Dass ich ich bin, ist genauso verrückt wie die Tatsache, dass du du bist - Ein Roman in Listen

Dass ich ich bin, ist genauso verrückt wie die Tatsache, dass du du bist - Ein Roman in Listen

von: Todd Hasak-Lowy

Beltz, 2016

ISBN: 9783407748164

Sprache: Deutsch

656 Seiten, Download: 3793 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Dass ich ich bin, ist genauso verrückt wie die Tatsache, dass du du bist - Ein Roman in Listen



6 Momente des Körperkontaktes zwischen Darren und Zoey auf der Strecke zwischen Battle Creek und Ann Arbor:

1. Zoey kehrt zu ihrem Sitz zurück. Darren hat die Armlehne hochgeklappt, um etwas mehr Platz für sich zu schaffen. Als sie sich hinsetzt, stößt sie seitlich, vor allem mit Schulter und Oberarm, gegen seinen Oberarm. Und drückt anschließend weiter. Nicht fest, aber immerhin. Also erwidert Darren den Druck möglichst unauffällig und wartet ab, was passiert.

Die Antwort lautet: gar nichts. So sitzen sie also Seite an Seite, mehr oder weniger aneinandergelehnt, und lassen Michigan an sich vorbeiziehen.

2. Darren betrachtet ihren rechten Handrücken. Auf dem Daumen steht die Zahl 827 und kleine Kreise ziehen sich um jeden Fingerknöchel. »Hallo«, »Bye« und »Hallo« steht unterhalb der Stelle, wo der kleine und der Ringfinger ansetzen. Ihr Ärmel ist ein Stück weit hochgeschoben, man kann sehen, dass dort noch mehr hingeschrieben ist. Deshalb fährt er mit dem Zeige- und Mittelfinger seiner linken Hand zu dem Ärmel hinunter und schiebt ihn noch ein paar Zentimeter höher. Sie lässt es geschehen.

Über ihren Unterarm ziehen sich verschiedene Muster. Geschwungene und gerade Linien und kleine kolorierte Rechtecke. Es erinnert ein bisschen an Fischschuppen, an ein mittelalterliches Kettenhemd oder an Wellen. Die Linien sind unglaublich ineinander verwoben und so regelmäßig gezeichnet, dass es sich, wie Darren vermutet, nur um eine Tätowierung handeln kann.

»Ist das …?«, will er fragen.

»Ich hab es gezeichnet«, sagt sie.

»Kann ich …?« Aber da hat sie den Ärmel schon selbst hochgeschoben.

»Heilige Scheiße«, sagt Darren. Das Bild bedeckt die gesamte Oberseite ihres Unterarms und reicht fast bis zum Ellbogen hinauf. Es sieht total schräg aus, gleichzeitig aber auch toll. Auf den ersten Blick wirkt es ein bisschen unheimlich, aber dann eigentlich doch nicht. »Wie hast –?«

»Linkshändig«, sagt sie, als würde das irgendwas erklären.

»Nein, aber …«, sagt Darren.

Er weiß wirklich nicht, wie er das finden soll. Wenn er daran denkt, wie es insgesamt aussieht (Fischschuppen und das alles), ist er weniger begeistert. Aber wenn er es sich einfach nur ansieht und sich in die Muster versenkt, steht er total darauf. Vielleicht weil das Muster fast vollkommen gleichmäßig ist. Als wäre es von einer Maschine erzeugt worden. Oder vielleicht auch, weil es einfach ein Hammerdesign ist, das ihren Arm in etwas verwandelt, das nicht bloß ein Arm ist.

»Das ist echt krass«, sagt er. »Aber wie – wie kriegst du so was bloß hin?«

Zoey zuckt mit den Achseln, aber diesmal ist sich Darren sicher, dass es etwas anderes als sonst bedeutet. Sie wirkt ein bisschen verlegen, weil er so beeindruckt ist, obwohl es sie andererseits auch freut.

»Voll krass«, sagt er.

Ehe Darren sichs versieht, langt Zoey in ihre Tasche und holt einen Sharpie hervor, einen dieser Eddingstifte mit ganz feiner Spitze. Im ersten Moment denkt Darren, sie will ihm nur zeigen, womit sie das Muster gezeichnet hat. Aber dann zieht sie die Kappe ab.

Ihre kleinen, dunklen Augen weiten sich ein wenig. Das Weiß ist wirklich total weiß neben dem Schwarz, das wirklich total schwarz ist. Darren weiß nicht genau, was sein Gesicht gerade macht, aber irgendetwas scheint es zu machen, denn ihre Augen schrumpfen wieder, und sie fragt, hörbar auf eine Enttäuschung gefasst: »Soll ich lieber nicht?«

»Hm?«

»Schon gut, ist okay«, murmelt sie, steckt die Kappe wieder auf den Stift und beugt sich zu ihrer Tasche hinunter.

3. »Nein, warte«, sagt Darren und fasst sie an der Schulter, die klein und muskulös ist.

Sie erstarrt und sieht ihn ziemlich ernst an.

»Mach ruhig«, sagt er, doch ihr Gesichtsausdruck bleibt unverändert. »Ich möchte es. Echt jetzt.«

4. Zoey entspannt sich ein bisschen, auch im Schulterbereich.

»Ehrlich?«, fragt sie.

