Islam - Einheit und Vielfalt einer Weltreligion

Islam - Einheit und Vielfalt einer Weltreligion

von: Rainer Brunner

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170304994

Sprache: Deutsch

668 Seiten, Download: 7822 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Islam - Einheit und Vielfalt einer Weltreligion



Anmerkungen zur Geschichte der Islamwissenschaft


Sabine Mangold-Will

1  Einleitung


1933 machte sich die Empörung, aber auch der leise Triumph August Fischers, des Leipziger Ordinarius für orientalische Philologie, Luft:

»Seit etwas drei Dezennien gibt es, abgezweigt vom großen Baume der morgenländischen Studien, eine neue orientalistische Sonderdisziplin, die sich ›Islamkunde‹, ›Islamwissenschaft‹, ›Islamistik‹ o. ä. nennt. Besonders in Deutschland ist viel von ihr die Rede, ja hier ist sie, bestrahlt von der Gunst eines mächtigen Staatssekretärs und nachmaligen Ministers, C. H. Becker’s, zur ausgesprochenen Modewissenschaft geworden. (…). Moden wollen sich ausleben; ihre Bekämpfung steigert oft nur ihre Ausdehnung und ihre Hartnäckigkeit. Es wäre aber auch ganz unbillig, wenn man die Islamwissenschaft als eine Modeverirrung bekämpfen wollte. Das ist sie beileibe nicht, sie ist vielmehr an sich eine durchaus existenzberechtigte und gesunde wissenschaftliche Disziplin. (…) Ich behaupte also, daß es schon immer Islamkundler gegeben hat.«1

Neue Disziplinen, so lautet eine Binsenweisheit der Wissenschaftsgeschichte, haben es immer schwer; aber so vehement wie Fischer hat nur selten ein »eingefleisch(er)ter«2 orientalistischer Philologe seine Aversionen gegen jene Disziplin formuliert, deren Geschichte es hier zu umreißen gilt. Dabei erinnert Fischers Bezeichnung als »Modewissenschaft« – auch wenn er sie nicht so verstand – daran, dass jede Wissenschaft zu jeder Zeit den ihr je eigenen sozialen, kulturellen, politischen und psychologischen Bedingungen ausgesetzt ist und darauf reagiert. Für die vorliegende Skizze einer Geschichte der europäischen Islamkunde bedeutet dies, sich fernzuhalten von einer Metaerzählung, die essenzialistisch (und gar moralisierend) mit einem einzigen Erklärungsmuster für die Entwicklung der Islamkunde seit dem späten 19. Jahrhundert auskommt, die ihre Geschichte auf den Orientalismus-Vorwurf reduziert und Islamwissenschaftlern kollektiv und durchgehend unverändert das Motiv einer Abwertung, ja Kolonialisierung, der islamischen Welt unterstellt, bis endlich muslimische Forscher, vor allem aber »fortschrittliche« Islamwissenschaftler seit den späten 60er und 70er Jahren mit dieser Tradition brachen.3

2  Zum Forschungsstand


Ein Handbuchbeitrag ist nicht der Ort, umfassend den Stand der Forschung zu referieren, zumal, wenn es sich darum handelt, ein Desiderat zu benennen: Denn eine eigene, auf »Forschungsarbeit im Detail«4 beruhende Studie zur Islamkunde, zumal zur Islamkunde als gesamteuropäischer (und nordamerikanischer) Erscheinung, die zudem das gesamte 20. Jahrhundert im Blick hat, fehlt.5 Allenfalls für die Geschichte der deutschen Islamwissenschaft, die immer wieder mit der Geschichte der Islamwissenschaft gleichgesetzt wird, lässt sich von einer dichteren Forschungsliteratur sprechen6. Ausgerechnet die Zwischenkriegszeit, mithin also die Ära der von Fischer behaupteten Blütezeit der Islamkunde, sowie die Jahre des Nationalsozialismus wurden bisher aber kaum beachtet.7 Die fehlenden transnationalen Vergleichsstudien machen es zudem schwierig, genau zu benennen, inwiefern es sich bei der deutschen Islamkunde um eine spezifisch nationale Erscheinung handelte, die in ihrer besonderen thematischen und methodischen Ausprägung einem speziellen deutschen Bedürfnis nach Orientierung in der Moderne an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entsprach.

Auch die vorliegende Skizze wird angesichts dieser Forschungssituation wieder die deutsche Islamkunde in den Mittelpunkt stellen und schwerpunktmäßig auf die Etablierungsphase der Disziplin eingehen. Im Detail bereitet das einleitende Zitat Fischers darauf vor, dass ein Blick auf die Entwicklung der Islamkunde sich nicht allein um die Kennzeichnung des »artlich und grundsätzlich«8 Neuen der Islamkunde zu bemühen hat, sondern daneben auch die neuen Personenkonstellationen mit ihren Erfahrungen und Denkstilen wie die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen berücksichtigen muss. Denn erst im Zusammengehen von Erkenntnisinteresse, akademischen Netzwerken, Glaubwürdigkeitsstrategien, öffentlichen Erwartungen und methodischer und institutioneller Prägung kann sich »Neues« in der Wissenschaft als wirkmächtig erweisen.

