Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - Vertretung, Asylverfahren, Aufenthalt; Ein Leitfaden für die Praxis

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - Vertretung, Asylverfahren, Aufenthalt; Ein Leitfaden für die Praxis

von: Stephan Hocks, Jonathan Leuschner

Walhalla und Praetoria Verlag GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783802904868

Sprache: Deutsch

232 Seiten, Download: 654 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - Vertretung, Asylverfahren, Aufenthalt; Ein Leitfaden für die Praxis



3. Gesetzliche Umschreibung des minderjährigen unbegleiteten Ausländers/Flüchtlings


Nach der EU-Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) ist ein UMF ein minderjähriger Drittstaatsangehöriger, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Recht des jeweiligen EU-Staates verantwortlichen Erwachsenen einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet. Hierzu gehören auch Minderjährige, die später von ihren verantwortlichen Erwachsenen in dem betreffenden Mitgliedstaat zurückgelassen werden. Diese Definition findet sich auch so in der Dublin-III-VO und sie gilt für das gesamte europäische und deutsche Aufenthalts- und Flüchtlingsrecht.

Für die Frage der Minderjährigkeit sind die §§ 12 Abs. 1 AsylG und 80 Abs. 1 AufenthG heranzuziehen. Aus ihnen ergibt sich, dass nun 18 Jahre hierfür die entscheidende Altersgrenze ist. Erst dann ist ein junger Mensch verfahrensrechtlich mündig, um für sich gegenüber der Ausländerbehörde oder dem Bundesamt für Migration wirksam zu handeln.

Das war bis zum Herbst 2015 unter der Geltung des alten Rechts anders, damals konnten auch Jugendliche im Alter von 16 oder 17 Jahren ihren Asylantrag selbst stellen oder bei der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Zur Folge hatte dies auch, dass ihnen gegenüber auch eine ablehnende Entscheidung wirksam bekannt gegeben werden konnte. Sie musste keinem gesetzlichen Vertreter zugestellt werden. Das hatte damals für viel Kritik gesorgt, weil der Schutzgedanke, der hinter der Idee einer erst nach einem bestimmten Alter eintretenden Verfahrensfähigkeit steht, gerade für die ausländischen Jugendlichen nicht gelten sollte. Diese Schutzgrenze von 18 Jahren – das machen §§ 12 Abs. 2 AsylG und 80 Abs. 3 AufenthG deutlich – gelten unabhängig von dem Heimatrecht des jungen Menschen und davon, ob ihm dort bereits zu einem früheren Zeitpunkt Geschäftsfähigkeit zukommt. Alles was zu beachten ist, ist, dass der junge Mensch noch nicht 18 Jahre alt ist. Auf die Frage, wie dieses Alter rechtswirksam festgestellt werden kann, wird unten in Kapitel III eingegangen.

Reist ein 17-Jähriger etwa aus Tadschikistan, einem Staat, der die Volljährigkeit von jungen Menschen schon mit 17 Jahren kennt, in die Bundesrepublik, ist er für die Frage, ob er selbst einen Asylantrag stellen kann, als handlungsunfähig anzusehen. Das ergibt sich aus § 12 AsylG. Er ist ein UMF und benötigt für die Asylantragstellung oder den Kontakt mit der Ausländerbehörde einen Vormund. Auf der anderen Seite kann er aber wirtschaftlich handeln wie ein Erwachsener. Von dem Umstand seiner Asylunmündigkeit unabhängig ist der junge Tadschike mit 17 Jahren nämlich geschäftsfähig, mithin rechtlich in der Lage, sich selbst vertraglich zu binden und etwa Bürgschaften zu erteilen, Grundstücke zu kaufen oder eine Firma zu gründen, alles Handlungen, die ein deutscher 17-Jähriger nicht ohne Eltern oder Vormund durchführen könnte.

An diesem Beispiel zeigt sich, dass für die Frage, ob ein Jugendlicher verfahrensrechtlich mündig ist, immer die 18-Jahre-Grenze heranzuziehen ist, auch wenn das Heimatrecht für die Volljährigkeit möglicherweise eine andere Regelung trifft. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Stammt ein junger Mensch aus einem Land, in dem man erst mit 21 Jahren volljährig ist, darf der 18-Jährige in Deutschland seinen Asylantrag selbst stellen. Nur für die Rechtsgeschäfte (z. B. den Grundstückskauf oder die Erteilung einer Bürgschaft) ist er noch nicht mündig und baucht hierfür einen Vormund.

Diese Betrachtungsweise ändert sich aber mit einer Flüchtlingsanerkennung, denn dann gilt auch für einen Ausländer das deutsche Personalstatut.

Wenn in diesem Buch von minderjährigen Ausländern oder Flüchtlingen die Rede ist, dann sind damit nur sogenannte Drittstaatsangehörige gemeint. Drittstaatsangehörige sind alle Menschen, die keine Deutschen oder sonst EU-Staatsangehörige sind oder die sonst eine gleichgeartete Freizügigkeit in der Bundesrepublik genießen. Letzteres erfasst Personen aus der Schweiz, Norwegen, Island oder Liechtenstein. Nur Minderjährige aus allen anderen Ländern der Welt – und auch Staatenlose – kommen daher als UMF in Frage.

A und B, zwei französische Teenager, sind von zu Hause ausgerissen und werden am Frankfurter Hauptbahnhof aufgegriffen. Sie sind keine unbegleiteten minderjährigen Ausländer, weil ihnen die Eigenschaft als Drittstaatsangehörige fehlt.

