Einfach gut unterrichten (E-Book)

Einfach gut unterrichten (E-Book)

von: Wiltrud Weidinger, Rudolf Isler, Hans Berner

hep verlag, 2024

ISBN: 9783035525885

Sprache: Deutsch

344 Seiten, Download: 24013 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Einfach gut unterrichten (E-Book)



VORWORT


von Andreas und Tuyet Helmke


«Was ist ein Praktiker? Das ist ein Mensch, bei dem alles funktioniert, aber er weiss nicht, warum. Was ist ein Theoretiker? Dies ist ein Mensch, der zwar weiss, wie es geht, bei dem aber nichts funktioniert» (Diethelm Wahl, 2013). Die Vision einer guten Lehrperson – und einer erfolgreichen Lehrerausbildung – dagegen ist eine gelungene Koppelung wissenschaftlich fundierten, anschlussfähigen und anwendbaren Wissens und guter Praxis. Dabei können Lehrmittel eine wichtige Rolle spielen: Sie können den Kompetenzerwerb erleichtern oder auch erschweren. Das vorliegende Buch, so viel sei vorab gesagt, gehört nach unserer Einschätzung zur erstgenannten Kategorie, es ist «einfach gut». Inwiefern?

Zurück zum Eingangszitat, das wir aus Diethelm Wahls Buch Lernumgebungen erfolgreich gestalten (2013, S. 7) entnommen haben. Es trägt den bezeichnenden Untertitel «Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln». Und genau das ist der springende Punkt: Was kann man tun, damit ein Buch über das Unterrichten nicht bloss passiv-rezeptiv konsumiert wird – mit dem Ergebnis, dass träges Wissen entsteht («inert knowledge»), das nicht nutz- und anwendbar ist? In Umkehrung des bekannten Bibelzitats «Denn sie wissen nicht, was sie tun» (Lukas 23, 34) könnte man den Sachverhalt auch so charakterisieren: «Denn sie tun nicht, was sie wissen». – Es gibt keinen Zugriff zum Wissen, weil es in einer Weise erworben wurde, die seine praktische Anwendung blockiert. Das Autorentrio zeigt in diesem Buch, wie man didaktisch vorgehen kann, um träges Wissen nach Möglichkeit zu vermeiden: durch den Einbau zahlreicher Aufgaben einer kriteriengeleiteten Selbstreflexion und Selbstbeobachtung, gekoppelt mit Aufforderung zum Austausch. Die Kapitel zu den Szenarien und Methoden des Unterrichtens sind alle so aufgebaut, dass sie die folgende gleichbleibende Struktur aufweisen: (1) knappe Einführung in die Thematik; (2) ausführliche Arbeitsaufgaben mit dem Ziel, einen Bezug zum eigenen Vorwissen und den eigenen Erfahrungen herzustellen («Das ist Ihre Aufgabe»); (3) Vermittlung von Grundkonzepten und Ergebnissen empirischer Forschung («Das müssen Sie wissen»); (4) Anregungen für die praktische Umsetzung («So können Sie das anwenden») und (5) ausführliche und vielfältige Aufgaben zur Übung und Vertiefung.

Die Verknüpfung von Stoffvermittlung mit vielfältigen Varianten der kognitiven Aktivierung finden wir ausgesprochen funktional, um nicht das fatale «träge Wissen» entstehen zu lassen. Es ist praktisch unmöglich, dieses Buch, ohne eigenes Nachdenken und ohne die eigene Fantasie spielen zu lassen, einfach nur «wegzulesen». Es gibt bekanntlich zahlreiche Bücher zum Thema «Guter Unterricht», «Unterrichtsqualität» usw. – von klassischen Lehrbüchern über Ratgeber und Rezeptsammlungen bis hin zur Darstellung einzelner Verfahren und Stile. Der ausführliche Reflexionsteil und Praxisbezug in diesem Buch ist aus unserer Sicht ein echtes Alleinstellungsmerkmal; das Autorenteam hat damit gewissermassen ein neues Genre erschaffen: ein Lehr-, Arbeits- und Praxisbuch.

