Beweg dich! Und dein Gehirn sagt Danke - Wie wir schlauer werden, besser denken und uns vor Demenz schützen

Beweg dich! Und dein Gehirn sagt Danke - Wie wir schlauer werden, besser denken und uns vor Demenz schützen

von: Manuela Macedonia

Christian Brandstätter Verlag, 2018

ISBN: 9783710603068

Sprache: Deutsch

184 Seiten, Download: 5280 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Beweg dich! Und dein Gehirn sagt Danke - Wie wir schlauer werden, besser denken und uns vor Demenz schützen



In Leipzig, nach jenem Sommer auf dem Rad, kam der Winter, ein Winter, der ein sehr strenger war. Ich fing an, zu Fuß zu gehen, von meiner Wohnung bis ins Stadtzentrum und wieder zurück. Manchmal ging ich täglich zehn, auch fünfzehn Kilometer. Dann kam der Tag, als ich zu laufen begann. Ja, in der Kälte. Zuerst wenige Kilometer, dann steigerte ich mich von Woche zu Woche. Ich lief manchmal in der Früh, vor der Arbeit, manchmal abends. Aber es war Winter und um diese Zeit eisig und noch dunkel im Clara-Zetkin-Park, einer wunderschönen Anlage mit vielen alten Bäumen und einer Ausdehnung von weit über hundert Hektar. Nach einigen Monaten war ich täglich zirka zwölf Kilometer durch den Park unterwegs, auf der Runde am Kanal, am Damm vorbei, die Landschaft bewundernd. Lust zu laufen hatte ich eigentlich nie, aber ich freute mich jedes Mal auf die heiße Dusche, die mich nach dem Lauf erwartete. Ich bemerkte, dass mit der Zeit mein Schlaf besser wurde und ich die Baldriandragees nicht mehr brauchte, um abends meine Gedanken an die Statistik und an die Publikationen ruhigzustellen. Mein Körper war müde und wollte einfach nur schlafen. Und noch etwas passierte wie ganz von selbst: Mein Gedächtnis wurde von Woche zu Woche besser.

Was der Hippocampus alles kann


Was war nun in meinem Gehirn in jenen Monaten in Leipzig geschehen? Und weshalb spürte ich den Unterschied zwischen der Zeit vor dem Sport und der Zeit während des Sports so deutlich? Maren, meine Bürokollegin, hatte mir ja einen Stapel Fachartikel über den Hippocampus auf den Schreibtisch gelegt. Darin fand ich mehrere Antworten. Fangen wir mit der Frage an, welche Rolle der Hippocampus im Gedächtnis spielt.

Die Bezeichnung Hippocampus stammt aus dem Lateinischen und in der Übersetzung bedeutet es Seepferd. Die Neuroanatomen haben zugegebenermaßen große Fantasie in der Namensgebung entwickelt. Das ist auch verständlich, wenn man bedenkt, dass alle Windungen und Furchen mehr oder weniger gleich aussehen. Das Seepferdchen hat eine gekrümmte Struktur und im erwachsenen Gehirn ist es so lang wie ein kleiner Finger. Die Form erinnert uns auch an eine Banane, aber eine solche Bezeichnung hätte weniger geheimnisvoll gewirkt als das lateinische Wort. Vom Hippocampus haben wir zwei Stück, links und rechts je einen. Eingebettet in der Tiefe unseres Gehirns, mitten in der weißen Substanz, besteht das Seepferdchen aus Neuronen. Phylogenetisch, also evolutionär gesehen, handelt es sich um eine uralte „eingedrehte“ Rinde1,2. Möglicherweise ist sie durch die Gehirnfaltung ins Innere des Gehirns geschoben worden.

HIPPOCAMPUS

Nun ist der Hippocampus für viele Aufgaben zuständig, die alle gleich wichtig sind. Fangen wir mit dem Kurzzeitgedächtnis an. Wie die Bezeichnung schon sagt, handelt es sich um Information, die wir kurzfristig behalten sollen. Was bedeutet „kurzfristig“? Und wie kann man das feststellen, ob man ein gutes Kurzzeitgedächtnis hat oder nicht? Die Lernpsychologie hat dafür Methoden entwickelt, sogenannte Gedächtnistests. Als ich in Leipzig die Probanden für meine Lernexperimente aussuchte, musste ich sichergehen, dass sie eine „homogene Population“ bilden, wie man in der Fachsprache sagt. Damit ist gemeint, dass im Experiment die Teilnehmer in ihrer Fähigkeit, sich Inhalte zu merken, vergleichbar sind. Sie mussten dafür Gedächtnis- und Intelligenztests bestehen. Personen, die ein extrem gutes oder schlechtes Gedächtnis haben, die für die durchschnittliche Bevölkerung nicht repräsentativ sind, durften demnach am Experiment nicht teilnehmen.

Zu diesem Zweck setzte ich, unter anderem, den Memory Span Test ein3. Dabei legt man dem Probanden eine dicke Mappe vor, in der Seiten mit Wörtern enthalten sind. Auf der ersten Seite steht ein Wort, auf der zweiten stehen zwei Wörter, und so weiter. Die Aufgabe besteht darin, sich so viele Wörter wie möglich in der ursprünglichen Reihenfolge zu merken, indem man blättert, vorliest und wiederholt. Beim ersten Blatt liest und wiederholt man ein einziges Wort. Das ist leicht. Auf dem zweiten Blatt stehen zwei Wörter: Man wiederholt das erste, das man im Kopf behalten hat, und die zwei neuen. Auf dem dritten Blatt stehen drei Wörter. Hier muss man Wort eins, Wort zwei und drei sowie die neuen drei Wörter vorsagen. Also steigt beim dritten Blatt die Anzahl der Wörter bereits auf sechs. Beim vierten Blatt in der Mappe hat der Proband zehn Wörter zum Wiederholen, ohne zurückzublättern, wohlbemerkt. Die Aufgabe wird also in kurzer Zeit sehr schwierig und man zweifelt bald an den eigenen Fähigkeiten.

