Lehrbuch Persönlichkeitspsychologie

Lehrbuch Persönlichkeitspsychologie

von: Astrid Schütz, Katrin Rentzsch, Martin Rüdiger

Hogrefe AG, 2016

ISBN: 9783456755922

Sprache: Deutsch

232 Seiten, Download: 2855 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Lehrbuch Persönlichkeitspsychologie



1 Einführung in die Persönlichkeitspsychologie – Begriffe, Konzepte und Methoden


Dieses Kapitel führt in die Persönlichkeitspsychologie als Teildisziplin der Psychologie ein. Zu Beginn stellen wir wichtige Begriffe vor und arbeiten die Besonderheit der Persönlichkeitspsychologie im Vergleich zur Alltagspsychologie und zu anderen psychologischen Bereichen heraus. Wir betrachten sodann wichtige historische Wurzeln und klassische Ansätze des Faches.1 Darauf aufbauend werden verschiedene Möglichkeiten der Einordnung und Unterscheidung persönlichkeitspsychologischer Theorien beleuchtet. Bei dieser Darstellung orientieren wir uns an Laux (2008).

Theoretische Zugänge unterscheiden wir in diesem ersten Kapitel im Hinblick auf ihre Grundannahmen. Nach der Vorstellung von subjektiven Elementen in Persönlichkeitstheorien schließen methodische Aspekte der persönlichkeitspsychologischen Forschung das Kapitel ab.

1.1 Persönlichkeitspsychologie und Differentielle Psychologie in Abgrenzung von der Alltagspsychologie


Im Deutschen verwendet man zwei verschiedene Begriffe, um das Fach zu umschreiben: «Persönlichkeitspsychologie» und «Differentielle Psychologie». Teilweise werden sie synonym gebraucht; strenggenommen handelt es sich jedoch um zwei Teilgebiete des Faches.

Als Oberbegriff für die beiden Teilbereiche und das Fach insgesamt verwenden wir im vorliegenden Buch den Begriff Persönlichkeitspsychologie im weiteren Sinn nur der Einfachheit halber und wenn nicht anders mitgeteilt aber Persönlichkeitspsychologie genannt. In den nun folgenden Abschnitten werden die beiden Teilbereiche «Persönlichkeitspsychologie im engeren Sinn» und «Differentielle Psychologie im engeren Sinn» erläutert.

1.1.1 Differentielle Psychologie (im engeren Sinn)


Die Differentielle Psychologie befasst sich mit Unterschieden zwischen Personen oder Personengruppen (Stern, 1911). Typische Fragestellungen der Differentiellen Psychologie bezeichnen wir als differentielle Fragestellungen, zum Beispiel «Ist Paula intelligenter als Dorothea?», «Verfügen Männer über höhere emotionale Stabilität als Frauen?». Ziel dieser Fragestellungen ist es, Unterschiede zwischen Individuen oder Gruppen zu untersuchen. Persönlichkeit meint deshalb im differentiellen Ansatz die Gesamtheit der Merkmale einer Person, in denen sie sich von anderen Personen abhebt – etwa in Form eines Eigenschaftsprofils.

Die Differentielle Psychologie untersucht Unterschiede zwischen Personen oder Personengruppen im Hinblick auf einzelne Persönlichkeitsmerkmale.

1.1.2 Persönlichkeitspsychologie (im engeren Sinn)


Oft reicht es nicht aus, Vergleiche zwischen Personen oder Personengruppen zu ziehen, sondern es interessiert, wie verschiedene Persönlichkeitsmerkmale zusammenwirken. Das Funktionieren des Individuums als einzigartige Einheit ist Gegenstand der Persönlichkeitspsychologie im engeren Sinn. Im Unterschied zur Differentiellen Psychologie betont die Persönlichkeitspsychologie im engeren Sinn die komplexe Organisation bzw. Integration der einzelnen Komponenten psychischen Geschehens; im Vordergrund steht also die Einzigartigkeit und Besonderheit des Individuums als Einheit. Bei diesem Zugang werden bei einzelnen oder Gruppen von Personen sogenannte spezielle Fragestellungen untersucht (vgl. Asendorpf & Neyer, 2012), zum Beispiel «Stehen die Wutausbrüche von Herrn Meyer in Zusammenhang mit seiner Arbeitsbelastung?», «Welche Zusammenhänge bestehen bei Hochbegabten zwischen Sportlichkeit und sozialer Integration?», «In welchem Zusammenhang stehen Dominanz und Führungserfolg. Persönlichkeit ist nach diesem Verständnis «die komplexe Organisation von Kognitionen, Emotionen und Verhalten, die dem Leben der Person Richtung und Zusammenhang gibt» (Pervin, 1996, S. 414). Persönlichkeit wird als Gesamtsystem gesehen, in dem Einzelkomponenten wie Eigenschaften oder Überzeugungen zusammenwirken.

Persönlichkeitspsychologie im engeren Sinn betont die Einzigartigkeit und Besonderheit des Individuums und das Zusammenspiel verschiedener Persönlichkeitsmerkmale.

1.1.3 Alltagspsychologie vs. wissenschaftliche Psychologie


Auch im Alltag denken Menschen häufig über sich selbst und andere Menschen sowie deren Besonderheiten nach und greifen dabei auf entsprechende Annahmen über menschliche Unterschiede zurück. Diese alltagspsychologischen Annahmen sind nicht notwendigerweise völlig unangemessen. Wie unterscheiden sich diese aber von den wissenschaftlichen Konzeptionen, die wir soeben vorgestellt haben?

