Ella und die falschen Pusteln

Ella und die falschen Pusteln

von: Timo Parvela

Carl Hanser Verlag München, 2012

ISBN: 9783446240971

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 3078 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Ella und die falschen Pusteln



Es ist eine Berufskrankheit


Wir fuhren mit einer Polizei-Eskorte zum Krankenhaus. Ein Polizeiauto fuhr vor uns und eins hinter uns, und der Lehrer musste an keiner einzigen Kreuzung mehr anhalten, um nach rechts und links zu schauen. Der Lehrer sah sehr zufrieden aus. Er fand es nur schade, dass die Polizisten zum Blaulicht nicht die Sirene anstellten, obwohl er sie extra darum gebeten hatte. Als wir am Krankenhaus ausstiegen, bedankte er sich bei den Polizisten und fragte:
»Sagen Sie, könnten Sie mich heute Nachmittag auch noch zum Supermarkt eskortieren? Meine Frau besteht darauf, dass ich sie mit dem nagelneuen Auto zum Einkaufen fahre, und Sie wissen ja, wie schnell man sich auf dem überfüllten Parkplatz dort eine Beule einfängt. Natürlich wäre es einfacher, sie ginge gleich zu Fuß, und gesünder wäre es noch dazu, aber mit einer Polizei-Eskorte … Nein?«
Die Polizisten schüttelten den Kopf: Für so was hätten sie nachmittags leider keine Zeit.
»Wenn dafür keine Zeit ist, wofür dann?«, schimpfte der Lehrer ihnen hinterher. Dann ging er zum Anmeldeschalter, und wir folgten ihm.
Als die Anmeldetanten uns sahen, schickten sie uns gleich auf eine Station und hängten ein Schild an die Stationstür:
Windpocken. Gebt acht auf Kinder!
Dass wir Windpocken hatten, wunderte uns kein bisschen. Hannas kleine Schwester hatte Windpocken, und Hanna hatte schon erzählt, dass sie unglaublich ansteckend sind. Wegen der Ansteckung musste auch der Lehrer auf der Station bleiben.
»Moment mal, ich bin doch nicht krank!«, sagte er, als die Krankenschwester ihm ein Krankenhausnachthemd brachte. »Außerdem bin ich nur der Fahrer – ich kenne diese Kinder nicht mal.«
Die Krankenschwester sagte nichts. Sie zeigte nur auf einen Spiegel, in dem der Lehrer sein rot gepunktetes Gesicht sehen konnte.
»Ach die?«, sagte der Lehrer mit einem gekünstelten Lachen. »Die … die müssen von den Kindern sein.«
»Eben«, sagte die Krankenschwester und drückte ihm das Nachthemd in die Hand.
»Das ist nur Wasserfarbe. Sie haben erst sich angemalt und dann mich. Sehen Sie, nur Farbe!«, sagte der Lehrer und versuchte, sich mit dem Nachthemd die Pünktchen aus dem Gesicht zu rubbeln. Aber es war wie bei uns: Sie blieben.
»Ist es Ihnen recht, wenn Sie bei den Kindern auf der Station bleiben?«, fragte die Krankenschwester.
»Nein!«, rief der Lehrer. »Auf keinen Fall! Wer sind diese Kinder überhaupt? Ich kann doch nicht mit wildfremden Kindern auf derselben Station bleiben.«
Wir machten uns echt Sorgen um ihn. Jetzt schien er auch noch sein Gedächtnis zu verlieren.
»Mit wildfremden Kindern?« Die Krankenschwester runzelte die Stirn. »An der Anmeldung sagten Sie noch, Sie wären der Klassenlehrer.«
