Einstellungsinterviews vorbereiten und durchführen

Einstellungsinterviews vorbereiten und durchführen

von: Heinz Schuler, Patrick Mussel

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783844423976

Sprache: Deutsch

151 Seiten, Download: 3256 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Einstellungsinterviews vorbereiten und durchführen



|23|2 Modelle


Das zweite Kapitel beschreibt Theorien und Modelle, die die im Interview ablaufenden Prozesse und Ergebnisse sowie deren Einflussgrößen systematisieren. Zunächst wird das Modell zur sozialen Urteilsbildung dargestellt, das die im Interview ablaufenden Prozesse erklärt, wobei insbesondere der Einfluss menschlicher Informationsverarbeitung auf die Entscheidung deutlich wird. Das als zweites beschriebene Modell zur Konstruktvalidität fokussiert hingegen auf die Ergebnisse des Interviews – die Beurteilung der Interviewer – und erlaubt durch die Betrachtung der Konstrukte, die im Interview erfasst werden, eine methodische Einordnung des Interviews. Die sich anschließenden Modelle zur Strukturiertheit systematisieren, welche Parameter zur Verfügung stehen, um Interviews zu strukturieren. Schließlich werden in den beiden abschließenden Abschnitten zu Bewerberkognition sowie zu Selbstdarstellung und Verfälschung zwei Ansätze vorgestellt, die die Person des Bewerbers und dessen Verhalten im Interview in den Fokus rücken.

2.1 Soziale Urteilsbildung


Das Modell zur sozialen Urteilsbildung nach Schuler (2002) beschreibt und erklärt die Bestimmungsgrößen der Interaktion zwischen Interviewer und Bewerber. Diese werden als Heuristik in einen Funktionszusammenhang gebracht und dienen damit auch als Schema, um Forschungsbefunde zum Interview zu bündeln. Die Elemente und deren Zusammenwirken sind in Abbildung 2 schematisch dargestellt.

Das Modell beschreibt die Interaktion im Einstellungsinterview zunächst vor dem Hintergrund der Situation. Ein zentraler Parameter dieser Situation ist dabei die zu besetzende Position bzw. der Arbeitsplatz oder die infrage stehende Tätigkeit. Sie definiert die tätigkeitsspezifischen Anforderungen sowie das Befriedigungspotenzial, das sie für die Interessen, Bedürfnisse und Werthaltungen der Beschäftigten bietet. Darüber hinaus ist auch die Bedeutsamkeit der Position für die Organisation zu nennen. Diese Parameter beeinflussen beispielsweise das Verhalten im Interview, da Interviewer ihre Fragen an den zukünftigen Anforderungen ausrichten, Bewerber sich entsprechend den vermuteten Anforderungen möglichst vorteilhaft darstellen, oder weil Organisationen für die Besetzung besonders bedeutsamer Positionen bereit sind, aufwendigere Methoden einzusetzen.

Der zweite Faktor betrifft Merkmale der Organisation, die sich auf das Interview auswirken können. Zu nennen ist hier u. a. die Attraktivität der Organisation, die Einfluss auf die Anzahl der Bewerbungen und damit auf die Selektionsquote hat. Ein begehrter Arbeitgeber muss somit den Fehler erster Art – ungeeignete Kandidaten einzustellen – gegenüber dem Fehler zwei|24|ter Art – geeignete Bewerber abzulehnen – stärker im Auge haben. Weitere Faktoren sind Unternehmenskultur, Organisationsklima und Stil, die ein Unternehmen bereits im Rahmen des Interviews zum Ausdruck bringen möchte, um ein entsprechendes Image zu transportieren und später einzustellende Personen bereits zu diesem Zeitpunkt zu beeinflussen. Auch Aspekte der Unternehmenspolitik, wie der Anteil der Stellen, die mit internen Kandidaten besetzt werden sollen, sowie der Umgang mit „Mikis“ und „Kukis“ (den Mitarbeiter- und Kundenkindern) können den Interviewprozess beeinflussen und beispielsweise zu Sonderregelungen führen. Auch Aspekte wie die Größe, die Branche und die wirtschaftliche Situation zählen zu den Merkmalen der Organisation, die das Interview beeinflussen können. Der Aspekt der Umwelt ist hingegen weit gefasst und betrifft beispielsweise die ökonomische Situation einer Branche sowie die gesamtwirtschaftliche Situation, die sich etwa auf Wachstumserwartungen auswirken können. Auch die politische und rechtliche Situation sind zu nennen, die sich darauf auswirken, welche Dinge im Interview angesprochen werden dürfen und welche nicht. Der offensichtlichste Faktor ist jedoch der Arbeitsmarkt, der Einfluss auf Basisrate und Selektionsquote hat. Stehen nur wenige qualifizierte Bewerber zur Verfügung, so hat das Interview statt Fachkenntnissen verstärkt Lernbereitschaft und Entwicklungsmöglichkeiten zu ermitteln.

