Witch Hunter - Roman

Witch Hunter - Roman

von: Virginia Boecker

dtv, 2016

ISBN: 9783423429214

Sprache: Deutsch

384 Seiten, Download: 1034 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Witch Hunter - Roman



   1   


Ich stehe am Rand eines Platzes, auf dem sich die Menschen drängen. Sie sehen zu, wie die Scheiterhaufen angezündet werden. Die beiden Henker in ihren dunkelroten Umhängen und den verkohlten Lederhandschuhen umrunden mit brennenden Fackeln die hölzernen Plattformen, wo vier Hexen und drei Hexenmeister stehen, festgezurrt an dicken Holzpfosten. Rings um ihre Füße sind Reisigbündel aufgeschichtet. Mit entschlossenem Blick starren sie in die Menge.

Ich weiß nicht, was genau sie verbrochen haben; ich habe sie nicht selbst verhaftet. Aber ich weiß, dass es keine Ausflüchte und keine Entschuldigungen von ihnen geben wird. Kein Winseln um Gnade, kein Widerrufen ihrer Taten. Sie verharren schweigend, auch als die Henker die Fackeln an das Holz halten und die ersten Flammen in den bleigrauen Himmel züngeln. Unbeugsam bis zum Ende.

So war es nicht immer. Aber je mehr die Rebellion der Reformisten um sich greift, desto unnachgiebiger und trotziger werden die Reformisten selbst. Außerdem spielt es keine Rolle, was man ihnen zur Last legt. Welcher Magie sie sich bedienten. Zaubersprüche, Geisteranrufungen, Tränke, Kräuter – das alles ist heutzutage verboten.

Es gab eine Zeit, als diese Dinge toleriert wurden, sogar geschätzt. Magie wurde als hilfreich angesehen. Früher. Dann kam die Pest. Begonnen durch Magie, verbreitet durch Magie. Durch die Magie wären wir beinahe vernichtet worden.

Wir haben sie gewarnt, haben sie aufgefordert, damit aufzuhören, aber sie taten es nicht. Jetzt stehen wir hier auf einem schmutzigen Platz unter einem schmutzigen Himmel und zwingen sie zum Aufhören.

Rechts von mir, vielleicht zwanzig Meter entfernt, steht Caleb. Er starrt ins Feuer, die blauen Augen zu Schlitzen verengt, die Stirn gerunzelt. Seine Miene verrät nichts. Vielleicht ist er traurig oder gelangweilt, vielleicht spielt er auch gerade in Gedanken »Kreis und Kreuz« mit sich selbst. Es ist schwer zu sagen. Selbst ich weiß nur selten, was er denkt, und ich kenne ihn länger als irgendjemand sonst.

Er ist wachsam. Er weiß, dass die Proteste nicht mehr lange auf sich warten lassen. Schon werden die Stimmen lauter, Füße scharren, vereinzelte Rufe von Verwandten oder Freunden sind zu hören. Die Leute halten Stöcke und Steine in der Hand. Noch warten sie ab, aus Respekt vor den Männern und Frauen auf dem Scheiterhaufen. Aber wenn sie nicht mehr sind, wird die Wut losbrechen. Gegen die Henker, gegen die Wachen, die die Straße säumen, gegen jeden, der dafür sorgt, dass dem Gesetz Genüge getan wird. Die Menschen haben Angst vor Magie, aber noch mehr fürchten sie sich vor den Magiern und ihrer Rache.

Da! – Ein leichtes Zupfen an einer dunkelblonden Locke, eine Hand, die sich langsam in eine Hosentasche schiebt. Es ist so weit.

