Kinder- und Jugendliteratur - Eine Einführung

Kinder- und Jugendliteratur - Eine Einführung

von: Bettina Kümmerling-Meibauer, Gunter E. Grimm, Klaus-Michael Bogdal

wbg Academic in der Verlag Herder GmbH, 2013

ISBN: 9783534726936

Sprache: Deutsch

156 Seiten, Download: 1023 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Kinder- und Jugendliteratur - Eine Einführung



II. Forschungsgeschichte


Beginn der Kinderliteraturforschung

Als Gegenstand der Literaturgeschichtsschreibung kommt Kinder- und Jugendliteratur zum ersten Mal im fünften Band des von Carl Bouginé verfassten Handbuch(s) der allgemeinen Litterargeschichte (1792) vor, in der die Leistung der philanthropinen Kinderliteratur gewürdigt wird. Obwohl auch in den nachfolgenden Literaturgeschichten immer wieder Kapitel und Ausführungen zur deutschen Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung und der Romantik zu finden sind, kann von einer eigenen Forschungstradition erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen werden. Diese ersten Forschungsbeiträge stammen vorwiegend von Lehrern, gelegentlich auch von Bibliothekaren und Geistlichen und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem von Kinderbuchsammlern (Walter Benjamin, Karl Hobrecker, Bettina Hürlimann, Arthur Rümann). Eine Fanalwirkung ging von Charlotte Bühlers Das Märchen und die Phantasie des Kindes (1918) aus, weil hier erstmals auf der Grundlage entwicklungspsychologischer Kenntnisse eine Typologie des Lesealters entwickelt wurde. Diese schrieb den kindlichen Altersstufen eine Präferenz für bestimmte Genres und Themen zu (Struwwelpeter, Märchen, Robinson) und legte damit die Basis für die spätere Lesesozialisationsforschung (Ewers 2002b). Bedeutsam für die theoretische Reflexion über Kinderkultur und Kinderliteratur waren zudem die in den 1920er und 1930er Jahren verfassten Essays von Walter Benjamin, deren weitreichende Implikationen bislang nur marginal erforscht worden sind (Doderer 1988).

Verbindung mit der Märchenforschung

Eine enge Verzahnung existierte von Anfang an mit der Märchenforschung, vor allem im Hinblick auf die Untersuchung der Volksmärchen und Kunstmärchen für Kinder sowie die Märchen der Brüder Grimm. Mittlerweile haben sich Märchen- und Kinderliteraturforschung als eigenständige Forschungsbereiche etabliert, dennoch ergeben sich weiterhin Überschneidungen, wenn es z.B. darum geht, den Einfluss des Märchens auf die Kinder- und Jugendliteratur oder aktuelle Umsetzungen von Märchen in Kinderliteratur und Kinderfilm zu analysieren (Beckett 2002; Liptay 2004; Joosen 2011; Zipes 2009, 2011).

Reformpädagogik und Heinrich Wolgast

Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich unter dem Einfluss der Reformpädagogik zudem die Jugendschriften-Bewegung mit der Zeitschrift Jugendschriften-Warte (die unter wechselnden Namen bis heute herausgegeben wird und jetzt den Titel kjl&m trägt) und zahlreichen Prüfungsausschüssen, die von progressiven Volksschullehrerkreisen getragen wurde. Eine Wende in der Diskussion um Kinder- und Jugendliteratur als Bestandteil des Lektürekanons leitete die Streitschrift Das Elend unserer Jugendliteratur (1896) des Hamburger Lehrers und Reformpädagogen Heinrich Wolgast ein. Unter dem Einfluss der Kunsterziehungsbewegung stehend, forderte Wolgast, dass Kinder- und Jugendliteratur an denselben ästhetischen Kriterien gemessen werden sollte wie die Erwachsenenliteratur. Da jedoch die zeitgenössische Kinder- und Jugendliteratur, worunter er insbesondere die kommerzielle Massenliteratur für Kinder und Jugendliche subsumierte, diesem Anspruch nicht gerecht werde, stritt Wolgast ihr jegliche Existenzberechtigung ab. Deshalb forderte er die Lektüre ausgewählter erwachsenenliterarischer Werke im Schulunterricht, u.a. von Adalbert Stifter und Theodor Storm (Dolle-Weinkauff/Ewers 1996). Wolgasts Schrift zeigte eine weitreichende Wirkung mit unterschiedlichen Folgen. Während seine Studie in Skandinavien als Anregung zur Schaffung einer qualitätsvollen Kinder- und Jugendliteratur gedeutet wurde, führte Wolfgasts Kritik in Deutschland, auch in Schulkreisen, zu Vorbehalten gegenüber der Kinder- und Jugendliteratur, und leitete damit einen De-Kanonisierungsprozess ein, dessen Anfänge sich bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts abzeichneten (Kümmerling-Meibauer 2003).

