Bildung nervt! - Warum unsere Kinder den Politikern egal sind

Bildung nervt! - Warum unsere Kinder den Politikern egal sind

von: Bernd Schilcher

Verlag Carl Ueberreuter, 2012

ISBN: 9783709001004

Sprache: Deutsch

200 Seiten, Download: 1191 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Bildung nervt! - Warum unsere Kinder den Politikern egal sind



»In Zeiten allgemeinen Betruges ist das Aussprechen der Wahrheit ein Akt der Revolution.«

George Orwell

Vielleicht sollte ich damit beginnen, was dieses Buch nicht ist. Zunächst einmal ist es ganz sicher kein erziehungswissenschaftliches Werk. Es ist aber auch keine soziologische oder kritische Darstellung der österreichischen Bildungsideologien, keine Abrechnung mit PISA, kein Krisenszenario und kein Erfahrungsbericht einer Lehrerin oder einer Mutter. Das alles gibt es schon, und zwar in einer jeweils sehr überzeugenden Weise. Es geht auch nicht um Spezialfragen wie den Ethikunterricht, die Gesamtschule oder die Frühförderung. Auch darüber ist schon viel und auch viel Gescheites geschrieben worden. Außerdem ist die Zeit vorbei, in der man sich noch mit einzelnen Teilstücken einer Bildungsreform begnügen konnte. Jetzt geht es ums Ganze.

Die Angst vor einer umfassenden Bildungsreform


Genau das war auch die Strategie beim Bildungsvolksbegehren 2011. Und auch dort hat der Versuch, eine Totalreform in die Wege zu leiten, beginnend mit den Kinderkrippen über alle Schulen und Universitäten bis hin zur Erwachsenenbildung, Widerstand hervorgerufen. Das sei unmöglich, hieß es. Viel zu umfassend, viel zu komplex.

Nur: Anders geht es nicht mehr. Vor allem in einem Land, das sich so ungern ändert wie unseres. Fast ein Vierteljahrtausend nach der letzten großen Schulreform Maria Theresias ist es wohl mehr als angebracht, die gesamten Fundamente unserer Bildung wieder einmal zu überprüfen. Zumal in diesen bald 250 Jahren gewaltige Umwälzungen stattgefunden haben. Niemand glaubt heute mehr an die Sinnhaftigkeit der alten Gehorsams- und Rohrstockschule, an den frontalen Einheitsunterricht oder an die Botschaft, dass nur gebildet ist, wer ein Gymnasium abgeschlossen hat. Und doch haben sich die äußeren Strukturen unserer Bildung in all diesen Jahrhunderten kaum geändert. Wie vielen Menschen ist hierzulande diese gewaltige Diskrepanz zwischen dem, was wir heute als Erwachsene denken und tun, und dem engen, rückwärtsgewandten Korsett unserer Schul- und Hochschulbildung bewusst?

Geschichte – das ist bei uns die Gegenwart


Ich hatte zunächst auch nicht vor, einen Abriss der österreichischen Schulgeschichte zu schreiben. Aber daran kommt man nicht vorbei. Vor allem nicht in Österreich. In keinem anderen Land, ausgenommen vielleicht noch Deutschland, hat sich nämlich dermaßen lange nichts – zumindest nichts Grundlegendes – geändert wie bei uns. Geschichte, das ist in Österreich die Gegenwart. Vieles, was Maria Theresia 1774 eingeführt hat, gilt heute noch. Der Rest wurde 1869 im Reichsvolksschulgesetz grundgelegt. Nimmt man die Schulgesetznovelle 1962 aus, die ohnehin nur einen faulen Kompromiss zwischen Bund und Ländern mit einem verheerenden Kompetenzwirrwarr zuwege gebracht hat, samt einer totalen Versteinerung aller Zustände durch die alles hemmende Zweidrittelmehrheit für Schulgesetze, dann war der Rest der schulischen Erneuerungen bis heute eine mehr oder weniger zufällige Ansammlung von punktuellen Reförmchen. Da ein bisschen Schulpartnerschaft, dort ein neuer Schulversuch oder etwas weniger Sitzenbleiben. Mit Ausnahme der Behindertenintegration, die wirklich so etwas wie ein »großer Wurf« ist, hat sich 100 Jahre lang nichts Einschneidendes getan.

Bei derart langlebigen Traditionen versteht man Institutionen, Haltungen und Einstellungen, aber auch ganze Schulkulturen nur, wenn man über ihre Herkunft Bescheid weiß. Das sonst weltweit ziemlich unbekannte frontale »Zusammenunterrichten« von – früher über 100, jetzt 25 bis 30 – Schülerinnen1 ohne jede Individualisierung beispielsweise begreift nur, wer sich mit seiner militärischen Vergangenheit beschäftigt hat. Das gilt auch für die 50-Minuten-Stunde, die österreichische Fehlerkultur oder für die Tatsache, dass wir uns heute noch ganz überwiegend um das kümmern, was Kinder nicht können, statt in erster Linie von ihren Begabungen und Stärken auszugehen.

Die Entdeckung des Kindes in der Schule


Es ist das Verdienst von Andreas Salcher, erstmals und in breiter Form die Talente der Schülerinnen in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt zu haben. Das ist in mehr als einer Hinsicht ein Paradigmenwechsel. Nach den bisherigen Publikationen, die sich primär mit der Schule als Einrichtung, mit den Lehrerinnen und Direktorinnen, den Schulaufsichtsorganen, Beamtinnen und Schulpolitikerinnen befasst haben, stellt Salcher nunmehr das Kind in den Mittelpunkt. Ein fast biblischer Vorgang. Wie heißt es beim Evangelisten Markus? »… und stellte ein Kind in ihre Mitte.« Lang hat’s gedauert.

