Frances Hodgson Burnett, Sara, die kleine Prinzessin - Vollständige, ungekürzte Ausgabe

Frances Hodgson Burnett, Sara, die kleine Prinzessin - Vollständige, ungekürzte Ausgabe

von: Frances Hodgson Burnett

Anaconda Verlag, 2015

ISBN: 9783730691281

Sprache: Deutsch

256 Seiten, Download: 1107 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Frances Hodgson Burnett, Sara, die kleine Prinzessin - Vollständige, ungekürzte Ausgabe



1. Kapitel


Sara


An einem dunklen Wintertag, als in den Straßen von London fahler Nebel hing, so dicht und schwer, dass die Laternen angezündet werden mussten und die Schaufenster wie am Abend hell erleuchtet waren, saß ein kleines Mädchen mit seinem Vater in einer Kutsche, die langsam die breiten Hauptstraßen entlangfuhr.

Sie hatte die Beine untergeschlagen, schmiegte sich in die Arme ihres Vaters und betrachtete mit ihren großen Augen gedankenverloren die Menschen auf dem Gehsteig.

Weil sie noch sehr jung war, nahm sich der Ausdruck in ihrem schmalen Gesicht ziemlich wunderlich aus. Selbst ein zwölfjähriges Kind hätte dadurch ältlich gewirkt, und Sara Crewe war erst sieben. Es war jedoch ihre Art, stets vor sich hin zu träumen und sich eigenartige Gedanken zu machen, und schon immer hatte sie auch über die Erwachsenen und ihre Welt nachgedacht. Dabei schien ihr, als habe sie selbst schon ein langes Leben hinter sich.

Jetzt dachte sie an die Reise, die sie mit ihrem Vater, Captain Crewe, von Bombay hierhergeführt hatte. Sie dachte an das große Schiff, an die indischen Matrosen, die lautlos hin und her gehuscht waren, an die Kinder, die auf dem heißen Deck miteinander gespielt hatten, und daran, wie die Frauen der jungen Offiziere ihr Fragen gestellt und dann über das, was sie sagte, gelacht hatten.

Am meisten beschäftigte sie jedoch, wie merkwürdig es war, dass sie sich eben noch unter der sengenden Sonne Indiens befunden hatte, dann mitten auf dem Ozean und jetzt in diesem seltsamen Gefährt durch seltsame Straßen fuhr, wo es tagsüber so finster war wie bei Nacht. Diese Vorstellung verwirrte sie, und sie schmiegte sich noch näher an ihren Vater.

»Papa«, sagte sie leise und mit schwacher Stimme, fast flüsternd, »Papa.«

»Was ist denn, mein Liebling?«, fragte Captain Crewe, zog sie an sich und sah zu ihr hinab. »Was geht meiner Sara durch den Kopf?«

»Sind wir jetzt da?«, flüsterte Sara und kuschelte sich noch näher an ihn.

»Ja, meine kleine Sara, wir sind da. Jetzt sind wir endlich am Ziel.« Und selbst mit ihren sieben Jahren wusste sie, dass er in diesem Moment sehr traurig war.

Sara kam es vor, als habe ihr Vater sie schon seit Jahren darauf vorbereitet, dass sie einmal »dorthin« gehen würde, wie sie für sich sagte. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, sie hatte sie also nie gekannt oder vermisst. Ihr Vater, jung, gut aussehend, reich und fürsorglich, war der einzige Mensch, den sie im Leben hatte. Sie hatten immer miteinander gespielt und mochten einander sehr gern. Dass er reich war, wusste sie nur, weil die Leute manchmal davon sprachen, wenn sie glaubten, Sara würde nicht zuhören, und sie hatte auch davon reden hören, dass sie selbst einmal reich sein werde. Sie hatte keinerlei Vorstellung davon, was es hieß, reich zu sein. Sie hatte immer in einem herrschaftlichen Haus gelebt und war es gewohnt, von einer Vielzahl von Dienern umgeben zu sein, die sie höflich grüßten, sie »Kleine Miss Sahib« nannten und all ihre Wünsche erfüllten. Sie hatte Spielzeug und Haustiere besessen, war von einem Kindermädchen, das ihr zu Füßen lag, umsorgt worden und hatte mit der Zeit begriffen, dass das bei reichen Leuten einfach so war. Das war jedoch schon alles, was sie darüber wusste.

In ihren wenigen Lebensjahren hatte sie nur eine Sorge gehabt, nämlich dass sie früher oder später »dorthin« gebracht würde. Weil das Klima in Indien sehr schädlich für sie war, wurden die Kinder so früh wie möglich weggeschickt, üblicherweise nach England und auf eine Schule. Sara hatte miterlebt, wie andere Kinder fortgegangen waren, und hatte deren Eltern über die Briefe sprechen hören, die sie von ihnen erhielten. Sie hatte immer gewusst, dass auch sie eines Tages würde weggehen müssen, und obwohl sie ihrem Vater bisweilen interessiert zugehört hatte, wenn er von der neuen Heimat und der Reise dorthin erzählte, hatte der Gedanke, von ihm getrennt zu sein, ihr Kummer bereitet.