Kinderliteraturgeschichten

1866 erschien die erste geschichtliche Darstellung der deutschen Kinder- und Jugendliteratur von Albert Merget, weitere historische Abrisse stammen u.a. von Wilhelm Fricke (1868), Ludwig Wiegand (1897), Ludwig Göhring (1904), Leopold Köster (1906–08) und Josef Prestel (1933). Die Abhandlung von Irene Dyrenfurth-Graebsch (1942; Neuausgabe 1967) war bis Mitte der 1970er Jahre die aktuellste Übersicht zur Geschichte der deutschen Kinderliteratur. In der DDR erschien seit 1973 die auf vierzehn Bände angewachsene Reihe Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur, in der BRD wurde die erste umfassende Kinderliteraturgeschichte erst 1990 publiziert, die mittlerweile in der dritten bearbeiteten Auflage vorliegt (Wild 2008). Zur Geschichtsschreibung der Kinderliteratur der Schweiz und Österreichs liegen bislang keine Gesamtdarstellungen vor. Vorreiterfunktion übernehmen hierbei die Bände Geschichte der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (herausgegeben von Hans-Heino Ewers und Ernst Seibert, 1997) sowie Nebenan. Der Anteil der Schweiz an der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur (herausgegeben von Verena Rutschmann, 1998). Ganz im Gegensatz zu diesen Bestrebungen einer literaturhistorischen Aufarbeitung der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur steht die Tendenz, in aktuellen Literaturgeschichten zur Allgemeinliteratur überhaupt nicht mehr oder höchstens beiläufig auf diesen Bereich einzugehen oder aber Kinder- und Jugendliteratur im Vergleich zur Erwachsenenliteratur abzuwerten (Kümmerling-Meibauer 2003).

Standardwerke der Kinderliteraturforschung

Pionierleistungen der historischen Kinderliteraturforschung sind die von Theodor Brüggemann initiierte Reihe Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur (1982ff., bisher acht Bände, die den Zeitraum vom Beginn des Buchdrucks bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sowie die Kinder- und Jugendliteratur des Nationalsozialismus und der DDR abdecken), das von Klaus Doderer herausgegebene Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur (1975–1982) sowie die vierbändige Bibliographie Alte deutsche Kinderbücher von Heinz Wegehaupt (1979–2003) und die fünfbändige Bibliographie Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950 (1990–1999) von Aiga Klotz, ergänzt durch Claudia Weilenmanns Annotierte Bibliographie der Schweizer Kinder- und Jugendliteratur von 1750 bis 1900 (1993) für die gesamte Schweiz. Als weitere Nachschlagewerke haben sich weiterhin das zweibändige Lexikon Klassiker der Kinder- und Kinderliteratur (1999) von Bettina Kümmerling-Meibauer und das zunächst von Alfred Clemens Baumgärtner und Helmut Pleticha und später von Kurt Franz, Günter Lange und Franz-Josef Payrhuber herausgegebene, als Loseblattsammlung konzipierte Nachschlagewerk Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon (1995ff.) etabliert. Über diese historischen Gesamtdarstellungen, Bibliographien und Lexika hinaus hat die deutschsprachige Kinderliteraturforschung große Anstrengungen unternommen, den historisch gewachsenen Bestand in Einzelmonographien wissenschaftlich zu erforschen. So liegen mittlerweile fundierte Untersuchungen zu einzelnen Epochen und Zeitstufen (Aufklärung, Romantik, Kaiserzeit, Weimarer Republik, NS-Zeit, Nachkriegszeit in der BRD, DDR-Kinderliteratur) sowie zu Gattungen und Genres der Kinder- und Jugendliteratur vor (u.a. zum Abenteuerroman, Adoleszenzroman, Kriminalroman, Kindertheater, zur Kinderlyrik, phantastischen Kinderliteratur und historischen Literatur für Kinder und Jugendliche). Mehrere Projekte widmeten sich außerdem der Erforschung der deutsch-jüdischen Kinder- und Jugendliteratur (Glasenapp/Nagel 1996; Hyams u.a. 2001; Shavit u.a. 1996; Völpel/Shavit 2002).

Internationale Jugendbibliothek in München

Auf Betreiben von Jella Lepman wurde 1948 in München die Internationale Jugendbibliothek begründet, die den weltweit größten Bestand an internationaler Kinder- und Jugendliteratur vorzuweisen, sich aber auch als Forschungsstätte für Wissenschaftler/-innen aus aller Welt etabliert hat. Im Jahr 1955 gründete man auf Initiative des Familienministeriums den „Arbeitskreis für Jugendliteratur“, der für die Organisation und Vergabe des „Deutschen Jugendliteraturpreises“ zuständig ist und als deutsche Sektion im International Board on Books for Young People (IBBY) vertreten ist.

Forschungseinrichtungen

Galt Kinder- und Jugendliteratur noch bis Ende der 1960er Jahre als Domäne der Pädagogik, so wurde sie in den 1970er Jahren infolge der Erweiterung des traditionellen Literaturbegriffs um wirkungsorientierte Literaturformen als Teilbereich der Literaturwissenschaft anerkannt. Dies führte zur Einrichtung von Forschungsinstitutionen und Lehrstühlen mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur an einigen Universitäten. So gibt es seit 1963 an der Universität Frankfurt das Institut für Jugendliteratur. Durch Schenkungen und Zukäufe entstanden darüber hinaus Spezialsammlungen historischer Kinderbuchbestände an verschiedenen Bibliotheken, Museen und Universitäten in Deutschland (u.a. Kinderbuchabteilung der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin; ALEKI, Universität Köln; Bilderbuchmuseum Burg Wissem,...

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