Religion und Philosophie - Perspektivische Zugänge zur Lehrer- und Lehrerinnenausbildung in Deutschland, Frankreich und der Schweiz

Religion und Philosophie - Perspektivische Zugänge zur Lehrer- und Lehrerinnenausbildung in Deutschland, Frankreich und der Schweiz

von: Antje Roggenkamp, Thomas Schlag, Philippe Büttgen

Evangelische Verlagsanstalt, 2017

ISBN: 9783374048229

Sprache: Deutsch

300 Seiten, Download: 790 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Religion und Philosophie - Perspektivische Zugänge zur Lehrer- und Lehrerinnenausbildung in Deutschland, Frankreich und der Schweiz



HISTORISCHE, VERFASSUNGSRECHTLICHE UND GESELLSCHAFTSPOLITISCHE HINTERGRÜNDE DER DIVERSITÄT DES RELIGIONSUNTERRICHTS IN DER SCHWEIZ


Thomas Schlag

1. EINLEITUNG

Für das Verständnis der Rahmenbedingungen und Herausforderungen des schulischen Religionsunterrichts und der damit verbundenen Lehrerbildung in der Schweiz ist die Einsicht in die historischen, verfassungsmäßigen und gesellschaftspolitischen Hintergründe dieses Bildungskontextes in der Mitte Europas unabdingbar. Deren möglichst intensive Wahrnehmung stellt die conditio sine qua non für alle Analysen und Überlegungen zur Gegenwart und Zukunft des Faches im schweizerischen Kontext dar.

2. HISTORISCHE HINTERGRÜNDE

Wie in anderen europäischen Ländern hat sich religiöse Bildung an den Schulen auf Grund der Monopolstellung der Kirchen auch in der Schweiz über Jahrhunderte hinweg als kirchlich-konfessioneller Unterricht an der Schule verstanden. Die katholischen Klosterschulen und später die reformatorischen Bildungseinrichtungen dienten der Ergänzung, Weiterführung und Vertiefung der familiären religiösen Erziehung und wollten den christlichen Glauben als entscheidende Orientierungsmarke für das zukünftige Leben der Kinder und Jugendlichen herausstellen. Dabei ging, wie etwa die Bildungsprogramme der schweizerischen Reformatoren zeigen, die pädagogische Intention dahin, insbesondere mit Hilfe der katechetischen Belehrung die Vermittlung der je eigenen konfessionellen und dogmatischen Standards vorzunehmen, aber ebenso auch in das Verständnis der Bibel einzuführen und die Jugendlichen zugleich zur Mitwirkung am Gottesdienst bis hin zur möglichen Übernahme geistlicher und eben auch weltlicher Ämter zu befähigen.

3. VERFASSUNGSRECHTLICHE HINTERGRÜNDE

Bis zur Gründung der Helvetischen Republik bestand in der Schweiz faktisch keine Religionsfreiheit. Dies betraf vor allem die seit der Reformationszeit in der Schweiz bestehenden Täufergemeinden, die bis weit ins 18. Jahrhundert verfolgt wurden. In der Bundesverfassung von 1848 wurde die Kultusfreiheit nur den anerkannten christlichen Konfessionen gewährt. In der vollständig revidierten Bundesverfassung von 1874 wurde die Religionsfreiheit im heutigen Umfang eingeführt, wenn es etwa heißt: »Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist unverletzlich. Niemand darf zur Teilnahme an einer Religionsgenossenschaft, oder an einem religiösen Unterricht, oder zur Vornahme einer religiösen Handlung gezwungen, oder wegen Glaubensansichten mit Strafen irgendwelcher Art belegt werden. […] Die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte darf durch keinerlei Vorschriften oder Bedingungen kirchlicher oder religiöser Natur beschränkt werden« (§ 49). Deutlich wird schon hier, dass man die Ausübung der Religion und deren Schranken unbedingt vom Kriterium des Gemeinwohls aus beurteilte, wenn etwa festgelegt wird: »Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet. Den Kantonen sowie dem Bunde bleibt vorbehalten, zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgesellschaften sowie gegen Eingriffe kirchlicher Behörden in die Rechte der Bürger und des Staates die geeigneten Maßnahmen zu treffen.« (§ 50)

4AKTUELLE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE HINTERGRÜNDE

Neben den schon erwähnten spezifischen religionskulturellen Traditionen der Schweiz ist es dann aber seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts die Entwicklung hin zu einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft, die zu grundsätzlichen Überlegungen hinsichtlich des zukünftigen Religionsunterrichts geführt hat. So ist hier zu erwähnen, dass der Anteil der Mitglieder der beiden großen Volkskirchen im Lauf der letzten 40 Jahre von rund 90 % auf gegenwärtig ca. 60 % abgenommen und sich der Anteil der Konfessionslosen im selben Zeitraum mehr als verzehnfacht hat.

