Eleanor & Park

Eleanor & Park

von: Rainbow Rowell

Carl Hanser Verlag München, 2015

ISBN: 9783446248427

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 3741 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Eleanor & Park



6


Eleanor


»Pass auf, Zottelkopf.« Tina drängte sich grob an Eleanor vorbei und stieg in den Bus.

Im Sportunterricht hatte sie alle gezwungen, Eleanor Clown zu nennen, aber inzwischen war sie schon eine Stufe weiter und nannte sie Zottelkopf und Bloody Mary. »Dein Kopf sieht nämlich aus wie ein gebrauchter Tampon«, hatte sie in der Umkleidekabine erklärt.

Es war nur logisch, dass Tina in Eleanors Sportkurs war – denn Sport war die Fortsetzung der Hölle, und Tina war definitiv ein Teufel. Ein merkwürdiger Teufel in Kleinformat. So was wie ein Spielzeugteufel. Und sie scharte eine Gang von Unterteufeln um sich, alle in den gleichen Turnanzügen.

Genau genommen trugen alle die gleichen Turnanzüge.

Schon in ihrer alten Schule hatte Eleanor es schrecklich gefunden, dass sie kurze Turnhosen anziehen mussten. (Sie hasste ihre Beine noch mehr als den Rest ihres Körpers.) Aber in der North mussten sie Turnanzüge tragen. Einteiler aus Polyester. Das Unterteil war rot, das Oberteil rotweiß gestreift und das Ganze vorne mit einem Reißverschluss.

»Rot ist nicht unbedingt deine Farbe, Clown«, hatte Tina gesagt, als sie Eleanor das erste Mal in dem Anzug sah. Die anderen Mädchen lachten alle, selbst die schwarzen, die Tina nicht ausstehen konnten. Über Eleanor zu lachen war etwas, in dem sich Schüler aller Hautfarben einig waren.

Nachdem Tina sich an ihr vorbeigezwängt hatte, ließ Eleanor sich beim Einsteigen in den Bus Zeit – aber sie war trotzdem noch vor dem blöden kleinen Asiaten auf ihrem Platz. Das hieß, dass sie aufstehen musste, um ihn auf seinen Fensterplatz zu lassen. Und das war irgendwie unangenehm. Alles war unangenehm. Bei jedem Schlagloch, über das der Bus fuhr, fiel sie dem Typen quasi in den Schoß.

Vielleicht blieb ja irgendjemand aus dem Bus weg oder starb oder sonst was, dann könnte sie sich von ihm wegsetzen.

Wenigstens redete er nie mit ihr. Oder schaute sie an.

Jedenfalls glaubte sie das; sie schaute ihn ja nie an.

Manchmal betrachtete sie seine Schuhe. Er hatte coole Schuhe. Und manchmal schielte sie zu ihm, was er las …

Immer Comics.

Eleanor nahm nie was zum Lesen mit in den Bus. Sie wollte nicht, dass Tina oder irgendwer sie mit gesenktem Kopf erwischte.

Park


Irgendwie war es ungut, jeden Tag neben einem Mädchen zu sitzen und nicht mit ihr zu reden. Auch wenn sie komisch war. (Und wie komisch! Heute sah sie aus wie ein Weihnachtsbaum, hatte alles Mögliche an ihre Klamotten gepinnt, ausgeschnittene Stofffiguren, Bänder …) Die Rückfahrt konnte gar nicht schnell genug vergehen. Park konnte es kaum erwarten, von ihr wegzukommen, von allen wegzukommen.

»Hey, wo ist dein Dobok?«

Eigentlich wollte er allein in seinem Zimmer zu Abend essen, aber sein kleiner Bruder ließ ihn nicht. Josh stand schon in seinem Taekwondo-Anzug in der Tür und verschlang eine Hähnchenkeule.

»Dad kann jeden Moment kommen«, sagte Josh durch die Keule, »und wenn du nicht fertig bist, scheißt er dich zusammen.«

Ihre Mutter erschien hinter Josh und versetzte ihm eine Kopfnuss. »Keine Kraftausdrücke, Schmuddelmund.« Sie musste dabei den Arm hochstrecken. Josh kam nach seinem Vater; er war schon jetzt mindestens siebzehn Zentimeter größer als seine Mutter – und sieben Zentimeter größer als Park.

Und das nervte ziemlich.

Park schob Josh zur Tür hinaus und knallte sie zu. Trotz des wachsenden Größenunterschieds verteidigte Park seinen Status als älterer Bruder, indem er so tat, als könnte er seinem Bruder immer noch in den Hintern treten.

Im Taekwondo konnte er ihn allerdings immer noch schlagen – aber nur, weil Josh in jeder Sportart, in der ihm seine Größe keinen offensichtlichen Vorteil brachte, schnell ungeduldig wurde. Der Footballtrainer der Highschool kam schon zu den Schülerspielen, um sich Josh anzusehen.

Park zog seinen Dobok an und fragte sich, ob er demnächst womöglich Joshs abgetragene Sachen anziehen musste. Vielleicht könnte er einen Filzstift nehmen und aus dem Husker auf Joshs Footballhemden ein Hüsker Dü machen. Aber vielleicht kam es gar nicht so weit – konnte ja sein, dass er nie größer als einen Meter dreiundsechzig und aus seinen jetzigen Sachen nie rauswachsen würde.

Er zog seine Chuck Taylors an, ging mit seinem Teller in die Küche und aß über der Anrichte. Seine Mutter versuchte gerade, einen Soßenfleck mit einem Waschlappen aus Joshs weißer Jacke zu entfernen.

»Mindy?«

So kam Parks Vater jeden Abend nach Hause, wie der Vater in einer Sitcom. (Lucy?) Und seine Mutter antwortete dann, von wo immer sie war: Bin hier!

