es auch zur Erklärung von Stress bei Kindern und Jugendlichen geeignet zu sein (s. Beyer & Lohaus, 2007).

Abb. 1.1: Stressmodell nach Klein-Heßling (1997)

Die Folgen von Stress sind vielfältiger Art und betreffen alle Bereiche menschlichen Erlebens und Verhaltens. Während in der Biologie bzw. auch in der Medizin zunächst die körperlichen Folgen im Mittelpunkt standen, hat sich die psychologische Stressforschung stärker den Indikatoren der individuellen Anpassung und der Entstehung psychischer Störungen zugewandt. In neuerer Zeit rücken neurobiologische Prozesse, die mit dem Erleben und Verarbeiten von Stress einhergehen, stärker in den Fokus des Forschungsinteresses. Eine anfängliche kurzfristige körperliche Aktivierung und Mobilisierung der Widerstandskräfte in Reaktion auf ein belastendes Ereignis ist sinnvoll, um sich der Herausforderung zu stellen. Erst eine langfristige Aktivierung, wie sie bei chronischen Belastungslagen auftritt, führt zu Erschöpfung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei den Betroffenen (z. B. Schlafstörungen, veränderte Ernährungsgewohnheiten und Substanzkonsum), die langfristig das Immunsystem schwächen (Filipp & Aymanns, 2010; Seiffge-Krenke, 1998). Gesundheitliche Beschwerden und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens entstehen besonders dann, wenn ein entsprechender Ausgleich durch »daily uplifts« (kleine Freuden) fehlt (s. Eschenbeck, Lohaus & Kohlmann, 2007).

Krisen und kritische Lebensereignisse

In der Klinischen Psychologie ist der Begriff »Krise« zur Bezeichnung von einschneidenden Veränderungen üblich. Der aus dem Griechischen stammende Begriff »krisis« bedeutet »Entscheidungssituation, Wende-, Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung« (Duden, 2001). Allerdings wird der Krisenbegriff uneinheitlich verwendet, eine allgemeinverbindliche Definition existiert nicht. So wurde bereits 1988 von Fiedler kritisiert, »... daß das Konstrukt »Krise« in der Psychologie bislang weder eine inhaltlich konvergente Bedeutung noch eine formal ausreichende theoretische Basis hat« (S. 115). Und noch heute bemängelt Stein (2009) die Verwendung des Krisenbegriffs als »schwammig«. Ebenso uneinheitlich und wenig trennscharf sind Systematisierungen des Krisenbegriffs, wie sie gern in der Klinisch-psychologischen Literatur vorgenommen werden, häufig in Veränderungskrise, Verlustkrise und traumatische Krise (s. Stein, 2009). Unstimmigkeiten herrschen fernen bezüglich möglicher Phasen im Verlauf von Krisen, sowohl hinsichtlich Anzahl und Inhalt. Caplan (1964) benennt beispielsweise folgende Phasen im Verlauf von Lebensveränderungskrisen: Konfrontation mit einem problematischen Ereignis, Versagen (nach misslungenen Bewältigungsversuchen), Mobilisierung aller Bewältigungskapazitäten, Vollbild der Krise (Rat- und Orientierungslosigkeit) sowie Bearbeitung und Neuorientierung. Insgesamt scheint es schwer zu sein, einzelne Phasen klar voneinander abzugrenzen, da die Übergänge oft fließend sind. Außerdem erscheint es fragwürdig, individuelle Verarbeitungsmuster von Krisen durch ein universelles Modell abbilden zu können. Mit dem Begriff »psychosoziale Krise« will Stein auf »… eine exaktere Indikationsstellung für psychosoziale Krisenintervention« 2009, S. 22) hinweisen. Davon abzugrenzen sind psychiatrische Notfälle im Zusammenhang mit schwerwiegenden psychischen Störungen, die in den Bereich der Notfallintervention fallen (z. B. Lasogga & Gasch, 2011; Rupp, 1996).

In der Entwicklungspsychologie hat sich seit den 1980er Jahren eine eigene Tradition der sog. Life-event-Forschung etabliert, die mittlerweile auf eine breite empirische Basis zurückblicken kann. Aus dieser Perspektive hat sich der Begriff »kritisches Lebensereignis« durchgesetzt, der im Gegensatz zum negativ besetzten Krisenbegriff wertneutral ist. Kritische Lebensereignisse markieren Übergänge bzw. Wendepunkte im Lebenslauf, die »Stadien des relativen Ungleichgewichts« erzeugen und Anpassungsprozesse bzw. eine...

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