3  Wissenschaftskrise und Veränderung des Erkenntnisinteresses an der Wende zum 20. Jahrhundert


3.1  Der Überdruss an der Philologie und die Suche nach Weltanschauung und Synthese


Poya/Reinkowski haben daran erinnert, dass ein gewisses »Unbehagen« oder besser eine gewisse Unsicherheit darüber, was eigentlich das »Neue« der Islamkunde ausmacht, »von Anbeginn dazugehört«9. Folgt man August Fischer, stellte die Islamkunde ohnehin nichts Neues dar, denn mit Elementen des Islams wie dem Koran, religiösen Texten oder dem Leben Muḥammads beschäftigten sich Orientalisten seit langem. Ebenso schien das Beharren der frühen Islamwissenschaftler, ohne Philologie nicht auskommen zu können, all jenen recht zu geben, die – was wissenschaftshistorisch bereits als Antwort aller Philologen auf das Erscheinen konkurrierender kulturwissenschaftlicher Wissenschaften zu lesen ist – die Losung ausgaben: »Philologie ist Kulturwissenschaft«10.

Dagegen erhoben die Orientalisten auf »neuen Bahnen«11 jedoch vehement Einspruch. Auch sie leugneten nicht, der Philologie als Methode weiterhin zu bedürfen. Wer aber die Herausbildung der Islamkunde als eigenständige Disziplin begreifen will, muss sich ihren antiphilologischen Impetus vor Augen halten: Islamkunde in der Gründung war Protest gegen die Philologie, oder wie Martin Hartmann 1902 paradigmatisch formulierte: »Es gibt allenthalben noch viel zu thun, wovon sich die philologischen Kleinkrämer nicht träumen lassen.«12 Es ging dabei nicht um eine Kritik an der erkenntnistheoretischen Gültigkeit der philologischen Methode, sondern um deren zunehmend als beschränkt wahrgenommene Erklärungsreichweite. Anstelle des »grammatische(n) Kleinkram(s)«13, der Sprachanalysen und Texteditionen wie überhaupt der Verabsolutierung von Sprache und auch der nicht allein in Deutschland ausgeprägten Beschäftigung mit Sprachfamilien (Semitistik, Indogermanistik), sollte ein Verständnis der ganzen vom Islam geprägten morgenländischen Welt, also eine »Islam-Kunde« treten, von der Ignaz Goldziher schon 1905 behaupten konnte, dass wir durch sie vom Islam nicht nur »mehr wissen, daß unsere Kenntnisse von demselben reichhaltiger sind, (…), sondern wir wissen es anders als unsere Vorgänger, d. h. wir betrachten es unter anderen Gesichtspunkten und studieren es nach anderen Methoden.«14 Dass auch die der Philologie verpflichteten Orientalisten, wie Fischer, für sich beanspruchen konnten, »Islam-Kundler« habe es immer gegeben, erklärt sich aus dem damit zugleich verbundenen Rückbezug auf virulent bleibende Entwürfe der Frühorientalisten (z. B. Hammer-Purgstalls und Rückerts), die beeinflusst durch die Sprachkombinationen an der Wiener Maria-Theresia-Akademie und der Pariser École speciale des langues orientales vivantes bereits die Trias aus Arabisch-Persisch-Türkisch, als den drei wichtigsten Literatursprachen des Islams, im Blick hatten.15

Die erkenntnisleitende Abkehr von der Philologie jedenfalls erwuchs aus dem um die Jahrhundertwende immer drängender werdenden Bedürfnis nach einer Neubetrachtung der Welt, dem Bedürfnis nach Welt-Anschauung und Welt-Orientierung im Zeitalter der ersten Globalisierung, das mit einer elementaren Krisenerfahrung der europäischen Welt, mit Kulturpessimismus wie Kritik an Positivismus und Historismus, einherging. Die Philologien – so ein über die Orientalische Philologie hinausreichender Eindruck – hatten mit ihrem »Überwuchern des Spezialistentums«16 und ihrer fehlenden Erklärungsmacht für die Veränderungen der eigenen Gesellschaft wie den durchaus resistenten Überlebenswillen der außereuropäischen Welt ihren Anteil an dieser Krise. So stellte die Kritik an der Philologie keine isolierte Erscheinung innerhalb der Orientalistik dar, sondern war Teil einer umfassenden Kritik am deutschen Geistesleben im allgemeinen und der akademischen Wissenschaft im besonderen, die – so der Vorwurf der Zeit – in ihrer methodischen Einseitigkeit und Überspezialisierung, den Blick für die »Zusammenfassung, die Synthese, das System«17 und damit für »das Leben« verloren habe.18 Die Islamwissenschaft in ihrer Entstehung war demnach also eine Antwort auf eine europäische Kultur in der Krise.

3.2  Die Neuentdeckung des Islams in kulturgeschichtlicher Perspektive


Was waren nun genau die »anderen Gesichtspunkte« und »anderen Methoden«, von denen Goldziher sprach? Mit Reinhard Schulze lässt sich formulieren, dass die Islamwissenschaft begründet wurde, »als die großen Sozial- und Kulturtheorien Mode waren«, und die Islamwissenschaftler »hofften wohl darauf, die alten orientalischen Wissenschaften auf Augenhöhe mit den damaligen dominanten Kulturtheorien zu bringen.«19 Ja, das auch; vor allem aber mussten sie den Islam in diese Debatten einbringen, wollten sie nicht zusehen, wie ihr Forschungsgegenstand und damit ihr gesellschaftlicher Erklärungsanspruch von Nicht-Orientalisten – erinnert sei nur an Max Webers Überlegungen zum Islam – vereinnahmt wurden.

Für die Islamkundler ergaben sich daraus zwei Konsequenzen: Zum einen begannen sie, die Methoden der sich parallel zur Islamkunde...

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