Was heißt hier Respekt!?

Was heißt hier Respekt!?

von: Elke Reichart

dtv, 2015

ISBN: 9783423428392

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 1452 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Was heißt hier Respekt!?



Der Respektforscher


Eine Annäherung an einen schwierigen Begriff

Ein Gespräch mit Dr. Tilman Eckloff

Die RespectResearchGroup


Die »RespectResearchGroup« wurde 2003 von den beiden Psychologen Dr. Tilman Eckloff und Professor Niels van Quaquebeke in Hamburg gegründet: Eine der Universität angegliederte Forschungsgruppe, die Modelle entwickelt für den respektvolleren Umgang in unserer Gesellschaft. Ein Zusammenschluss von Jungwissenschaftlern der unterschiedlichsten Disziplinen, für die der Respekt der »Kitt der Gesellschaft« ist – ein bis heute in Deutschland einzigartiges wissenschaftliches Modell.

Der RespectResearchGroup geht es in ihrer Forschung um das systematische Untersuchen des Begriffs Respekt mit der Möglichkeit einer praktischen Anwendung für das Handeln in unterschiedlichen Feldern. Auf der Grundlage existierender philosophischer Ansätze und der empirisch (also mithilfe von Verfahren, die auf überprüften Erkenntnissen beruhen) arbeitenden Psychologie wird ein allgemeines theoretisches Rahmenmodell entwickelt. Für das, so die Überzeugungen der Wissenschaftler, inzwischen ein dringender Bedarf existiert: »Die Annahme, dass es für alle Menschen gemeinsame oberflächliche Kriterien gibt, die respektiert werden müssen, ist überholt. Mit Vielfalt umzugehen ist die Chance moderner Demokratien, die sich auf jeder Ebene abbildet, sei es in der Partnerschaft, in der Bildung, in der Politik oder in der Wirtschaft.«

Dr. Tilman Eckloff


Zum Interview kommt Tilman Eckloff, einer der beiden Gründer der RespectResearchGroup, im Kapuzenpullover und mit Rucksack; er ist 1975 geboren, blond, groß, schlank und allerbester Laune, was sich auch nach drei intensiven Gesprächsstunden nicht geändert haben wird.

Sein Lebensthema »Respekt« war bereits in seinem Elternhaus ein unanfechtbarer Grundwert gewesen. Vater und Mutter Eckloff lebten dem Sohn die Achtung vor der Natur vor, und darum marschierte Tilman Eckloff schon als Kind auf Demonstrationen gegen das Waldsterben mit, er protestierte gegen Atomkraft und hüpfte vor Giftmülldeponien durch die Reihen der Polizisten. »Ich hatte den festen Glauben an eine gerechtere Gesellschaft.« In seinen Visionen lebten glückliche Gleichgesinnte gleichberechtigt in Kommunen und verwirklichten friedlich und respektvoll den Aufbau einer schönen neuen Welt.

Bis zu der verhängnisvollen Woche im »Ökotopia«-Camp in den Pyrenäen, in dem der Gymnasiast Tilman mit Gleichgesinnten aus aller Welt Modelle für ein besseres Miteinander entwerfen wollte. Das Lagerleben nahm seinen friedlichen Lauf – bis plötzlich spanische Polizei-Hubschrauber am Himmel auftauchten und die vermeintlichen Terroristen observierten. Im Camp folgte eine Krisensitzung der anderen, es wurde diskutiert, was zu tun sei – nervenzermürbend, stundenlang, begleitet vom an- und abschwellenden Lärm der Hubschrauber.

Mittendrin meldete sich bei Tilman ein nagendes Hungergefühl. Im Gegensatz zu den anderen hatte er völlig vergessen, sich am inzwischen geschlossenen Küchenwagen zu versorgen. Er bat einen Mitbewohner, der mit drei dicken Käsebroten unter einem Baum saß, mit ihm zu teilen. »Bis heute habe ich seinen kampfbereit-verschämten Blick nicht vergessen und die Art, wie er seine Hände über dem Essen verschränkte. Für ihn war klar: Abgegeben wird nichts. Mir aber wurde auch etwas klar: Wenn die Ressourcen knapp sind, ist Schluss mit der gerechten Gesellschaft. Dann denkt jeder nur noch an sich selbst.«

Eine interessante Lektion für den jungen Idealisten. Tilman Eckloff zog daraus folgende Lehre: Wenn man will, dass alle gemeinsam etwas erreichen wollen und zufrieden sind, muss man die richtigen Strukturen dafür schaffen. In der Praxis hätte das im Camp durchgehende Öffnungszeiten für den Küchenwagen bedeutet. Und in der Theorie: die prinzipielle Anerkennung des gleichen Rechts aller auf freie Entfaltung. Mit anderen Worten: Respekt. Tilman hatte viele Illusionen verloren, aber sein Lebensthema gefunden.

Tilman Eckloff: Was ist Respekt?


Re/spic/ere, (lat.) u. a.: zurückschauen, berücksichtigen, beachte dich selbst, überdenke dich selbst

Etwas respektieren heißt zunächst einmal: es genau zu betrachten, es ernst zu nehmen, es klar und deutlich so wahrzunehmen, wie es ist. Respekt drückt sich aus in der Anerkennung des Mitmenschen mit allen seinen Gegensätzen als eine Person, die das gleiche Recht hat wie ich, sich frei zu entfalten.

In einer respektvollen Gesellschaft erkennen sich die verschiedenen Menschen wechselseitig als gleichwertig an. Das ist das Grundprinzip. Und darauf wird aufgebaut: Man handelt anschließend miteinander aus, wie die Ausgestaltung des Miteinanderlebens konkret aussehen soll. Das kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, aber die wesentliche Voraussetzung ist die Haltung, den anderen wirklich wertzuschätzen, ihn für wichtig und ernst zu nehmen.

