Die Kunst des Konflikts - Konflikte schüren und beruhigen lernen

Die Kunst des Konflikts - Konflikte schüren und beruhigen lernen

von: Klaus Eidenschink

Carl-Auer Verlag, 2024

ISBN: 9783849784621

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 2446 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Die Kunst des Konflikts - Konflikte schüren und beruhigen lernen



Für einen guten Start der Lektüre


»Auch Konflikttheoretiker hängen oft, und selbst wenn sie das Gegenteil beteuern, dem Traum einer konfliktfreien Gesellschaft an.«

Niklas Luhmann

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit anderen Menschen in einem Park. Eine Straßencombo mit Gitarre und Kongas platziert sich dort, und es erklingt beschwingte, fröhliche Musik. Was wird geschehen? Sie und die anderen werden in ihrer persönlichen Art und Weise in Resonanz gehen. Vielleicht wippen Sie mit dem Fuß, trommeln mit den Fingern oder wiegen sich leicht im Takt. Oder aber Sie werden innerlich abgelenkt, in ihren Gedanken gestört und sind genervt von der Berieselung. Wie Sie Ihre Resonanz gestalten, liegt an Ihnen selbst, aber die Musik ergreift Sie in der einen oder anderen Weise. Mehr oder weniger. So oder anders. Die Musik ruft in Ihnen Ihre »Musikperson« auf. Diese ist bei jedem anders, und doch gleichen wir Menschen uns in den grundlegenden Mustern, wie wir mit Musik in Resonanz gehen. Diese Reaktionen beeinflussen wiederum die Umwelt. Wenn alle aufstehen und tanzen oder mitsingen, wird das auf die Musik und die Musiker anders wirken, als wenn alle gelangweilt weghören. Aber keiner kann allein bestimmen, welchen Verlauf diese Szene im Park nimmt. Sie lässt sich beeinflussen, aber nicht bestimmen, weder kontrollieren noch voraussehen.

Lesen Sie in diesem Buch weiter, dann lassen Sie sich auf den Gedanken ein, dass Konflikte der Musik ähnlich sind. Was wäre, wenn Konflikte uns ebenfalls in Resonanz versetzen? Was wäre, wenn sie ein Eigenleben hätten, das wir Menschen beeinflussen, aber nicht ausmerzen oder kontrollieren können? Was wäre, wenn in Konflikten jeder nicht als Normalmensch, sondern mit seiner »Konfliktperson« an der Kommunikation teilnimmt? Was, wenn man Konflikte als untilgbares und unersetzliches Phänomen des Lebens und sozialen Miteinanders begreifen würde? Dann ginge es in Konflikten nicht darum, sie zu lösen, sondern sie in ihrer Funktion zu verstehen, sie zu gestalten, zu nutzen, zu verstärken oder zu verringern. Es wäre dann wichtig, die Fähigkeit zu haben, Konflikte zu regulieren, statt sie zu lösen. Regulieren würde bedeuten, dass man Konflikte genauso schüren wie beruhigen können muss, dass man ebenso gelassen bleiben kann wie aggressiv oder drohend. Konflikte müssten wir dann sowohl als nützlich wie als schädlich ansehen. Ebenso könnte es richtig oder falsch sein, sie anfangen oder beenden zu wollen. Konfliktvermeidung könnte dann so destruktiv sein wie Streitlust. Wenn Sie sich für diese Möglichkeiten und Gedankengänge interessieren, lohnt sich das Weiterlesen.

Ich möchte in diesem Buch ein Verständnis von sozialen Konflikten entfalten, das es ermöglicht, sie nicht zu bekämpfen – was ja auch schon wieder Konflikt wäre! –, sondern sie zu nutzen und zu gestalten. Der Traum vom ewigen Frieden, von unendlicher Harmonie und von Dauerkonsens im sozialen Bereich weicht so einer Vorstellung vom Leben in und mit Konflikten. Sozialer Frieden erscheint in einer solchen Denkart als eine spezielle, zeitbegrenzte Form der Konfliktgestaltung! Die Grundlage aller Überlegungen ist also die These, dass der Konflikt das »Gegebene« und Erwartbare ist, wohingegen Konsens, Frieden und Verständigung Zustände sind, die wir Menschen für eine gewisse Zeit, für bestimmte Themen und in einem konkreten sozialen Feld mit viel Achtsamkeit und sozialen Rahmenbedingungen erzeugen können. So gesehen hängen die persönliche Lebenszufriedenheit wie ein gedeihliches Miteinander entscheidend davon ab, in welchem Ausmaß und in welcher Form man Konflikte gestalten kann. Wird man von ihnen vereinnahmt und dominiert, dann ist das Leben angespannt, angstgetrieben und anstrengend. So läuft Konfliktkompetenz auf die Frage zu: Habe ich einen Konflikt oder hat der Konflikt mich? Dieser Fokus zieht sich von Anfang bis Ende durch das Buch.