»Ehrlich.«

Sie sieht seine Hand an, die noch immer auf ihrer Schulter liegt. Er kommt zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich an der Zeit ist, sie wegzunehmen. Sie setzt sich gerade hin.

»Okay. Als Erstes …« Sie langt herüber und zieht ihm den Kapuzenpullover aus, ohne dass er viel dazu tun muss. Dann klappt sie die Armlehne herunter und legt seinen Arm darauf. Sie dreht sich mit dem ganzen Körper zu ihm, das rechte Bein unter den Hintern geklemmt.

Darren ist froh, dass sie jetzt nicht sauer auf ihn ist, aber abgesehen davon, ist ihm etwas mulmig zumute. Je länger er ihren Arm betrachtet, desto mehr sieht das Ganze nach einer Tätowierung aus. Vielleicht ist es das auch, und sie verkohlt ihn nur und lacht ihn dann aus, sobald sie ihm den Arm vollgemalt hat.

5. Aber zu spät, denn jetzt hält sie seinen Arm mit der rechten Hand fest und fängt mit der linken an zu zeichnen. Die Tinte fließt aus dem Sharpie auf seine Haut. Zoey beginnt mit kleinen Wellen, mit diesen höckerigen Linien, die über die ganze Breite des Arms verlaufen. Wenn sie eine Linie fertig hat, geht sie an den Ausgangspunkt zurück, um dann etwa einen halben Zentimeter daneben neu anzusetzen. Jede Linie ist identisch mit der vorigen.

Die Spitze des Stiftes auf seiner Haut – schwer zu sagen, wie sich das genau anfühlt, aber irgendwas ist an diesem Gefühl, das ihn, zusammen mit dem Anblick ihrer Hand, die über seinem Arm hin und her schwebt, dazu veranlasst, die Augen zu schließen. Darren stellt sich vor, wie das Muster sich langsam über seinen Arm ausbreitet. Er wünschte, Zoey hätte drei Hände, sodass er eine davon halten könnte. Je länger er hier sitzt, desto schwerer fällt es ihm, herauszufinden, wo er selbst aufhört und Zoey anfängt, was sich wie die Antwort auf eine Frage anfühlt, die er sich seit einer Weile zu stellen versucht.

Ungefähr zehn Minuten später macht er die Augen wieder auf. Hat er zwischendurch geschlafen? Die Wellen sind mittlerweile fertig, und Zoey ist, ohne dass er es gemerkt hat, zu längeren Linien übergegangen, die sich längs über den Arm ziehen. Er kann nicht genau sagen, ob sie parallel verlaufen oder nicht, denn es könnte ja sein, dass es sich um eine dieser optischen Täuschungen handelt. Und obwohl es völlig unmöglich erscheint, weil die Busfahrt wirklich ganz schön ruckelig ist, sind alle Linien völlig gerade. Sogar die geschwungenen Linien kommen ihm irgendwie gerade vor, was immer das bedeuten mag.

Eigentlich würde er gern etwas sagen, aber es ist viel besser, es nicht zu tun. Zum Glück, denn er wüsste, ehrlich gesagt, auch gar nicht, was er sagen sollte. Einerseits findet er, sie könnte langsam mal zum Ende kommen, doch andererseits wünscht er sich, er läge auf einem OP-Tisch, nur mit Boxershorts und T-Shirt bekleidet, denn dann könnte sie auch seinen anderen Arm und beide Beine mit dem Stift bearbeiten.

Sobald sie mit den Linien fertig ist, malt sie einige der gebogenen Rechtecke aus, die durch die Überschneidung der Linien entstanden sind. Darren versucht, das Muster zu erkennen, nach dem sie vorgeht, also, wie entscheidet sie, welche Rechtecke koloriert werden sollen? Nach einer Weile kommt er zu dem Schluss, dass es Zufall ist. Aber guter Zufall. Die Finger ihrer rechten Hand bohren sich schon die ganze Zeit in das Fleisch oberhalb seines Ellbogens. Könnte sein, dass er einen Pulsschlag in ihren Fingerspitzen fühlt. Vielleicht ist es aber auch sein eigener Puls, den er mit ihrer Hilfe fühlt.

6. Zoey setzt sich auf, betrachtet aber weiter seinen Arm. Der Hautabschnitt, auf dem sie gezeichnet hat, ist zu ungefähr drei Vierteln schwarz. Sie wendet ihren Kopf mal hierhin, mal dorthin, um irgendetwas zu überprüfen. Dann schiebt sie ihren rechten Ärmel ganz hoch und drückt ihren Unterarm fest gegen seinen.

Obwohl sein Arm größer ist, sind die Muster identisch. Die kürzeren Linien mit den Wellen, die längeren mit den seltsamen Krümmungen. Sogar die ausgemalten Rechtecke. Alles genau gleich. Sie pressen ihre genau zusammenpassenden Arme gegeneinander. Seine Haut ist ein bisschen dunkler als ihre.

»Heilige Scheiße, das ist irre!«, sagt er.

»Gefällt’s dir?«, fragt sie in einem Ton rückhaltloser und ungeschützter Offenheit.

»Ich finde es toll«, sagt...

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