Ohne Respekt kann der Einzelne in unserer Gesellschaft keinen sicheren Ort für sich finden. Respekt ist die Grundlage, um in einer komplexen Gesellschaft in Frieden und Freiheit leben zu können.

Ein Mangel an Respekt kann unglücklich und krank machen, er zerstört Beziehungen und ist häufig der Grund für Partnerprobleme, Familienzwist, Sinnkrisen. Wer zum Beispiel auf seine Fragen keine Antworten oder auf sein Verhalten keine Reaktion von seinem Gegenüber bekommt, wird dies als Angriffe auf seine seelische Unversehrtheit empfinden und mit schwindendem Selbstrespekt reagieren. Den anderen beschämen, ihn erniedrigen, ihm Gewalt antun: Respektlosigkeit hat viele Facetten, die das Selbstvertrauen vernichten können.

Kann nicht einfach jeder jeden respektieren?


Nein, das ist nicht möglich. Respekt ist keine Eigenschaft, die man hat und die man dann immer und jederzeit auf jeden anwenden kann. Respekt entsteht in der Beziehung, die man zu einem anderen hat. Erst in einer konkreten Situation – zum Beispiel im Konfliktfall – erkennt man, ob man den anderen als gleichwertigen Partner anerkennt oder nicht. Wenn es keinen Streit gibt, dann ist der Respekt gar nicht herausgefordert. Wenn alles gut läuft, dann ist es mir vielleicht egal, was der andere denkt oder tut. Ich stimme dem anderen zu oder bin gleichgültig. Das alles ist noch kein Respekt. Erst wenn ich die Haltung des anderen ablehne, ist der Respekt gefordert – dann stellt sich die Frage: Wie gehe ich damit um?

Menschen sind soziale Wesen, sie tragen den Respekt voreinander grundsätzlich in sich. Ohne diesen schon vorhandenen Respekt gäbe es ständig noch viel mehr Probleme zwischen den einzelnen Individuen, Generationen, Milieus und Kulturen. Wir töten einander ja nicht nur deshalb nicht, weil es gesetzlich verboten ist, sondern weil wir uns im Großen und Ganzen respektieren. Allerdings gibt es immer wieder gesellschaftliche Systeme, die bestimmten Menschen ihre elementaren Rechte vorenthalten und sie als minderwertig degradieren. Dann ist auch der Respekt im persönlichen Miteinander mit diesen Menschen grundsätzlich in Gefahr.

Es gibt viele unterschiedliche Auffassungen von Respekt. Der Großvater will Respekt – soll heißen: Er will höflich behandelt werden. Der Lehrer verlangt Respekt – und meint Gehorsam. Man hat Respekt vor einem Hund oder dem Türsteher einer Disco – und hat in Wirklichkeit Angst. Man sagt, man respektiere Menschen aus anderen Kulturkreisen – und versteht darunter oft bestenfalls nicht mehr als tolerieren.

Was ist der Unterschied zwischen …


Respekt/Toleranz?

Toleranz lässt sich von dem lateinischen Verb »tolerare« ableiten, was in der Übersetzung »ertragen« oder »erleiden« bedeutet. Toleranz hat immer etwas Herablassendes, es hat den Beigeschmack, dass ein Mächtiger den Schwächeren duldet. Am Beispiel Migration: Der junge Türke mit dem Obstladen um die Ecke wird toleriert, solange er lieb und nett ist und nicht stört. Er aber will mehr – er will Respekt. Es reicht ihm nicht, geduldet zu werden, er will als gleichwertig anerkannt werden.

Und das aus gutem Grund. Wenn er nur toleriert wird, muss er sich an die herrschenden Verhältnisse anpassen und kann seine Freiheit und Identität nicht so entfalten, wie es ihm entspräche, wenn er anerkannt werden würde. Wird er hingegen als prinzipiell gleichwertiges Gegenüber respektiert, ist es nicht nur er, der sich anpassen muss, sondern auch die Gesellschaft, in der er lebt. Beide handeln dann in einem Prozess wechselseitiger Anerkennung aus, auf welche Weise ein Zusammenleben möglich ist und wie die Freiheit des Einzelnen so gelebt werden kann, dass sie sich in ein friedliches Miteinander integriert.

Respekt/Gehorsam?

Wer Gehorsam fordert, verlangt von dem anderen, dass er ihm folgt. Der Gehorsam aber sollte in einer respektvollen Beziehung immer freiwillig sein, nicht eingefordert werden. Eltern sollten ihren Kindern die Erfahrung vermitteln, dass diese selbst einen Wert haben, ebenso wie Lehrer ihren Schülern, Ausbilder ihren Auszubildenden, Professoren ihren Studenten. Die Jüngeren sollten wissen, dass das, was sie tun und sind, nützlich für die Gesellschaft ist. Dann bleibt das Gefühl, wertvoll zu sein, auch in solchen Zeiten erhalten, in denen die Leistungen in der Schule und im Beruf nicht den Vorstellungen der Umgebung entsprechen. Wenn Menschen fühlen, dass sie wirklich einen Wert haben, dann fällt es ihnen sehr viel leichter, Probleme und Konflikte auf Augenhöhe auszuhandeln.

Respekt/Liebe?

Respekt wird »geschuldet«, man »verdient« ihn oder hat etwas an sich, was Respekt »hervorruft«. Diese (alltags-) sprachlichen Verwendungsformen des Begriffs verweisen darauf, dass das...

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