»Damit werden Sie vor Gericht nicht durchkommen. Sie haben mir meine Rechte nicht vorgelesen!«, schrie der Lehrer, als die Krankenschwester ihn in ein Zimmer schob und die Tür hinter ihm schloss. »Ich habe das Recht, jemanden anzurufen!«, schrie er später noch, aber da hatte uns die Krankenschwester schon unser großes Zimmer auf der anderen Seite des Flurs gezeigt und war im Schwesternzimmer verschwunden.
Wir standen, jeder mit einem Krankenhaushemd in der Hand, auf dem Flur und schauten uns um. Da sahen wir Pekka. Er hatte das Zimmer neben uns, aber es war ein Einzelzimmer wie das des Lehrers, und es sah auch genauso aus: mit einem Fenster zum Flur, durch das man zu ihm hineinschauen konnte. Außer Pekka waren in dem Zimmer nur ein Bett, ein Nachttisch, ein Tisch und ein Stuhl. Wir mussten lachen, weil das Zimmer ein bisschen wie ein Aquarium aussah, nur viel größer.
Wir brachten die Nachthemden in unser Zimmer und legten sie auf die Betten, dann gingen wir Pekka begrüßen. Als wir am Zimmer des Lehrers vorbeikamen, mussten wir wieder lachen, weil es natürlich auch wie ein Aquarium aussah. Der Lehrer saß auf seinem Bett und sah wie ein trauriger Karpfen aus.
Bei Pekka wussten wir erst nicht, was für einem Fisch er ähnlich sah. Timo schlug vor, einem Wels. Hanna meinte, er ähnele mehr einem Kugelfisch, und Tiina sagte, sein Gesichtsausdruck erinnere sie an einen Barsch. Meiner Meinung nach sah Pekka glasklar wie einer von den Putzerfischen aus, die in den Aquarien immer die Scheiben sauber lutschen. So hatte jeder eine Meinung, nur der Rambo drohte, jedem die Flossen einzeln auszureißen, der ihn jemals mit einem Fisch vergleichen wollte, und Mika quengelte, weil er angeblich gegen Fisch allergisch war.
Das Fenster zu Pekkas Zimmer hatte eine Stelle mit Löchern, durch die man sprechen konnte.
»Hallo, Pekka!«, probierte Timo, ob Pekka uns hörte.
»Hallo!«, sagte Pekka.
»Wusstest du, dass das Gedächtnis von Fischen nur für fünf Sekunden reicht?«, fragte Timo.
»Ich hab’s mal gewusst, aber wieder vergessen«, sagte Pekka.
»Und? Haben sie schon was rausgekriegt?«, fragte ich und schaute über den Flur ins Zimmer des Lehrers, der gerade die Laken und Überzüge aus seinem Bett zusammenknotete.
Wir hofften natürlich sehr, dass die Ärzte schon rausgekriegt hatten, was Pekka fehlte. Nur so konnten wir ja rauskriegen, was dem armen Lehrer fehlte.
»Nein«, sagte Pekka. »Sowieso ist es hier bloß langweilig. Man darf nicht mal Fußball spielen.«
»Nicht?«, wunderten wir uns, weil uns gerade das Nachttischlämpchen auffiel, das neben seinem Nachttisch auf der Erde lag.
»Nein, überhaupt haben sie was gegen Bälle«, sagte Pekka.
Jetzt sahen wir, dass das normale Fenster in seinem Zimmer, das nach draußen, einen Sprung hatte.
»Aha«, sagten wir.
Der Lehrer versuchte inzwischen, sein Fenster nach draußen zu öffnen. Das Seil, zu dem er seine Laken und Überzüge verknotet hatte, hing über seine Schulter. Aber das Fenster ließ sich anscheinend nicht öffnen, nur ein kleines Lüftungsfenster ganz oben, und durch das passte der Lehrer nicht durch, obwohl er es mit aller Kraft versuchte. Nach einer Weile kam die Krankenschwester und verbot ihm solche gefährlichen Kunststücke, und als er nicht aufhörte, kamen zwei Krankenpfleger und zogen ihn an den Beinen aus dem Lüftungsfensterchen heraus. Die Krankenpfleger mussten sich richtig anstrengen, weil er mit dem Bauch festklemmte. Unser Lehrer hatte wirklich keinen guten Tag.