Es ist eine gute Entscheidung, das Buch mit einem Kapitel über Prinzipien und Qualitätsmerkmale des Unterrichts zu starten, das sich am aktuellen Forschungsstand, u. a. der Hattie-Studie, orientiert. Erst danach folgen die Kapitel mit dem eigentlichen «beef», d. h. mit unterschiedlichen didaktischen Konzepten und Szenarien, also mit dem notwendigen Handwerkszeug. Wir verstehen das vorgeschaltete Kapitel zu fach- und methodenübergreifenden Qualitätsmerkmalen als Botschaft: Keiner der im Folgenden beschriebenen Ansätze und Unterrichtsverfahren ist per se gut oder lernwirksam; jede dieser Methoden lässt sich genial oder dilettantisch, inspiriert oder fantasielos, lernförderlich oder lernbeeinträchtigend umsetzen. In diesem Sinne meint Hattie: Was zählt, «sind weniger die Methoden an sich, sondern die Prinzipien des effektiven Lehrens und Lernens» (Hattie 2015, S. 288). Daraus zu folgern, auf Methoden komme es gar nicht an («anything goes»), wäre jedoch ein gravierendes Missverständnis: Die Meisterung – also fundiertes Wissen und praktische Beherrschung – einer überschaubaren Zahl von Lehr-Lern-Methoden ist ein konstitutiver Bestandteil der Lehrerprofessionalität und damit eine notwendige – aber eben nicht hinreichende! – Voraussetzung für Lernwirksamkeit. Angesichts der vorfindbaren Vielfalt an individuellen Lernvoraussetzungen innerhalb von Schulklassen gebietet schon das Konzept der Fairness, unterschiedliche Lehr-Lern-Szenarios anzubieten. So wissen wir seit Langem aus der Forschung zu den Wechselwirkungen von Schülermerkmalen und Lehrmethoden («aptitude-treatment interaction», ATI), dass leistungsstarke, sprachkompetente und selbstsichere Lernende besonders von offenen Unterrichtsformen profitieren, bei denen die Lehrpersonen eher in den Hintergrund treten, während Risikoschüler und -schülerinnen auf der anderen Seite des Kontinuums mit grossen Freiräumen für Selbstregulation oft überfordert sind: Diese Lernenden benötigen klare, lehrergesteuerte Strukturen («scaffolding»), viele und kurzschrittige Rückmeldungen, aufgabenbezogenes Feedback und viele Gelegenheiten zur Übung und Festigung.

Insofern ist es angemessen, dass das Autorentrio die von ihm präsentierten Methoden nicht nach Güte oder Lernwirksamkeit bewertet, sondern – wie wir – die Auffassung vertritt, dass es auf eine der Klassensituation und dem fachdidaktischen Kontext entsprechende Balance ankommt, eine akzeptable Dosierung, eine passende «Orchestrierung» im Sinne von Oser und Baeriswyl (2001); Hilbert Meyer (2016) spricht anschaulich von «Mischwald». Aber Vorsicht: Das Merkmal «Methodenvielfalt» wird (nicht von diesen Autoren!) oft im Sinne von «je vielfältiger, desto besser» missverstanden; implizit wird also ein linearer Zusammenhang zwischen der Anzahl verwendeter Methoden und der Lernwirksamkeit angenommen. Die Forschung (z. B. unsere landesweite Totalerhebung MARKUS in Rheinland-Pfalz) zeigt dagegen, dass es nicht um ein Maximum («Methodenfeuerwerk»), sondern um ein Optimum geht; der Zusammenhang zwischen Methodenvielfalt und Lernerfolg ist nicht linear, sondern umgekehrt U-förmig. Zu viele, nicht gründlich genug eingeübte und nicht wirklich gemeisterte Lehr-Lern-Szenarien stiften eher Verwirrung und sind dem Lernen ebenso abträglich wie eine Monokultur des Frontalunterrichts.