Die Alltagspsychologie, auch «naive Persönlichkeitstheorie» genannt, ist ein System, das menschliches Erleben und Verhalten auf der Basis auf kulturell überlieferter Annahmen deutet. Sie ist insofern relevant, als sie das alltägliche Handeln von Menschen leitet – und Ansatzpunkte für Theoriebildung und empirische Untersuchungen bietet.

Alltagspsychologie (engl. common sense psychology)

Vorwissenschaftliche Psychologie, über die jeder Mensch aufgrund seiner Fähigkeit, Zusammenhänge zu erschließen, und seiner im Alltag gewonnenen Erfahrungen verfügt.

Jedoch genügt die Alltagspsychologie in vielerlei Hinsicht nicht den Anforderungen an eine wissenschaftliche Theorie:

  1. Es lassen sich logisch widersprüchliche Aussagen ableiten.

    Eine wichtige Forderung an wissenschaftliche Theorien ist es, dass sich aus ihnen in logischer Weise Aussagen ableiten lassen, die sich nicht widersprechen (vgl. Breuer, 1991). Diese Forderung erfüllt die Alltagspsychologie nicht. Unvereinbare Aussagen zeigen sich beispielsweise in den folgenden zwei Sprichwörtern: «Gleich und gleich gesellt sich gern» und «Gegensätze ziehen sich an». Besonders viele widersprüchliche Befunde zeigen sich im Bereich des positiven Denkens (siehe Unterkapitel 5.5). Häufig findet sich kein Zusammenhang zwischen optimistischer Sichtweise und positiv konnotierten Kriterien. Damit befindet man sich im Alltag – zumindest auf den ersten Blick – in der komfortablen Situation, die unterschiedlichsten Phänomene scheinbar problemlos erklären zu können, indem man zu ihrer Deutung mal die eine und mal die andere Begründung heranzieht.

  2. Eine zweite Forderung an wissenschaftliche Theorien besteht darin, dass Kernbegriffe klar definiert und messbar sind, indem sie operationalisiert werden. Im Gegensatz dazu sind alltagspsychologische Grundbegriffe häufig vage formuliert und werden oft nur implizit repräsentiert. Das bedeutet, dass man in der Alltagspsychologie Begriffe wie «Persönlichkeit» in unterschiedlicher Weise verwendet. Häufig führen unklare Begrifflichkeiten dazu, dass die Alltagspsychologie gegen Falsifikationsversuche immun ist.
  3. Die Alltagspsychologie unterliegt dem Einfluss von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen (Self-Fulfilling Prophecies): Die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, nimmt zu, wenn dieses erwartet wird (siehe Exkurs 1.1).

Exkurs 1.1

Sich selbst erfüllende Prophezeiungen

Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die von Erwartungen ausgelöst wird, nennt man auch Pygmalion-Effekt. Häufig nachgewiesen wurde dieser Effekt im Kontext von Leistungsbewertungen von Schulkindern durch Lehrkräfte. So untersuchten Rosenthal und Jacobson (1968) in 18 Grundschulklassen, ob ein Zusammenhang zwischen den Erwartungen von Lehrkräften und den Leistungen der Schulkinder besteht. Dazu führten sie mit allen Kindern zu Beginn des Schuljahres einen Intelligenztest durch. Unabhängig von den Testergebnissen wählte man nach dem Zufallsprinzip ein Fünftel der Kinder aus und berichtete den Lehrkräften, dass diese ein ungewöhnlich hohes Potenzial haben. Acht Monate später wurden alle Kinder erneut getestet. Diejenigen, die als besonders «intelligent» deklariert worden waren, zeigten im Vergleich zur Kontrollgruppe einen signifikanten Intelligenzzuwachs. Die Erwartungen der Lehrkräfte haben demnach zu einer tatsächlichen Veränderung der Leistung der zufällig ausgewählten Kinder beigetragen. Aus ethischen Gründen wurde nur der Einfluss positiver Erwartungen auf die Leistungen der Kinder untersucht; ein Effekt in die andere Richtung kann aber ebenfalls vermutet werden. Kenneth Clark (1965) konnte zeigen, dass geringe Erwartungen der Lehrkraft eine Ursache für die geringen Leistungen von Kindern und Jugendlichen in sogenannten sozialen Brennpunkten darstellen.

1.1.4 Der Begriff «Persönlichkeit»


Anders als im Alltag besitzt der Begriff «Persönlichkeit» im wissenschaftlichen Kontext eine rein deskriptive Bedeutung. «Persönlichkeit» wird hier als Gesamtheit der Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen verstanden Definitionen des Begriffs «Persönlichkeit»; überschneiden sich teils, setzen aber auch unterschiedliche Schwerpunkte. So definiert Guilford (1974) Persönlichkeit als einzigartige Struktur von Persönlichkeitszügen (Traits). Ein Trait wiederum ist jeder ableitbare und relativ konstante Persönlichkeitszug, hinsichtlich dessen eine Person von anderen Personen unterscheidbar ist. Guilford betrachtet die Persönlichkeit eines Menschen also als ein besonderes, einzigartiges und einmaliges Verhaltenskorrelat, welches eine bestimmte Struktur und Konstanz aufweist. Unberücksichtigt bleiben dabei...

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