Hier scheiden sich die Geister. Man spricht vom Millers Gesetz, nach George Miller, einem Professor an der Universität Princeton. Er hatte beobachtet, dass der Durchschnittsmensch zirka sieben Wörter, plus minus zwei, im Kurzzeitgedächtnis behalten kann, „The magical number seven, plus or minus two4“, höre ich noch meinen Doktorvater, Professor Klimesch, in der Vorlesung an der Universität Salzburg sagen. Im Lauf der Zeit hat sich herausgestellt, dass Millers Beobachtungen für den durchschnittlichen Universitätsstudenten gelten. Ich hatte auch einige wenige Probanden, die sich bis zu 25 Wörter merken konnten. Meistens handelte es sich um Juristen oder Mediziner. Diese zwei Gruppen sind ja durch das Studium gut trainiert, Begriffe zu behalten. Es gab aber auch Studenten, die nicht über vier Wörter hinauskamen. In beiden Fällen musste ich die Personen, sogenannte High- und Low Performers, vom Experiment ausschließen. Zugegebenermaßen ist der Memory Span Test (auch Digit Span Test genannt, wenn man mit Zahlen statt mit Wörtern arbeitet) nicht so harmlos, wie er scheint! Die Resultate von diesem Test hängen außerdem davon ab, ob die Begriffe in irgendeiner Form assoziierbar sind, ob inhaltlich oder vom Wortklang her und natürlich vom Alter der Personen. Mittlerweile sind sich Gedächtnisforscher darüber einig, dass die durchschnittliche Behaltensleistung vier plus minus eins ist5. Also kein Grund zur Sorge!

Nun, all das, was unter „Wissen“ fällt, Namen, Listen, und so weiter, wird zunächst im Hippocampus gespeichert. Lernen wir die Namen der österreichischen Kaiser vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, speichern wir sie kurzfristig im Hippocampus. Dasselbe gilt für die Einkaufsliste und die kleinen Details des Alltags, zum Beispiel, ob wir die Kaffeemaschine ausgeschaltet haben. Kurzfristig bedeutet beim Hippocampus von der ersten Sekunde an bis zu zirka zwei Jahren. Im Lauf dieser Zeit werden die Gedächtnisinhalte an die Gehirnrinde übertragen, in die Netzwerke, die unser ganzes Wissen und Können speichern. Dort bleiben sie dann ein Leben lang abrufbar. Nicht ausreichend relevante Informationen, wie die eingeschaltete Kaffeemaschine, verlieren wir.

Eleonore Maguire, eine brillante britische Hippocampus-Forscherin, hat herausgefunden, dass die Inhalte sich innerhalb des Hippocampus mit der Zeit aus ihm hinaus bewegen, um an die Gehirnrinde weitergeleitet zu werden6. Wie konnte sie das? Sie ließ ihre Probanden drei Videos im Kernspintomographen anschauen, die Szenen aus dem Leben der Probanden zeigten. Dadurch konnte sie jene Stelle im Hippocampus identifizieren, die beim Beobachten der Szene aktiv wurde, in der diese Inhalte gespeichert waren. Diesen „Job“ übernehmen große Populationen von Neuronen, die beim Reiz aktiv werden.

Die Wissenschaftlerin wiederholte das Verfahren drei Mal zu verschiedenen Zeitpunkten und beobachtete, dass sich die Stellen, wo Aktivität zu verzeichnen war, im Lauf der Zeit räumlich verschoben. Maguire kam zur Einsicht, dass eine Erinnerung innerhalb der zwei Jahre den Hippocampus durchreist, um dann ihren endgültigen Platz auf der Rinde zu finden. Den Vortrag zu diesem faszinierenden Experiment hörte ich im Jahr 2014 in Seattle. Bis heute begeistert mich ihre Entdeckung. Es ist leicht nachvollziehbar, dass ein gutes Kurzzeitgedächtnis die Basis für ein gutes Langzeitgedächtnis darstellt, und das wiederum ist die Basis für Erfolg in der Schule und im Beruf.

Eine weitere Art von Gedächtnis ist im Hippocampus angesiedelt, das räumliche Gedächtnis7. Im Seepferdchen befindet sich ein großartiges System der Ortskartierung mit sogenannten Platzzellen8. Dabei handelt es sich um Zellen, die für gewisse Punkte im Raum zuständig sind: Zum Beispiel, wenn wir in einer fremden Stadt vom Hotel in ein Museum gehen, für die Kreuzung, die wir überqueren, das Restaurant an der Ecke, das Blumengeschäft gegenüber vom Restaurant, und so weiter. Die Platzzellen bekommen Input von unseren Sinnen, in erster Linie aus den Augen. Verändert sich die sensorische Wahrnehmung – also kommen wir nach zwei Jahren wieder zu jenem Museum und sehen die umgestaltete Fassade bzw. den neuen Vorplatz – erkennen wir den Ort...

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