Der Gewinn, den es hat, wenn man Konflikte als Phänomene begreift, die uns Menschen ergreifen und verändern können, ist erheblich. Man kann dann verstehen, warum man selbst und andere von jetzt auf gleich ganz anders denken, fühlen und handeln können. Wer die eigene »Konfliktperson« kennt, kann sich selbst von anderen »Zuständen«1 unterscheiden und damit anfangen, seine Möglichkeiten auszubauen, in Konflikten vielfältig und facettenreich zu bleiben. Die grandiosen Vorstellungen, die mancherorts grassieren, kompetente Menschen hätten keine Konflikte oder könnten sie mit ihrem Geschick kurzerhand zum allseitigen Wohlgefallen (auf)lösen, bricht dann in sich zusammen. So könnte dieses Buch sowohl zur eigenen Demut und zur Nachsicht anderen Menschen gegenüber ermutigen. Zugleich könnte es leichter werden, mit der Unlösbarkeit und Unvermeidbarkeit von Konflikten seinen Frieden zu finden.

Das Buch hat sechs Kapitel. Damit Sie wissen, was Sie erwartet, finden Sie hier einen kurzen Überblick:

Kapitel 1 benennt die Funktionen, die Konflikte haben.


Wie Musik können Konflikte wohlklingend oder schrill, mitreißend oder »abtörnend«, freudvoll oder schmerzlich, unterstützend oder störend, zu laut oder zu leise, zu kurz oder zu lang sein. Wie dies zu beurteilen ist, hängt vom Kontext ab. Ein Requiem ist bei einer Beerdigung wahrscheinlich besser platziert als bei einer Hochzeit. Im ersten Kapitel des Buches erforsche ich daher die Funktionen von Konflikten und erarbeite Kriterien dafür, in welcher Hinsicht (und für welchen Beobachter2) ein Konflikt funktional oder dysfunktional ist. Das hat viel mit dem Auflösen bestehender Ordnungen und dem Erarbeiten neuer Stabilität zu tun. Dadurch ist der Grundstein gelegt, damit Sie erkennen, dass Konflikte als eigenes System ein Eigenleben und kein Mitgefühl mit uns Menschen haben. Konflikte nehmen in ihrem Verlauf keine Rücksicht darauf, ob wir Menschen leiden oder ob Schaden entsteht. Für Schadensbegrenzung müssen wir Menschen schon selbst sorgen. Meine Überlegungen brechen somit mit der Vorstellung, dass Zerstörerisches in Konflikten immer vermieden werden kann und sollte. Eskalation wie Deeskalation können hilfreich oder nötig sein, damit soziales Miteinander gelingt.

Kapitel 2 handelt davon, wie Konfliktsysteme sich bilden und selbst erhalten.


Wie Musik haben Konflikte ein Eigenleben. Sie nehmen Form an, indem sie bestimmte Kommunikationsweisen wahrscheinlicher machen und andere unwahrscheinlicher. Je mehr man verstanden hat, dass Konflikte kommunikative Prozesse sind, die sich selbst nähren und am Leben halten, desto schneller kann man sich von der Illusion verabschieden, dass man Konflikte beherrschen, kontrollieren oder lösen kann. Ich erkläre, wie Konflikte ein Eigenleben entfalten, indem Nein-Sagen sich selbst fördert und wahrscheinlicher macht. So werden Sie verstehen, warum Konflikte »ihren Lauf nehmen« und eine asymmetrische Form annehmen: Sie eskalieren leichter, als dass sie sich beruhigen.

Kapitel 3 untersucht, welche Formen und Verformungen Konflikte annehmen können.


Wie Musik haben Konflikte Tonarten und Instrumente, auf denen sie erklingen. Konflikte spielen mit Sachthemen, übergehen Vorschläge und bewerten Kompetenzen anderer. Sie verändern die Einschätzung von Personen und die Art zu sprechen oder zuzuhören. Vorwürfe, Drohungen und Gewalt nehmen plötzlich Raum ein und sind Mittel der Bezogenheit. Um das Wirrwarr dieser Kommunikationsformen zu ordnen, beschreibe ich neun Felder, in denen Konflikte sich bewegen. Diese Felder nenne ich Leitunterscheidungen. Damit ist gemeint, dass Konflikte – wie andere Systeme auch – sich dadurch definieren lassen, dass man beschreibt, wo sie Entscheidungszwängen unterliegen. Die Orientierung an den Notwendigkeiten, wo Konflikte links oder rechts abbiegen müssen, hilft uns dabei, aus klassischen Denkfehlern herauszukommen. Diese sortieren Kommunikationsformen in Konflikten in richtig und falsch ein. Stattdessen stelle ich Ihnen eine Form der Theorie vor, in der alles, was Sie sagen, grundsätzlich hilfreich und schädlich sein kann.

Am Ende dieses Kapitels haben Sie ein Theorieschema an der Hand, mit dem es Ihnen möglich sein wird, die Kommunikation in Konflikten zu untersuchen. Sie können Konfliktformen präzise erkennen und ihre spezifische Gestalt besser begreifen.

Kapitel 4 beschreibt die Kompetenzen, die es braucht, um in Konflikten frei bleiben zu können.


Wie Musik erfordern Konflikte von uns Menschen vielfältige Fähigkeiten, um mit ihnen gut umgehen zu können. Zu Musik lässt sich tanzen, singen, klatschen, still dasitzen, weggehen. Man kann sie anstimmen und verklingen lassen. Sie lässt sich aktiv betreiben (= musizieren) und passiv rezipieren (= Musik hören). Genauso lassen sich auch Konflikte anheizen und beruhigen, man kann auf ihnen surfen oder sich überspülen lassen, man kann ihnen aus dem Weg gehen oder ihnen die Stirn bieten. Vor allem kann man unter ihnen...

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