»Ich gehöre nicht hierher. Ich habe die Windpocken schon gehabt«, sagte er, als er wieder auf seinem Bett saß.
»Aber Sie haben Pusteln«, sagte die Krankenschwester.
»Das ist eine Berufskrankheit«, versuchte es der Lehrer. »Ich bin allergisch gegen Kinder. Ich habe Pusteln, wie ein Zebra Streifen hat, und Zebras müssen wegen ihren Streifen auch nicht ins Krankenhaus.«
»Zebras gehören in den Zoo«, sagte die kluge Krankenschwester.
»Zebras sind freie, stolze Tiere und gehören in die Savanne«, sagte unser kluger Lehrer. »Ich wiederum bin ein freier Mensch und verzichte freiwillig auf meine Freiheit, weil ich eine Berufung habe. Ich bin nämlich Lehrer.«
»Vorhin haben Sie noch behauptet, Sie wären nur der Fahrer.«
»Das ist ein und dasselbe. Wir Lehrer sind Fahrer, Polizisten, Kindergärtner und, wenn es sein muss, sogar Krankenschwester.«
»Oder Zebra«, hörten wir die Krankenschwester murmeln, als sie mit den Krankenpflegern aus dem Zimmer ging. Die beiden lachten wiehernd wie Pferde, und wenn wir es nicht besser gewusst hätten, hätten wir es langsam mit der Angst bekommen, dass wir aus Versehen im Tierkrankenhaus gelandet waren.
»Und mein Auto?«, rief der Lehrer. »Was ist mit meinem Auto? Es steht ganz allein dort unten auf dem riesigen Parkplatz. Es weint, hört ihr das nicht? Es ist krank vor Heimweh. Es wird erfrieren!«
Der arme Lehrer beruhigte sich erst am Abend, als seine Frau und sein Kind ihn besuchen kamen. Koj und Ote durften nicht mit ins Krankenhaus, aber wir hörten sie unten heulen. Die Frau des Lehrers stand im Flur und redete durch die Löcher in der Scheibe, so wie wir mit Pekka geredet hatten. Wir steckten die Köpfe durch die Tür, um zu hören, was sie sagte.
»Windpocken? Aber die hast du doch schon gehabt«, wunderte sie sich.
»Das sage ich ja die ganze Zeit, aber sie hören mir nicht zu.«
»Das ist alles ein Missverständnis.«
»Sag ich doch.«
»Die Krankenschwester hat ein Zebra erwähnt.«
»Noch so ein Missverständnis. Ich meinte einen Leoparden. Leoparden haben Punkte und Zebras Streifen, das hab ich in der Aufregung durcheinandergebracht.«
»Vielleicht solltest du dich ein wenig ausruhen, Liebling …«
»Der Leopard kann seine Punkte nicht loswerden, und mir geht es genauso«, sagte der Lehrer trotzig.
Die Frau des Lehrers betrachtete ihn nachdenklich durch die Scheibe.
»Du hast wirklich Pusteln im Gesicht«, sagte sie.
»Fang du nicht auch noch an!«
»Mach dir keine Sorgen, Liebling. Es wird alles gut«, sagte die Frau des Lehrers. Dann drückte sie die Hand gegen das Fenster, und der Lehrer machte von der anderen Seite dasselbe. Das fanden wir Mädchen schrecklich romantisch, und als die Frau des Lehrers das Kind hochhob, damit es dem Papa ein Küsschen durch die Scheibe geben konnte, mussten wir fast heulen. Nur die blöden Jungs machten Knutschgeräusche, bis das Kind erschrak und wirklich losheulte. Das war dann gar nicht mehr romantisch, und das fand die Frau des Lehrers anscheinend auch. Jedenfalls setzte sie das Kind ab und bat den Lehrer, ihr den Autoschlüssel zu...

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