Ich habe den Platz zur Hälfte überquert, als das Schreien anfängt. Ich bekomme einen Stoß in den Rücken, dann noch einen. Ich stolpere vorwärts und pralle gegen einen Mann vor mir. »Pass doch auf!« Er wirbelt herum und funkelt mich böse an. Aber sobald er mich sieht, wird sein Blick freundlich. »Tut mir leid, Miss. Ich habe Euch nicht gesehen, und …« Er verstummt und betrachtet mich genauer. »Bei meiner Treu, Ihr seid ja noch ein halbes Kind. Ihr solltet nicht hier sein. Geht nach Hause. Hier gibt es nichts für Euch zu sehen.« Ich nicke und weiche zurück. In einem hat er recht: Hier gibt es nichts für mich zu sehen.

Ich folge Caleb eine breite, gepflasterte Straße entlang, dann durch den »Knoten« – ein Labyrinth aus engen, mit Unrat übersäten Gassen –, vorbei an aneinandergedrängten Häusern aus dunklem Holz, deren steile Dächer die Straße bei Tag und Nacht in Schatten hüllen. Wir durchqueren sie rasch: Kuhgasse, Fasanenplatz, Gänseweg. Die Straßen in dieser Gegend haben seltsame Namen aus einer Zeit, als auf dem Marktplatz von Tyborn noch Vieh verkauft und geschlachtet wurde.

Heute ist es ein Schlachtplatz für Menschen.

Auf den Straßen ist viel los, was an einem Brandtag nichts Ungewöhnliches ist. Alle, die nicht der Hinrichtung beiwohnen, stehen vor dem Ravenscourt Palast und protestieren dagegen oder hocken in einer Taverne in Upminster und versuchen, sie zu vergessen. Es ist riskant, heute eine Verhaftung vorzunehmen. Man könnte uns sehen. Und dann haben wir die aufgebrachte Menge auf dem Hals. Wenn wir eine gewöhnliche Hexe im Visier hätten, würden wir die Sache auf einen anderen Tag verschieben.

Aber das ist keine gewöhnliche Verhaftung.

Caleb zieht mich in einen dunklen Hauseingang. »Bist du bereit?«

»Natürlich.« Ich lächle.

Er grinst mich an. »Alle spitzen Gegenstände in Angriffsposition?«

Ich greife unter meinen Umhang und ziehe mein Schwert.

Caleb nickt zufrieden. »Die Wachen warten auf uns am Fasanenplatz, und für alle Fälle habe ich Marcus im Gänseweg und Linus in der Kuhgasse postiert.« Er macht eine Pause. »Mann, diese Straßennamen sind einfach dämlich.«

Ich muss ein Lachen unterdrücken. »Ich weiß. Aber ich werde Marcus’ und Linus’ Hilfe nicht brauchen. Ich schaffe das schon.«

»Wenn du es sagst.« Caleb greift in seine Tasche und holt eine Fünf-Shilling-Münze heraus, nimmt das Geldstück zwischen Daumen und Zeigefinger und hält es mir vor die Augen. »Sagen wir, das Übliche?«

Ich stoße ein Schnauben aus. »Das könnte dir so passen. Ich muss fünfmal ran, also steht mir auch fünfmal das Kopfgeld zu. Außerdem sind das Totenbeschwörer, was bedeutet, dass ich es mit mindestens einem Leichnam, jeder Menge Blut und einem Haufen Knochen zu tun habe. Das macht einen Sovereign, mindestens, du Knauser.«

Caleb lacht. »Du handelst wie ein Marktweib, Grey. Also schön. Sagen wir zwei Sovereigns, und danach gehen wir was trinken. Einverstanden?«

»Einverstanden.« Ich reiche ihm meine Hand, aber statt einzuschlagen, küsst er sie. Mein Magen schlägt einen komischen kleinen Purzelbaum und ich fühle, wir mir die Hitze in die Wangen steigt. Aber er scheint es nicht zu bemerken. Er steckt bloß die Münze wieder ein, zieht dann seinen Dolch aus dem Gürtel, wirft ihn in die Luft und fängt ihn geschickt wieder auf.