»Kannst du denn nicht mit mir dorthin gehen, Papa?«, hatte sie ihn gefragt, als sie fünf war. »Kannst du denn nicht auch dort in die Schule gehen? Ich würde dir auch bei den Hausaufgaben helfen.«

»Aber du wirst doch gar nicht lange weg sein, meine kleine Sara«, hatte er stets geantwortet. »Du wirst in einem schönen Haus leben, mit vielen anderen Mädchen, mit denen du spielen kannst, ich werde dir viele Bücher schicken, und die Zeit wird so schnell vergehen, dass es dir höchstens wie ein Jahr vorkommt, bis du groß und gescheit genug bist, dass du wieder zurückkommen und dich um deinen Papa kümmern kannst.«

Diese Vorstellung hatte ihr gefallen. Ihrem Vater den Haushalt zu führen, mit ihm auszureiten, bei seinen Abendgesellschaften der Tafel vorzusitzen, mit ihm Gespräche zu führen und seine Bücher zu lesen – sie hätte sich nichts Schöneres denken können, und wenn sie dafür »dorthin« gehen musste, nach England, blieb ihr keine andere Wahl. Für andere Mädchen interessierte sie sich kaum, doch mit genügend Büchern würde sie gut zurechtkommen. Bücher waren ihr das Liebste auf der Welt, und sie erfand selbst laufend wunderschöne Geschichten, die sie sich selbst erzählte. Manchmal erzählte sie sie ihrem Vater, dem sie genauso gut gefielen wie ihr.

»Nun, Papa«, sagte sie mit sanfter Stimme, »da wir jetzt am Ziel sind, müssen wir uns wohl in unser Schicksal fügen.«

Captain Crewe lachte über diesen altmodischen Ausdruck und gab Sara einen Kuss. Er selbst empfand den Abschied gar nicht als schicksalhaft, doch er wusste, dass er das nicht zeigen durfte. Seine reizende kleine Sara war ihm eine treue Begleiterin gewesen und er ahnte, wie einsam er sich bei der Rückkehr nach Indien fühlen würde, wenn er sein Haus beträte und nicht damit rechnen durfte, dass ihm eine kleine Gestalt im weißen Kleid entgegeneilte, um ihn zu begrüßen. Daher hielt er Sara noch einmal fest in seinen Armen, während die Kutsche auf den großen, tristen Platz mit dem Haus fuhr, in dem ihre Reise endete.

Es war ein großes, tristes Backsteinhaus, das genauso aussah wie alle anderen Häuser in der Straße, bis auf eine glänzende Messingplatte an der Eingangstür, in die in schwarzen Lettern eingraviert war:

MISS MINCHIN
Private Lehranstalt für junge Damen

»Wir sind da, Sara«, sagte Captain Crewe und versuchte, so fröhlich wie möglich zu klingen. Dann hob er Sara aus der Kutsche und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf und läuteten. Später dachte Sara immer wieder, dass das Gebäude ganz seiner Besitzerin Miss Minchin entsprach. Es wirkte ehrenwert und war ordentlich eingerichtet, doch im Inneren war alles hässlich; sogar die Lehnsessel schienen ein Skelett aus harten Knochen zu haben. Die polierten Möbel in der Eingangshalle machten einen abweisenden Eindruck, und selbst der Mond mit rotglänzenden Wangen auf der Standuhr in der Ecke blickte streng herab. In dem Salon, in den Sara und ihr Vater geführt wurden, lag ein Teppich mit altmodischem Muster, die Stühle waren altmodisch und auf dem schweren marmornen Kaminsims stand eine schwere marmorne Uhr.

Sara setzte sich auf einen der harten Mahagonistühle und sah sich rasch um.

»Mir gefällt es hier nicht, Papa«, sagte sie. »Aber ich meine, es dürfte auch einem Soldaten – und sei er noch so tapfer – nicht eigentlich gefallen, in die Schlacht zu ziehen.«

Bei diesen Worten musste Captain Crewe herzlich lachen. Er war jung und hatte ein heiteres Gemüt, und Saras sonderbare Art zu reden gefiel ihm jedes Mal wieder.

»Ach, Sara«, sagte er, »was werde ich nur tun, wenn ich niemanden mehr habe, der sich so gewählt ausdrückt? Niemand redet so vornehm wie du.«

»Aber weshalb musst du dabei so lachen?«, wollte Sara wissen.

»Es ist einfach lustig, wenn du so sprichst«, antwortete er und lachte noch lauter. Doch dann wurde er plötzlich still, drückte Sara an sich, überhäufte sie mit Küssen, und es wirkte fast, als kämen ihm die Tränen.

In diesem Moment betrat Miss Minchin den Salon. Sara sah auf den ersten Blick, dass sie genau wie ihr Haus war: groß und glanzlos, ehrenwert und abstoßend. Sie hatte weite, glasige Augen und auf ihrem Gesicht lag ein breites, frostiges Lächeln. Als sie Sara und Captain Crewe sah, wurde ihr Lächeln noch breiter. Die Dame, die Saras Vater ihre Lehranstalt empfohlen hatte, hatte ihr nur Vorteilhaftes über diesen jungen Offizier berichtet. Unter anderem hatte Miss Minchin erfahren, dass er ein reicher Mann war und bereit, für das Wohl seiner Tochter viel Geld auszugeben.

»Captain Crewe, es wird mir eine große Ehre sein, ein so hübsches und begabtes Kind in meiner Obhut zu...

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