E-Learning - bejubelt und verteufelt - Lernen mit digitalen Medien, eine Orientierungshilfe

E-Learning - bejubelt und verteufelt - Lernen mit digitalen Medien, eine Orientierungshilfe

von: Hartmut Barthelmeß

wbv Media, 2015

ISBN: 9783763955305

Sprache: Deutsch

144 Seiten, Download: 2549 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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E-Learning - bejubelt und verteufelt - Lernen mit digitalen Medien, eine Orientierungshilfe



1   Einführung


„Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“

Chinesisches Sprichwort

Einige Vertreter in Schule, Hochschule und Wirtschaft überhöhen E-Learning und verstehen E-Learning als neues Lernparadigma. Vielmehr ist es ein „Mittel zum Zweck“, um mit neuen Technologien Bildungsprozesse in einer Bildungsorganisation1) bezüglich ihrer Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit verbessern zu können. Gemeint sind Veränderungen in den wesentlichen Einsatzbereichen: Wissensaufbereitung, Lehren und Lernen, Kommunikation, Bildungsinfrastruktur und Management; der Handlungsrahmen dazu wird durch das Bildungssystem2) und durch die Politik3) festgelegt. Diesen Zusammenhang hatten ich und meine Projektpartner in Karlsruhe schon gesehen, aber vor lauter Begeisterung über die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) hatten wir zu technologiezentriert gedacht.

Wir übersahen, dass trotz der digitalen Technologien das Lernen, simpel gesagt, im „Kopf“ und in einem sozialen Umfeld stattfindet. Dass es für jeden – in unterschiedlichem Maße – weiterhin anstrengend bleibt zu lernen. Für bestimmte Lerner4) kann der Frontalunterricht in Schule und Hochschule eine gute Lernform sein, für andere ist es wichtig, im realen Zusammenhang und durch sinnliches Erleben zu lernen. Und wieder für andere ist es richtig, am Computer oder in einer Bibliothek zu lernen. Wie jeder lernt, ist sehr unterschiedlich. Demzufolge ist es, ausgehend von seinen Selbsterfahrungen, die Entscheidung des Lerners, wie er am besten lernt und nicht wie es sich Lehrende für den Einzelnen oder für die Gruppe vorstellen. Es ist ein Erkundungs- und Findungsprozess. Der Lernende sucht ein passendes soziales Umfeld, eine Einrichtung und/oder eine Person, die ähnlich „tickt“ wie er selbst. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft und sozialer Kommunikation, in einer Gruppe zu lernen, ist mehr oder weniger bei jedem Individuum vorhanden. Es muss „passen“ und es muss auch ein gegenseitiges Geben und Nehmen innerhalb einer Gruppe sein. Dies könnten Lehrende fördern. Dieser Sachverhalt ist nicht wirklich neu. Die Reformpädagogik im vergangenen Jahrhundert hat sehr ähnliche Fragen gestellt. Neu ist, dass es jetzt zum einen E-Learning (das „E“ steht lediglich für Rechneranwendung, digitale Medien und Internet) gibt, das derartige Konzepte des differenzierten Förderns und Forderns technologisch unterstützen könnte. Und zum anderen ist es neu, dass es von außen den Druck durch die Digitalisierung und die Globalisierung gibt, eine auf Veränderungen reagierende Lösung für das Lernen und Lehren zu finden.

Meine Projektpartner und ich glaubten, dass all diese unterschiedlichen Bedürfnisse und sich daraus ergebenden individuellen Wünsche in Verbindung mit E-Learning über eine Mediendidaktik neu und modern gelöst werden könnten. Es kam uns zunächst nicht in den Sinn, dass unsere Überlegungen ausgeweitet werden müssten, um den komplexeren Zusammenhängen des Themengebietes des „Lernens“ gerecht werden zu können. Wir übersahen, dass man sich zuerst fragen müsse, was das zu lösende Hauptproblem sei und was die Nebenprobleme sind, die man auch lösen müsse: Schule, Hochschule und Wirtschaft unterscheiden sich dabei grundsätzlich.

Im Bereich Schule ist das Hauptproblem der unterschiedliche Zeitbedarf der Schüler beim kognitiven Lernen. Ein Verteilen der Lernenden auf Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien löst das Problem nicht. Innerhalb dieser Schulbereiche gibt es immer noch Unterschiede in den Klassen, worin einige unterfordert und andere überfordert sind. Dieser Ansatz der institutionellen Differenzierung nach Hauptschule, Realschule und Gymnasium ist nicht nur aus sozialer Sicht umstritten, sondern dies ist auch nach Manfred Bönsch (2009) pädagogisch ineffizient. Lernwege sind nun einmal verschieden. Trotzdem könnten Lernende auf unterschiedlichen Wegen und mit unterschiedlicher Dauer zum gleichen Ziel geführt werden.

Im Bereich der Hochschulen ist das Hauptproblem die Vermassung: Es ist hierbei vonnöten, mit der Masse an Studierenden professionell umzugehen. Nebenproble­me sind die mäßige Aktualität und die zu wenig (praktisch) geförderte Anwendung der Wissensinhalte.

Im Bereich der Wirtschaft besteht das Hauptproblem darin, die immer wichtiger werdende berufliche oder betriebliche Aus- und Weiterbildung qualitäts-, zeit- und kosteneffizient zu beherrschen, innovationsförderndes Wissen als Ressource zu managen.