Allerdings sagte sie: Bin hii-jä! Denn anscheinend hörte sie nie auf so zu sprechen, als wäre sie erst gestern aus Korea gekommen. Manchmal glaubte Park, dass sie ihren Akzent absichtlich bewahrte, weil er seinem Vater gefiel. Andererseits war seine Mutter in jeder anderen Hinsicht sehr bemüht, sich anzupassen … Wenn sie so hätte sprechen können, als wäre sie gleich um die Ecke aufgewachsen, dann hätte sie es auch getan.

Sein Vater kam in die Küche gerannt und nahm seine Mutter in die Arme. Das taten sie auch jeden Abend. Hemmungslose Knutschorgien, egal, wer dabei war. Es war, als würde ein baumstarker Holzfäller mit einer kleinen Disney-Puppe rummachen.

Park zupfte seinen Bruder am Ärmel. »Los, wir gehen.« Sie konnten im Impala warten. Ihr Vater würde gleich nachkommen, wenn er seinen riesigen Dobok angezogen hatte.

Eleanor


Sie konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, so früh zu Abend zu essen.

Wann hatte das alles angefangen? Früher hatten sie alle zusammen gegessen, sogar Richie … Und jetzt war es so, als wollte ihre Mutter sie alle aus dem Weg haben, bevor er heimkam.

Sie kochte ihm sogar etwas anderes. Die Kinder bekamen Käsetoast, Richie ein Steak. Eleanor beklagte sich auch gar nicht über den Käsetoast – er war eine schöne Abwechslung zur Bohnensuppe, Bohnen mit Reis, Spiegeleier mit Reis …

Nach dem Essen verschwand Eleanor gewöhnlich zum Lesen in ihr Zimmer, während die Kleinen immer nach draußen gingen. Was sollten sie machen, wenn es kalt und früh dunkel wurde? Würden sie sich alle im Kinderzimmer verstecken? Es war verrückt. Verrückt wie im Tagebuch der Anne Frank.

Eleanor kletterte auf ihr Bett und holte die Schachtel mit dem Briefpapier heraus. Die blöde graue Katze schlief wieder in ihrem Bett. Sie schob sie runter.

Sie öffnete die Grapefruitschachtel und blätterte ihr Briefpapier durch. Sie hatte sich vorgenommen, ihren Freunden aus der alten Schule zu schreiben. Als sie ging, hatte sie keine Gelegenheit gehabt, sich zu verabschieden. Ihre Mutter war aus heiterem Himmel aufgetaucht, hatte sie aus dem Unterricht geholt und nur gesagt: »Pack deine Sachen, du kommst mit nach Hause.«

Ihre Mutter hatte sich so gefreut.

Und Eleanor hatte sich auch so gefreut.

Sie waren sofort zur North gefahren, um Eleanor anzumelden, und hatten dann auf dem Weg zum neuen Haus bei Burger King angehalten. Ihre Mutter hatte ständig ihre Hand gedrückt … Und Eleanor hatte so getan, als sähe sie die blauen Flecken am Handgelenk ihrer Mutter nicht.

Die Tür ging auf, und ihre kleine Schwester kam mit der Katze im Arm herein.

»Mom will, dass du die Tür auflässt«, sagte Maisie, »damit es durchzieht.« Sämtliche Fenster im Haus waren offen, aber von Durchzug keine Spur. Durch den Türspalt sah sie Richie auf dem Sofa sitzen. Sie duckte sich schnell, bis sie ihn nicht mehr sah.

»Was machst du da?«, fragte Maisie.

»Einen Brief schreiben.«

»An wen?«

»Weiß ich noch nicht.«

»Darf ich hochkommen?«

»Nein.« Im Augenblick dachte Eleanor nur daran, ihre Schachtel sicher aufzubewahren. Sie wollte nicht, dass Maisie die Buntstifte und das saubere Papier sah. Außerdem wollte sie Maisie irgendwie immer noch dafür bestrafen, dass sie auf Richies Schoß gesessen hatte.

Früher wäre das nicht vorgekommen.

Bevor Richie Eleanor rausgeworfen hatte, waren alle Geschwister gegen ihn vereint. Vielleicht hatte sie ihn am meisten und auch am offensten gehasst, aber sie waren alle auf ihrer Seite – Ben, Maisie und sogar Mouse. Mouse klaute oft Richies Zigaretten und versteckte sie. Und Mouse war derjenige, den sie losschickten, um an die Tür ihrer Mutter zu klopfen, wenn sie Bettfedern quietschen hörten …

Wenn es schlimmer war als quietschende Bettfedern, wenn geschrien und geweint wurde, kauerten sie sich zu fünft auf Eleanors Bett zusammen. (Im alten Haus hatte jeder ein eigenes Bett gehabt.)

Maisie saß dann rechts von Eleanor. Wenn Mouse weinte und Ben ausdruckslos ins Leere starrte, drückten Maisie und Eleanor die Augen zu.

»Ich hasse ihn«, sagte Eleanor.

»Ich hasse ihn so sehr, dass ich wünschte, er wäre tot«, antwortete Maisie.

»Ich hoffe, er fällt bei der Arbeit von einer Leiter.«

»Ich hoffe, er wird von einem Lastwagen überfahren.«

»Einem Müllwagen.«

»Ja«, sagte Maisie und biss die Zähne zusammen, »und der ganze Müll soll auf seine Leiche fallen.«

»Und dann überfährt ihn noch ein Bus.«

»Ich hoffe, dass ich drinsitze.«

Maisie legte die Katze wieder auf Eleanors Bett. »Sie schläft gern da oben«, sagte sie.

»Sagst du jetzt auch Dad zu ihm?«,...

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