Das vielleicht schwierigste Merkmal bei der Begriffsbestimmung begegnet in der Frage, ob der Minderjährige unbegleitet ist. Dieser Umstand macht ja auch das besondere Schicksal aus, nämlich allein und auf sich gestellt zu sein.

Aus der Qualifikationsrichtlinie ist zu entnehmen, dass auf die Anwesenheit eines verantwortlichen Erwachsenen abgestellt wird, der sich im Bundesgebiet befinden muss. Daraus ergibt sich, dass z. B. ein Minderjähriger, dessen Eltern sich in einem anderen Staat der EU aufhalten, unter die Definition des Unbegleitet-Seins fallen kann. Wessen Eltern sich lediglich in einer anderen Stadt in Deutschland aufhalten, gilt nicht als UMF.

Bei der weiteren Frage, was unter einem „verantwortlichen Erwachsenen“ zu verstehen ist, sind die familienrechtlichen Regelungen über Sorgerecht und Erziehungsberechtigung heranzuziehen – und zwar die, wie es in der Richtlinie ausdrücklich heißt, des Inlands.

Bei der Frage, ob ein Minderjähriger begleitet ist, gilt also das deutsche Familienrecht, nicht das ausländische. In der Regel haben in Deutschland die Eltern das Sorgerecht (§ 1626 BGB). Ist nur ein Elternteil mit dem Minderjährigen eingereist, kann die Betrachtung aber schon schwieriger werden, weil z. B. der Vater eines mit der Kindsmutter nicht verheirateten Kindes auch nach aktueller deutscher Gesetzeslage kein Sorgerecht innehat. Der Vater hat dann die Möglichkeit, das Sorgerecht durch Gerichtsbeschluss zu erhalten, was aus Gründen des Kindeswohls von den Familiengerichten auch regelmäßig so angeordnet wird. Übergangsweise hilft hier auch § 12 Abs. 3 AsylG, der auch dem alleinanwesenden Elternteil unabhängig vom Sorgerecht die Befugnis zur Vertretung im Asylverfahren zuweist. Hat der Vater das Sorgerecht durch das Gericht erhalten, ist sein Kind auch kein UMF mehr.

Onkel und Tante oder volljährige Geschwister sind nach deutschem Familienrecht nicht sorgeberechtigt. Reist ein Minderjähriger nur mit diesen Verwandten ein, ist er ein UMF.

Verzwickter sind dann aber die – freilich nicht sehr häufig auftretenden – Fälle einer Erziehungsvollmacht. Davon ist die Rede, wenn etwa ein Onkel oder eine Tante eines Minderjährigen eine Generalvollmacht der Eltern aus dem Herkunftsland vorweist, die dem Verwandten alle (oder bestimmte) Befugnisse im Zusammenhang mit Sorge und Erziehung überträgt. Solche Vollmachten sind durchaus wirksam. Das ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII. Eine Übertragung des Sorgerechts ist – von gerichtlichen Verfügungen abgesehen – nicht möglich, aber Teile von ihr, etwa die Berechtigung, Erziehungsmaßnahmen vorzunehmen, lassen sich durchaus von den Eltern auf andere delegieren. Eine bestimmte Form (etwa die Erklärung vor einem Notar oder Gericht) ist hierfür nicht vorgeschrieben. Hier muss das Jugendamt allerdings genau prüfen, wer die Vollmacht ausgestellt hat und für welche Fälle sie gelten soll. Alles das hat das Jugendamt nach dem Untersuchungsgrundsatz (§ 20 SGB X) selbstständig und vollumfänglich aufzuklären. In der Praxis werden solche Vollmachten aber wohl oft daran scheitern, dass die Urheberschaft der Eltern nicht aufgeklärt ist, was daran liegen kann, dass Zweifel über die Person des Ausstellers oder über seine Eigenschaft als personensorgeberechtigter Elternteil bestehen bleiben.

Ein in der Praxis noch seltener Fall, der aber immer dann, wenn er auftritt, auch jenseits des Fachpublikums zur Diskussion anregt, ist der, wenn z. B. ein noch im Kindesalter befindliches Mädchen mit ihrem volljährigen Ehemann einreist, mit dem sie im Herkunftsland nach den dort gültigen Regelungen die Ehe geschlossen hat. Da bei ausländischen Staatsangehörigen das jeweilige Heimatrecht gilt, wenn es um die dort geschlossene Ehe geht, ist diese Ehe grundsätzlich auch in Deutschland anzuerkennen, auch wenn sie so nach deutschem Recht nicht hätte geschlossen werden können.

Hier gibt es aber Grenzen: Es ist im internationalen Recht anerkannt, dass einem ausländischen Rechtsakt dann die Wirksamkeit zu versagen ist, wenn er der inländischen Grundrechtsordnung deutlich widerspricht. Das ist dann im Einzelfall bei diesen sogenannten Kinderehen zu prüfen. Hier muss beachtet werden, dass auch im deutschen Recht die Eheschließung eines Minderjährigen zulässig ist, wenn das Familiengericht zustimmt. Der Minderjährige muss aber mindestens 16 Jahre alt sein (§ 1303 BGB).

In einem vielbeachteten Gerichtsbeschluss hat das OLG Bamberg im Mai 2016 entschieden, dass die im Alter von unter 14 Jahren geschlossene Ehe eines syrischen Mädchens für deutsche Behörden und Gerichte im Einzelfall wirksam sein kann und nicht gegen die Wertordnung verstößt. Dabei hat das Gericht allerdings die Partnerbeziehung berücksichtigt,...

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