Das eigentliche Herzstück des Buches steckt in den Kapiteln 2 bis 7 und umfasst sowohl «Klassiker» wie die Projektmethode als auch ein Konzept wie «Lernen durch Dialoge», das in der deutschsprachigen Unterrichtsforschung vielleicht weniger bekannt ist. Zu Unrecht, denn dieser Ansatz hat nicht nur altehrwürdige Wurzeln in der Philosophie (Sokrates), sondern ist auch in der angloamerikanischen Unterrichtsforschung prominent präsent, z. B. in Gestalt eines Chapters «Theory and Research on Teaching as Dialogue» von Burbules und Bruce im renommierten Handbook of Research on Teaching (Burbules/Bruce, 2002).

Den Abschluss bilden drei Kapitel zur Unterrichtsplanung, zur lernförderlichen Beurteilung und zur Unterrichtsreflexion. Das Gebot einer fairen und lernförderlichen Leistungsbeurteilung ist zeitlos, erhält jedoch bei kompetenzorientiertem Unterricht, wie er derzeit allerorten favorisiert wird (nicht nur im Lehrplan 21 der Schweiz) ein deutlich stärkeres Gewicht. Dies gilt insbesondere für die sorgfältige Beobachtung des Lernverhaltens und die Förderung der Fähigkeit, sich selbst realistisch einzuschätzen. Letztere ist zugleich eine Grundvoraussetzung für das Gelingen schülergesteuerter Individualisierung, bei der Lernende Aufgaben mit angemessenem Schwierigkeitsniveau wählen sollen.

Eine strategisch gute Entscheidung ist es, im abschliessenden Kapitel das Thema «Reflexion» zu behandeln. Gemeinsam mit Kapitel 1 (Grundprinzipien der Unterrichtsqualität) sind das aus unserer Sicht zwei tragende Säulen. Erstens sind kollegiale Rückmeldungen (z. B. via Hospitation oder videobasiert) zum eigenen Unterricht, der Abgleich unterschiedlicher Perspektiven auf den gleichen Gegenstand und die darauf basierende kooperative Reflexion eine ideale Gelegenheit, sich eigener blinder Flecken bewusst zu werden, geschlossene subjektive Theorien zu öffnen, implizite Theorien zu explizieren und unbewusste Automatismen sowie Marotten zu erkennen. Diese Selbsterkenntnis ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts, die nicht nur an der Oberfläche kratzt. Zweitens hat der kollegiale Austausch über Unterricht, wie die Forschung zur Lehrerkooperation und Lehrergesundheit zeigt, auch einen salutogenen Effekt: Die gemeinsame Reflexion geteilter Schwierigkeiten und die Erfahrung, dass andere «auch nur mit Wasser kochen», kann vor Erschöpfung und Burn-out schützen. Eine der Kernaussagen der Potsdamer Lehrerstudie ist ja das Potential des Erlebens sozialer Unterstützung im Kollegium und durch die Schulleitung (Schaarschmidt 2005).

Mindestens ebenso wichtig ist aber auch das Feedback der Lernenden, denn: «Es kommt nicht so sehr darauf an, ob Lehrpersonen exzellent sind oder von ihren Kolleginnen und Kollegen als exzellent eingeschätzt werden, sondern ob sie von ihren Lernenden für exzellent gehalten werden. Es sind die Lernenden, die in den Klassen sitzen und merken, ob ihre Lehrperson das Lernen mit ihren Augen sieht und ob die Qualität der Beziehung förderlich ist. Lernen muss von den Lehrpersonen aus der Perspektive der Lernenden betrachtet werden, damit sie besser verstehen, wie das Lernen aus der Sicht der Lernenden aussieht und wie es sich für sie...

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