Auf der Lernerebene (Schule, Hochschule, Wirtschaft) übersahen wir, dass es sinnvoll ist, wenn Lernende mit ihren individuellen Ausgangsbedingungen, ihrem Zeitbedarf und ihren eigenen Neigungen die Formen des Lernens selbst bestimmen könnten, dass Lernende in die Umgestaltung von Lernprozessen mit einbezogen werden wollen, dass es ein Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit gibt: Das Digitale schließt das Soziale nicht aus, sondern verstärkt es eher noch. Dass jeder Einzelne eigenverantwortlich und selbstbestimmt für sich herausfinden will, welcher Weg (agiler Ansatz) zum Erreichen der Bildungsziele oder Qualifikationen für ihn der richtige ist.

Was möchte der Lernende individuell und was will er eingebunden in eine soziale Interaktion lernen? Bisher wurden Lernende kaum gefragt, wie Bildungsinhalte aufzubereiten und zu vermitteln sind. Es war ausschließlich die Aufgabe der Lehrenden, dies mehr oder weniger gut zu tun. Das notwendige Talent der Lehrenden, bei den Lernenden

  • Aufmerksamkeit

  • Neugier

  • Motivation und

  • emotionale Beteiligung

aufrechtzuerhalten, ist nicht jedem gleich gegeben. Ein schlechter Lehrender kann auch nicht durch die Verwendung digitaler Medien ein guter Lehrender werden.

Es ist in der Tat für einen Lernenden schwierig, eine Schule, Hochschule oder Ausbildung so auszuwählen, dass sie in der Wissensvermittlung (Didaktik und Inhalte) den eigenen Neigungen, dem Zeitbedarf, Lernbedürfnissen und kognitiven Anlagen gerecht und sie als insgesamt passend empfunden wird. „Passend“ bedeutet auch, dass das soziale Miteinander, die Betreuung, die Leistungsanforderungen und die Gruppengröße stimmig sein sollten.

Hinzu kommt eine immer wichtiger werdende Anforderung aus der Wirtschaft, welche die individuelle Kompetenz der Mitarbeiter braucht, das gelernte Wissen auch kreativ anwenden zu können und nicht nur zu „wissen“. Die Fähigkeit, Wissen auch anwenden zu können, stellt sich nicht von selbst ein. Diese Fähigkeit muss beim Lernen mit erworben werden. Eine Fähigkeit, welche darüber entscheidet, wie innovativ der Einzelne sein kann, welche berufliche Entwicklung möglich ist.

Deutsche Schulen und Hochschulen unterscheiden sich in diesen vorgenannten Punkten sehr, nicht nur länderbezogen. Es gibt aktive und weniger aktive. So „ruhen“ einige Schulen und Hochschulen in sich selbst. Ein Veränderungsdruck besteht nicht. Es ist das freiwillige Engagement einzelner Lehrender und Verantwortlicher in Bildungsorganisationen, die Veränderungen ermöglichen.

Wie soll sich ein Lernender unter diesen Rahmenbedingungen entscheiden? Es erfordert seitens der Lernenden ein höheres Maß an selbstverantwortlichem und selbstbestimmtem Handeln, um die „richtige“ Schule oder Hochschule zu finden. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich dies verändert. Ein selbstverantwortliches und selbstbestimmtes Handeln der Lernenden, verbunden mit der Fähigkeit, die eigenen Potenziale real einschätzen zu können, ist notwendig, um die eigene berufliche Zukunft abzusichern und im Wettbewerb bestehen zu können.

Diesen Wettbewerb gibt es schon längst. Dieser Wettbewerb existiert nicht nur zwischen Individuen, Gruppen, Schulen, Hochschulen und Unternehmen, sondern auch zwischen Staaten und Regionen. Alles muss innovativ sein – Produkte, Organisationsformen, Technologien, Prozesse und die Art des Managements. Innovationen basieren auf neu entwickeltem Wissen, und dieses neue Wissen müssen dann alle an der Wertschöpfung direkt und indirekt beteiligten Menschen gemäß ihrer Rolle erwerben. Es ist ein beschleunigter Zyklus, nicht einer einfachen Reproduktion, sondern einer erweiterten Reproduktion von Wissen (kurz: Wissensreproduktionszyklus): vom Erkennen neuen Wissens über seine Systematisierung und Evaluierung, Falsifizierung und Katalogisierung, Konfektionierung und Aufbereitung, Vermittlung und Kommunikation, Aneignung bis hin zu seiner Anwendung und Verwertung. Und vor allem Schulen und Hochschulen haben Mühe, diesem beschleunigten Zyklus gerecht zu werden. Wenn man also Veränderungen in den Bildungsprozessen anstrebt, so muss man den Zusammenhang zwischen der Frage nach dem „anderen“ Lehren und Lernen selbst und der Frage danach, wie mit höherer Effizienz und besserer Qualität der Wissensreproduktionszyklus funktionieren könnte, bedenken und ihm gerecht werden.

Anders als bisher ist, dass Wissen im Wissensreproduktionszyklus mittels digitaler Medien anders systematisiert, gespeichert, publiziert, kommuniziert, evaluiert, produziert, vermittelt und verwertet wird. Dies bedeutet eine enorme Erweiterung zu den bisher verwendeten analogen medialen Trägern bezüglich örtlicher und zeitlicher Aufbereitung und Verfügbarkeit von Wissen.

Digitalisierung und Globalisierung konfrontieren Bildungsorganisationen mit Veränderungen, die in Wirtschaft und Gesellschaft bereits im vollen Gange sind. Bildungseinrichtungen müssen sich fragen:

  • Was sind die aus...

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