»Gut. Dann lass uns anfangen. Diese Totenbeschwörer werden sich nicht selbst verhaften.« An die Hauswände gedrückt huschen wir weiter. Jeder Schritt durch den Morast in der Gasse macht ein leise schmatzendes Geräusch. Endlich stehen wir vor dem Haus, auf das wir es abgesehen haben. Von außen unterscheidet es sich durch nichts von den anderen Häusern: ein kleines, ganz gewöhnliches, weiß getünchtes Gebäude mit einer Holztür, von der die rote Farbe abblättert. Doch was hinter dieser Tür vorgeht, ist alles andere als gewöhnlich. Normalerweise sind die Hexenmeister, die ich verhafte, noch am Leben, sind aus Fleisch und Blut. Heute vermutlich nicht. Mein Magen verkrampft sich leicht, wie immer vor einem Arrest, in einer Mischung aus Erregung, Angst und Nervosität.

»Ich trete die Tür auf, aber du gehst zuerst rein«, flüstert mir Caleb zu. »Du hast das Kommando. Es ist deine Beute. Schwert bereit, und los. Die Waffe immer vor dem Körper, nicht eine Sekunde lang senken. Und lies den Arrestbrief vor.«

»Ich weiß.« Ich habe keine Ahnung, warum er mir das alles sagt. »Ich mache das schließlich nicht zum ersten Mal.«

»Schon klar. Aber das hier ist anders. Sie sind anders. Rein und raus, keine Spielchen. Und keine Fehler mehr, klar? Ich kann dich nicht jedes Mal decken.«

Ich denke an all die Ausrutscher, die mir in den letzten Wochen passiert sind: die Hexe, die mir auf der wilden Jagd durch die Straßen beinahe entwischt wäre; der Schornstein, in dem ich stecken blieb, weil ich nach versteckten Zauberbüchern suchte; das Cottage, das ich in der Vermutung stürmte, es würden ein paar Hexenmeister darin Zaubertränke brauen. Stattdessen waren da nur ein paar ältliche Ordensbrüder, die Bier herstellten. Missgeschicke, ich kann es nicht leugnen. Aber Fehler mache ich nicht.

Zumindest war das früher so.

»Verstanden.« Ich hebe mein Schwert, das unruhig in meinen schweißnassen Händen liegt. Rasch wische ich sie an meinem Umhang ab. Caleb tritt mit voller Wucht gegen die Tür. Sie bricht auf und ich stürme ins Haus.

Drinnen finde ich wie erwartet die fünf Totenbeschwörer, die sich kreisförmig um ein offenes Feuer versammelt haben. Über den Flammen hängt ein großer Kessel, aus dem sich ein faulig stinkender, rosafarbener Dampf wölbt. Die fünf tragen zerschlissene braune Kutten mit großen Kapuzen, die ihre Gesichter verbergen. Sie stöhnen und singen, in jeder Hand Knochen – entweder sind es Armknochen oder die Beinknochen eines sehr kleinen Menschen –, wie ein Haufen Kannibalen. Ich würde lachen, wenn mich der Anblick nicht so ekelte.

Ich gehe um sie herum, das Schwert stets auf sie gerichtet. »Hermes Trismegistos. Ostanes der Perser. Olympiodorus von Theben …« Ich verstumme, weil ich mir bei diesen hochtrabenden Namen, die sie sich selbst geben, beinahe einen Knoten in die Zunge mache.

»Ihr fünf«, sage ich schließlich. »Kraft der Autorität, die mir König Malcolm von Anglia verliehen hat, verhafte ich euch wegen der unerlaubten Ausübung von Hexerei.«

Sie singen einfach weiter, schauen nicht einmal auf. Ich werfe Caleb einen Blick zu. Er steht neben der Tür und spielt immer noch mit seinem Dolch. Er wirkt belustigt.

»Ihr werdet euch widerstandslos abführen und nach Upminster bringen lassen, wo ihr im Fleet-Gefängnis auf eure Verhandlung unter dem Vorsitz des Obersten Inquisitors, Lord Blackwell, dem Herzog von Norwich,...

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