Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht

Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht

von: Hans-Martin Schönherr-Mann

dtv, 2010

ISBN: 9783423400565

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 9445 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht



4. Kapitel Verwirklichen sich Frauen in der Familie? (S. 101-103)

Die Geschlechtlichkeit bleibt ein wesentlicher Ort der Orientierung für die Erfüllung, die Menschen suchen – in traditionellem Sinn Frauen stärker als Männer. Doch das Glück in der Liebe präsentiert sich als ein problematisches Zufallsgeschäft. Frauen, denen man solche Zielvorgaben und Verheißungen predigt, müssen erleben und erleiden, dass sie sich in der Liebe nicht verwirklichen können. Denn die Liebe zwingt die Frau noch Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer weitgehenden Passivität, und alle aktiven Bemühungen, ihrer Opferrolle zu entgehen, erweisen sich angesichts der Wankelmütigkeit der Liebe als wenig Erfolg versprechend.

Die Liebe soll traditionell die Ehe stabilisieren. Doch diese entpuppt sich als ein Geschäft und als ein besonders schlechtes für Frauen. Sie verlieren damit eine eigene Existenz genauso, wie Sexualität und Liebe in der Ehe ihren individuellen Sinn zugunsten eines allgemeinen einbüßen. Die bürgerliche Ehe wollte sich im 18. Jahrhundert auf die Liebe stützen. Im 20. Jahrhundert kehrt diese Intention als romantische Liebe wieder, als sich die orientierende Kraft der Ehe definitiv aufzulösen beginnt.

Auch die PosttraditionalistInnen bemühen sich darum, Ehe und Emanzipation zu verbinden – man denke an die Diskussion um die Förderung der Kleinkinderbetreuung. Mit der dadurch entstehenden Befreiung von der Arbeit zu Hause aber zwingt nichts mehr in die Ehe, weil die Eheleute nicht mehr durch arbeitsteiliges Rollenverhalten gemeinsam ihren Gewinn maximieren, sondern jeder für sich allein. Das nötigt die Menschen, sich selber um den Erhalt ihrer Beziehungen zu kümmern – für viele eine schwierige Aufgabe, die sie überfordert und die ihnen gleichzeitig die Chancen eröffnet, depravierte Ehen aufzulassen.

Liebe als Elternliebe

Daher fordern Traditionalisten Anfang des 21. Jahrhunderts die Rückkehr zur traditionellen Ehe. Sie soll sich nicht auf eine sexuell orientierte Liebe, die die Ehe zerstört, sondern auf eine religiös inspirierte stützen, statt auf Eros als sinnliches Begehren auf die Agape, die christliche Nächstenliebe, die die Ehe wieder stabilisieren soll. Zudem erweist sich für Traditionalisten das Rollenverhalten der Eheleute als besonders nützlich. Da dieses Argument, wie oben ausgeführt, auf eher wackligen Beinen steht, avancieren für Traditionalisten die Kinder zum gängigen Grund für die Eheschließung. Schließlich stellen sie den natürlichen, evolutionären, sozialen oder gar religiösen Zweck im Leben von Frauen dar.

Das Argument rekurriert auf den geschlechtlichen Unterschied und damit kehrt die Frage nach dem natürlichenWesen der Frau wieder. Ergo ergibt sich als nächste Frage: Verwirklicht sich die Frau also vor allem in den Kindern? Können sich Frauen und Männer überhaupt anderswo als in der Familie verwirklichen? Dort, wo für viele die Zwischenmenschlichkeit wohnt! Dort, wo die Generationen sich begegnen! Dort, wo die Gesellschaften sich reproduzieren und das Eigentum gesichert wird! Hierzu trägt Hannah Arendt, gegenüber der traditionellen Frauenrolle eher skeptisch eingestellt, 1963 noch ein Argument bei, das selbst in der christlichen Tradition bisher kaum Beachtung fand: »Es ist uns aus der Philosophie vertraut, den Menschen als ein sterbliches Wesen zu verstehen. Merkwürdigerweise hat aber noch keine Philosophie (…) sich dazu vermocht, den Menschen auf seine ›Gebürtlichkeit‹ hin anzusprechen, nämlich darauf hin, dass mit jedem von uns ein Anfang in die Welt kam (…).« Gestalten Frauen nicht Welten, indem sie Kinder erziehen? Verwirklichen nicht Mütter das Wesen der Frau genau in jenem kreativen Sinn, in dem der Mann sein Leben im Beruf entfaltet?

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