Abbildung 2: Das Modell sozialer Urteilsbildung nach Schuler (2002, S. 42)

Die Diagnosebedingungen beschreiben zunächst, welche Rolle das Interview in einem Auswahlprozess spielt. Je weniger zusätzliche Elemente (wie Testverfahren, Assessment Center) zum Einsatz kommen, desto höher die Verantwortung und damit auch die Qualitätsanforderung, die auf dem Interview lastet. Auch Kosten- und Zeitvorgaben wirken sich auf die Diagnose|25|bedingungen aus, beispielsweise auf die Entwicklung und Durchführung des Interviews. Stehen nur begrenzt Mittel für Reisekosten zur Verfügung, so ist über ein Telefoninterview zur Vorauswahl nachzudenken. Insbesondere zählt zu den Diagnosebedingungen jedoch die Art des durchzuführenden Interviews. Dabei beeinflusst insbesondere das Ausmaß an Strukturiertheit, wie die Interaktion abläuft, welche Merkmale im Interview erfasst werden und – wie wir schon gesehen haben – wie valide das Interview ist. Schließlich können Vorinformationen, beispielsweise aus dem Lebenslauf des Kandidaten oder aus bereits absolvierten Intelligenz- oder Persönlichkeitstests, den Interviewprozess beeinflussen: Interviewer neigen dazu, ihre bisherigen Eindrücke zu bestätigen anstatt sie infrage zu stellen.

Das Einstellungsinterview findet vor dem Hintergrund der Situation statt. Wichtige Einflussgrößen sind u. a. die konkreten Anforderungen der Tätigkeit, die Attraktivität der Organisation oder der Arbeitsmarkt. Auch die Diagnosebedingungen, wie z. B. das Ausmaß an Strukturiertheit, sind Teil der Situation und beeinflussen das Interview bzw. das Verhalten der Beteiligten. Schließlich beeinflussen Vorinformationen über den Kandidaten die Einschätzung im Interview.

Im Modell der sozialen Urteilsbildung wird zwischen der Person des Bewerbers und dessen Verhalten unterschieden. Während sich letzteres auf die Aktions- und Verhaltensweisen während des Interviews bezieht, sind mit der Person des Bewerbers dessen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse, generell erfolgsrelevante Eigenschaften und Entwicklungspotenziale, Interessen, Bedürfnisse sowie Werthaltungen gefasst. Der Einfluss dieser Merkmale auf das Abschneiden im Interview beschäftigt uns noch ausführlich in Abschnitt 2.2. Auch demografische Merkmale wie Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Status und ethnische Zugehörigkeit sind Aspekte, die zur Person des Bewerbers gehören, wenngleich diese Merkmale insgesamt einen eher geringen Einfluss auf das Interview haben. Beispielsweise wurde bezüglich des Alters von Morgeson, Reider, Campion und Bull (2008) ein Review vorgelegt. Sie berichten insgesamt über geringe Effekte für Alter, insbesondere wenn die Studien nicht im Labor, sondern im realen Auswahlkontext durchgeführt wurden. In mindestens einer Studie fanden sich höhere Interviewratings für ältere Personen. Die Qualifikation und die Passung zwischen Person und Beruf waren jedoch weitaus wichtigere Parameter.

Einen leicht positiven Effekt fand Forsythe (1990) für die äußere Erscheinung der Person, in diesem Fall operationalisiert durch ein dunkelblaues Kleid, das im Vergleich zu einem beigen Kleid im Sinne eines seriösen Auftretens interpretiert werden kann. Auch Attraktivität beeinflusst das Abschneiden im Interview.

Zum Verhalten des Bewerbers in der Interviewsituation zählen verbale, paraverbale und nonverbalte Verhaltensweisen. Eine Reihe von Befunden |26|wurde durch Anderson (1992) zusammengestellt. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass Sprachverständlichkeit und Ansprechbarkeit einen großen Einfluss auf die Entscheidung des Interviewers hatten. Andere Arbeiten betonen die Wichtigkeit des sprachvermittelten Inhalts, der Sprachflüssigkeit und der angemessenen Setzung von Redepausen.

Darüber hinaus zeigt sich ein starker Einfluss nonverbalen Verhaltens, wie Blickkontakt oder Lächeln. Beispielsweise zeigte sich in einem Experiment, in dem das Gesagte durch vorgegebene Texte konstant gehalten wurde, dass 43 % der Beurteilervarianz auf nonverbales Verhalten zurückgeführt werden kann (Imada und Hakel, 1977). Ein methodisches Problem dieser Studie ist, dass das natürliche Zusammenpassen von verbalem und paraverbalem Ausdruck gestört ist, und die registrierten Effekte teilweise auch hierauf zurückzuführen sind.

Auch paraverbale und vokale Merkmale wie Stimmlage und Frequenzvariabilität gehen in die Bewertung der Interviewer ein,...

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