Tierethik als Ethik des Artenschutzes - Chancen und Grenzen

Tierethik als Ethik des Artenschutzes - Chancen und Grenzen

von: Clemens Wustmans

Kohlhammer Verlag, 2015

ISBN: 9783170256415

Sprache: Deutsch

190 Seiten, Download: 2991 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Tierethik als Ethik des Artenschutzes - Chancen und Grenzen



II.      Zum Status von Tieren in der Ethik


II.1.     Öffnung der Ethik für Tiere – Anthropozentrische Positionen


Die Konzeptionierung einer speziellen Tierethik ist ein relativ junges Phänomen. Von tatsächlichen tierethischen Konzepten im engeren Sinne zu sprechen, ist auf Grund der den Ansätzen inhärenten Kriteriologien, der deutlich größeren Rezeption und der gestiegenen Geltung innerhalb philosophischer und theologischer Diskurse wohl erst ab den 1970er Jahren möglich. Gleichwohl fußen auch sie in der Regel auf älteren Denkmodellen, auch radikale tierschützerische Entwürfe sind keine Erfindung der jüngsten Vergangenheit.3 Mit wenigen Ausnahmen ist älteren ethischen Ansätzen, die sich mit dem Status von Tieren befassen, jedoch zu attestieren, dass es sich um anthropozentrische Entwürfe handelt;4 wo Tiere vor dem 20. Jahrhundert Gegenstand ethischer Überlegungen werden, geschieht dies nicht nur abgeleitet, also vom Menschen her gedacht, sondern im Rahmen eines Weltbilds, das dem Menschen deutlich eine Sonderrolle zuweist. Exemplarisch sollen im Folgenden mit den Positionen Descartes’, Kants und Schopenhauers herausragende und besonders rezipierte Ansätze einer solchen anthropozentrischen, gleichwohl für Tiere „geöffneten“ Ethik dargestellt werden.

II.1.1.    Descartes


Große Wirkmacht entwickelten René Descartes’5 Ausführungen, in denen er die Frage, ob Tiere einen Geist besäßen, verneint.

Descartes, in dessen Philosophie physiologische Modellvorstellungen einen integralen Bestandteil ausmachen, reduzierte den lebenden Organismus auf dessen Mechanik. Dies gilt nach Descartes für Tiere und Menschen gleichermaßen, jedoch mit dem fundamentalen Unterschied, dass er dem Menschen darüber hinaus eine Seele zuspricht, die neben dem mechanisch funktionierenden Organismus den anderen Teil des Menschen ausmacht; für Tiere gilt dies nicht, sie sind nach Descartes als seelenlos anzusehen. Diese rationalistische Sicht Descartes’ auf den menschlichen Körper und vor allem den der Tiere als „Automaten“ steht im Gegensatz zu einer traditionellen, stark christlich geprägten Perspektive der Mitgeschöpflichkeit, war jedoch lange prägend für die Neuzeit.6

Diese Betrachtung der Anatomie von Lebewesen bei Descartes zielte wohl nicht auf eine verächtliche Abwertung, sie resultierte eher aus dem Versuch, die Einzigartigkeit des Menschen als vernunftbegabtem Lebewesen im Unterschied zum Tier zu betonen. Nach Descartes ist die vernünftige Seele vom Körper unabhängig, während die Körper von Gott erschaffene Maschinen sind:

„Wer weiß, wie viele Automaten und bewegliche Maschinen der menschliche Geist mit nur wenigen Mitteln herzustellen versteht, und bedenkt, welche Vielfalt von Knochen, Muskeln, Nerven, Arterien, Venen und anderen Teilen im Körper jedes Tieres zu finden ist, wird diesen Körper als Maschine betrachten, die, weil von Gott erschaffen, unvergleichlich viel besser angelegt ist als alles, was Menschen zustande bringen.“7

Die rationalistische Weltsicht Descartes´, die den Menschen als denkendes Wesen qualitativ über alle Formen der sinnlichen Welt erhebt,8 ist durchaus mit einer Bewunderung für die unvergleichlich gut konstruierten „Automaten“, die die Tiere darstellen, verbunden. Gleichwohl ist mit der Beschreibung des Körpers als Automat eine streng rationalistische Sichtweise verbunden, in der die Verfügbarkeit dieser Maschinen und letztlich die Beherrschung der materiellen Welt durch den Geist zum Ausdruck kommt. Eine für den technischen und medizinischen Aufbruch der Frühen Neuzeit fraglos inspirierende Haltung, die jedoch nicht nur den bekanntesten, sondern wohl auch den meistkritisierten Denkansatz Descartes darstellt. Verbunden mit diesem Ansatz ist eben auch eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid von Tieren – die Untersuchung des Tierkörpers in der Vivisektion, wie sie in der Frühen Neuzeit aufkam und in Form des Tierversuchs bis heute in der Forschung existiert, ist mit einer „kategorialen Abwertung der Körper“9 verbunden, sie wird taub für das Gefühl der Körper und damit auch für ein Mitgefühl mit dem Lebewesen.