5. KONSEQUENZEN FÜR DEN RELIGIONSUNTERRICHT

Im Unterschied etwa zu Deutschland ist der schulische Religionsunterricht verfassungsmäßig weder garantiert noch seine Stellung durch eine eigene rechtliche Bestimmung in besonderer Weise hervorgehoben. Da den Kantonen die Schulhoheit zukommt, führt dies auf dem Boden der angedeuteten verschiedenen historischen Traditionen zu überaus unterschiedlichen Schulsystemen und den entsprechend abweichenden Regelungen für den Religionsunterricht – ganz abgesehen von den höchst unterschiedlichen Bezeichnungen, die das Fach erfährt: so finden sich Fächernamen wie Biblische Geschichte, Berufswahlkunde – Lebenskunde – Ethik, Ethik und Religionen, Ethik und Religion, Ethik und Religion – Bibel, Religion, Religion und Kultur, Religionen und Kulturen, Religion und Ethik oder Religionskunde und Ethik.

  1. In Verantwortung durch die staatlichen Schulen ohne Mitverantwortung der öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften;
  2. in Mitverantwortung der öffentlich-rechtlichen anerkannten Religionsgemeinschaften;
  3. in der Verantwortung der öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften in Zusammenarbeit mit dem Staat.

Allerdings sind nun in jüngster Zeit Harmonisierungstendenzen zu konstatieren, die eben auch den Religionsunterricht betreffen. Diese Veränderungen zeigen sich deutlich im Zusammenhang der Lehrpersonenausbildung für den Religionsunterricht14: Bis zur umfassenden Reform der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in den 1990er Jahren erfolgte die Ausbildung von Lehrpersonen für die Vorschulstufe, die Primarstufe und Sekundarstufe I mehrheitlich an den sog. Seminarien, teilweise durchaus eben auch in konfessioneller Tradition. Die Bologna-Maßnahmen wurden nun sehr früh von der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) zur Grundlage ihrer bildungspolitischen Strategien gemacht15 – und dies von Seiten der Religionspädagogik mit der durchaus kritischen Wahrnehmung, dass »das altehrwürdige Seminar […] der eurokompatiblen und milenniumstauglichen PH«16 wich. So erließ der Fachhochschulrat der EDK am 5. Dezember 2002 Richtlinien für die Umsetzung der Erklärung von Bologna an den Fachhochschulen (FH) und den Pädagogischen Hochschulen (PH) und im Jahr 2004 traf die EDK Beschlüsse zur gesamtschweizerischen Gestaltung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Seitdem findet diese Ausbildung im Sinne der Tertiarisierung, d. h. der Akademisierung, vornehmlich an Universitäten und Fachhochschulen (Pädagogischen Hochschulen, Musik- und Kunsthochschulen) statt.

– »zur Nachdenklichkeit zu sachgerechtem Vernunftgebrauch und Reflexion grundlegender Werte und Normen anleiten,

– mit religiösen Traditionen und weltanschaulichen Vorstellungen und ihren kulturellen Aspekten bekannt machen und gesellschaftliche Orientierung, Teilhabe und Abgrenzung ermöglichen,

– zu eigenständiger Lebensgestaltung und Verantwortungsbereitschaft ermutigen und zur verantwortlichen Teilhabe an der Gemeinschaft, zu Kommunikation und Kooperation befähigen.«19

Was hier auf den ersten Blick als Chance für die Thematisierung von Religion erscheint, droht dann doch innerhalb eines solchen Teilbereichs in ethische und gemeinschaftsbezogene Unterrichtsinhalte aufzugehen. Insofern besteht im Blick auf die Ausbildung der Religionslehrpersonen die Verantwortung, die spezifischen Inhalte und Dimensionen religiöser Bildung gerade über einen existenziell-ultimativen Modus der Weltbegegnung zu erschließen.

6. FOLGERUNGEN

Auf dem engen Raum der Schweiz bildet sich die Vielfalt der verschiedenen, auch in Europa praktizierten Zuordnungsmodelle ab, gleichsam von einem kirchlich-konfessionell verankerten Religionsunterricht über eher religionskundliche Modelle bis hin zu einem auf Ethik ausgerichteten laizistisch verankerten Modell, in dem Religion bestenfalls noch am Rande thematisiert wird. Zugleich wird aber auch deutlich, dass die erwähnten Harmonisierungsbestrebungen zu einem überkonfessionellen, im Prinzip religionskundlich geprägten Modell führen könnten, wenn denn zukünftig überhaupt noch eine Art eigenständiges Fach erhalten bleibt, was durchaus fraglich sein könnte.22 Man kann also sagen, dass die alte historische und verfassungsrechtliche Tradition der negativen Religionsfreiheit nun insoweit auf den Religionsunterricht durchschlägt, als dieser als...

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