Dadurch wird die bislang alles dominierende »Produzentensicht« auf die Schule endlich um die wichtigsten »Konsumenten«, nämlich die Schülerinnen, ergänzt. Salcher nimmt aber auch ausdrücklich Partei für diese und legt sich mit der »Gegenseite«, insbesondere mit den Lehrervertretern, an. Das hat vor ihm auch schon Kurt Scholz als Präsident des Wiener Stadtschulrats gemacht. Ich halte diese Einstellung für richtig, wichtig und mutig.

»Feedback-Kultur« – was ist das?


Typisch für die vorherrschende »Produzenten-Orientierung« unseres Schulsystems ist auch das Fehlen jeglicher »Feedback-Kultur«. Lehrerinnen erhalten in aller Regel keine Rückmeldung aus dem späteren Berufsfeld ihrer Schülerinnen, wie dort eigentlich ihre Bemühungen angekommen sind. Aber auch die Schülerinnen erfahren grundsätzlich nichts, was ihre Leistungen betrifft – außer den nackten, wenig aussagekräftigen Ziffernnoten. Systeme ohne regelmäßige, dialogisch angelegte Rückmeldungen sind aber generell mangelhaft: Es fehlt die wichtige Korrekturmöglichkeit. Unternehmen könnten sich derartig gravierende Mängel nicht leisten.

Wie hält es aber die Politik mit den Kindern? Ich bin natürlich auch dieser Frage nachgegangen. Leider kann ich beim Thema Politik und Kinder nicht viel Positives berichten. Kinder und Eltern genießen nicht die erste Aufmerksamkeit der Politiker, außer in den berühmten »Sonntagsreden«. Eher habe ich im Laufe meiner Erfahrungen die Beobachtung gemacht, dass sie ihnen ziemlich egal sind. Im Vordergrund der Schulpolitik stehen in der Regel andere Interessen: Posten zu besetzen, regelmäßig natürlich parteipolitisch, Macht auszuüben, Abtauschgelegenheiten zu nutzen – »Gibst du mir einen schwarzen Landesschulinspektor, bekommst du von mir einen roten Amtsdirektor« –, in der Öffentlichkeit zu glänzen und möglichst lange im Amt zu bleiben.

Die Kinder sind den meisten Politikern egal. Insbesondere den Spitzenpolitikern


Von diesem Urteil möchte ich ausdrücklich den amtierenden Wissenschaftsminister, die Unterrichtsministerin und einige Landespolitiker ausnehmen. Für die jeweiligen Parteichefs der Koalition gilt diese Ausnahme ebenso ausdrücklich nicht. Ich kann kein einziges Beispiel nennen, wo Herr Faymann oder Herr Spindelegger einen nachhaltigen Einsatz für Kinder oder Schülerinnen gezeigt hätten. Im Gegenteil. Beide nehmen es tatenlos hin, dass die Frühförderung der Ein- bis Dreijährigen bei uns besonders schlecht klappt und dass die Angebote dürftig sind; dass es nach mehr als 100 Jahren immer noch keine Einigung bei gemeinsamen Ganztagsschulen gibt und dass vor allem für Kinder aus bildungsfernen Schichten und aus Migrantenhaushalten viel zu wenig getan wird. Das Ergebnis sind erschreckende 70.000 junge Menschen ohne Schulabschluss und ohne Beschäftigung, die alle mit einem Bein in der Beschäftigungslosigkeit und mit dem anderen bereits im Kriminal stehen. Vielen von ihnen droht das Schicksal eines Sozialfalls. Tendenz steigend.

Das falsche Rollenverständnis der Bildungspolitik


Einer der Hauptgründe für diesen erschreckenden Zustand und seine Entwicklung ist das falsche Rollenverständnis der österreichischen Bildungspolitik. Schon seit den Zeiten der Monarchie kümmern sich Bundes- und Landespolitiker nicht um die Strategie, sondern um das operative Geschäft. Die »richtige« Besetzung eines Schulwartpostens war ihnen allemal wichtiger als die Erzielung eines nationalen Konsenses über die Zielsetzung der gesamten Bildungspolitik. Den haben wir heute noch nicht. Niemand weiß bei uns auch nur annähernd so klar und deutlich wie Finnland, Schweden, Singapur oder zahlreiche andere Länder, was wir insgesamt mit unserer Bildungspolitik vorhaben. Am wenigsten die Spitzen der Regierung.

Die EU und die österreichischen Schulen leiden am gleichen Geburtsfehler


Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass unser Schulsystem am gleichen Geburtsfehler leidet wie die EU. Hier ein gemeinsamer Markt ohne Einigung auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, dort ein gemeinsames Schulsystem ohne nationalen Konsens. Letzteres liegt natürlich an der Macht der Ideologie und Parteipolitik in den Schulen selbst. Ich kenne kein zweites Land, wo beim kleinsten Schmarren statt einer sachlichen Lösung die Sicht einer Partei, einer Interessenvertretung oder eines weltanschaulichen Klüngels entscheidend ist.

Dazu kommt, dass die Bundesländer in Österreich ebenso unwillig sind, irgendwelche Kompetenzen im Schulwesen an den Bund abzutreten, wie es die Mitgliedsstaaten der EU ablehnen, »Souveränitätsrechte« nach Brüssel zu verlagern. Es fragt sich daher ernstlich, ob nur der totale Crash hier wie dort eine Änderung dieser bedenklich kurzsichtigen Haltung in beiden Fällen herbeiführen kann.

Österreich hat schon die Scholastik versäumt – von der Aufklärung gar nicht zu reden


Wenn man nachforscht, woher diese österreichische Unlust kommt,...

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