Die von Descartes begründete Tradition des rationalistischen Sprechens über den Körper ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie in einer Betonung der Sonderrolle des Menschen und der damit einhergehenden Hervorhebung von Vernunft und Verstand eine umso größere Distanz zum Tier auftritt; die Differenz zwischen Mensch und Tier wird zu einer entscheidenden Referenz für die Anthropologie, jedoch verbunden mit einer Relativierung von Empfindungen, insbesondere Schmerz, beim Tier und einer Relativierung letztlich auch der Lebensrechte des Tiers.10

Dieser weitreichend prägenden Sicht des Menschen auf das Tier sind jedoch andere Ansätze beizufügen, die zwar nicht von der Anthropologie Descartes’ mit dem Menschen im Zentrum bzw. in einer durch die ihm gegebene Vernunft hervorgehobenen Stellung abrücken, gleichwohl aber Tiere expliziter in ihre ethischen Überlegungen einbeziehen. Besonders hervorzuheben sind die ethischen bzw. moralphilosophischen Ausführungen Kants und Schopenhauers.

II.1.2.    Kant und Kantische Theorien


Auch Kant setzt in seinen moralischen Überlegungen zweifelsfrei eine hierarchische Unterscheidung zwischen Mensch und Tier voraus; entscheidendes Kriterium ist für Kant die Vernunft. Der Mensch kann als vernünftiges Wesen autonom und nach selbst gegebenen Gesetzen leben, weshalb sein Leben zum Zweck an sich wird.11

Als ein solches Wesen besitzt der Mensch Würde und einen Wert, dessen Achtung das moralische Handeln motiviert. Ursula Wolf, auf deren Ansatz in Kap. II.3.4. näher eingegangen wird, stellt fest, dass diese Konzeption alltäglichen Moralvorstellungen sicherlich insofern sehr nahe kommt, als menschliche Wesen durch den ihnen inhärenten Wert und ihre Würde zu Objekten der Moral und der gebotenen moralischen Rücksicht werden.12

Grundlage für diesen moralischen Status der moralischen Rücksicht ist bei Kant die Vernunft oder zumindest die Vernunftfähigkeit; genauer: die Fähigkeit, sich selbst das Moralgesetz zu geben.13 Wie mit Menschen umzugehen ist, die nicht in diesem Sinne über Vernunft verfügen, führt Kant nicht explizit aus.14 Deutlich wird jedoch, dass Tieren der zweckhafte Vollzug des Lebens abgesprochen wird. Eine auch hier deutlich anthropozentrische Position unterscheidet zwischen dem vernunftbegabten Menschen und den Lebewesen, deren Existenz als vernunftlose Wesen nur „einen relativen Wert, als Mittel“ aufweist. Er ordnet Tiere auf derselben Ebene ein wie „Sachen“.15

Aus dieser Unterscheidung folgert auch für Kant jedoch keinesfalls, dass Tiere nicht Gegenstand moralischer Überlegungen sein können. Er erkennt an, dass Tiere häufig unter menschlicher Verfügungsgewalt leiden und teilt die alltägliche Vorstellung, dass man Tiere nicht grundlos grausam behandeln darf. Um diese Gedanken in sein moralisches Konzept integrieren zu können, entwickelt Kant die Vorstellung von „Analogien“ und abgeleiteten Pflichten.

Abgeleitete Pflichten meinen im Kant’schen Sinne, dass eben keine direkten Pflichten gegenüber dem Tier bestehen, wohl aber Pflichten gegenüber der Menschheit, die „in Ansehung der Tiere“ bestehen. Gegen Descartes betont Kant, dass sich Pflichten gegenüber der Menschlichkeit im Verhalten des Menschen gegenüber Tieren äußern können. Besonders deutlich macht er dies in seiner Vorlesung über Ethik:

„Wenn… ein Hund seinem Herrn sehr lange treu gedient hat, so ist das ein Analogon des Verdienstes, deswegen muss ich es belohnen und den Hund, wenn er nicht mehr dienen kann, bis an sein Ende erhalten … Wenn … jemand seinen Hund totschießen läßt, weil er ihm nicht mehr das Brot verdienen kann, so handelt er gar nicht wider die Pflichten gegen den Hund, weil der nicht urteilen kann, allein er verletzt dadurch die Leutseligkeit und Menschlichkeit in sich, die er in Ansehung der Pflichten der Menschheit ausüben soll. […], denn der Mensch, der schon an den Tieren solche Grausamkeiten ausübt, ist auch gegen Menschen ebenso abgehärtet.“16

Eine schlechte Behandlung von Tieren wird hier durch Kant also eindeutig abgelehnt. Gleichwohl lässt Kant „gute Zwecke“ als Grund für die Verursachung von Leiden bei Tieren zu:

„Wenn … Anatomen lebendige Tiere zu den Experimenten nehmen, so ist es zwar grausam, ob es gleich zu was Gutem...

Kategorien

Service

Info/Kontakt