Philosophie des 19. Jahrhunderts

Philosophie des 19. Jahrhunderts

von: Peter Ehlen, Gerd Haeffner, Josef Schmidt

Kohlhammer Verlag, 2016

ISBN: 9783170309531

Sprache: Deutsch

425 Seiten, Download: 3235 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Philosophie des 19. Jahrhunderts



 

 

I.          Karl Leonhard Reinhold (1758-1823) – Einheit von Subjekt und Objekt


Karl Leonhard Reinhold (geb. 1758 in Wien) trat nach dem Gymnasium in den Orden der Jesuiten ein und wechselte nach der Aufhebung des Ordens 1773 durch Papst Clemens XIV. in den Orden der Barnabiten. Sein Studium brachte ihn mehr und mehr den Gedanken der Aufklärung nahe. Er schloss sich heimlich den Freimaurern an und verließ schließlich den Orden. Mit Unterstützung der Logenbrüder konnte er in Leipzig die ihm gemäße Philosophie studieren und kam schließlich nach Weimar in das Haus des Dichters Chr. M. Wieland, wurde Mitarbeiter an dessen Zeitschrift »Der teutsche Merkur« und schließlich auch sein Schwiegersohn. 1786-87 erscheinen in dieser Zeitschrift die acht »Briefe über die Kantische Philosophie«. Ohne sich allzu genau auf Kants diffizile Argumentation einzulassen, gelang es Reinhold, zentrale Einsichten der Kantischen Philosophie einem weiteren Publikum zugänglich zu machen. Großzügig sah Kant über manche Vereinfachungen hinweg und lobte die »Briefe«, da durch sie seine damals noch wenig bekannte Philosophie einem breiteren gebildeten Publikum bekannt gemacht wurden. Die Weimarer Humanisten rezipierten Kant fast ausschließlich über diese »Briefe«, was sich bei Schiller bis in die Diktion seiner Anlehnungen an Kant zeigt. Folge war die Berufung Reinholds an die Universität von Jena. Doch im Zuge seiner eifrigen Vermittlung der Kantischen Philosophie stößt Reinhold auf Defizite in ihrer Gesamtkonstruktion. Den Hauptmangel erkennt er darin, dass sie bei all ihren einleuchtenden Differenzierungen die Einheit des Ganzen nicht mehr zur Sprache bringt. Reinholds Bemühen geht nun darauf, die Kernaussagen Kants aus einem noch unthematisierten Einheitsgesichtspunkt deutlich zu machen, um sie auf dieser Basis als wirklich schlüssig zu erweisen. Was aber könnte das Einheit stiftende Element sein, aus dem sich der differenzierte Zusammenhang des Systems entfalten ließe?

In seinem Buch von 1789, »Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens«, findet er jene Einheitsstiftung garantiert durch die von niemandem in Frage gestellte Gegebenheit von »Vorstellungen«. »Die Vorstellung ist das einzige, über dessen Wirklichkeit alle Philosophen einig sind.« (Ich zitiere die Ausgabe: zwei Teilbände, Hamburg 2010/12) (150). Es muss nun darum gehen, diese allgemein anerkannte Tatsache des Bewusstseins korrekt zu analysieren. »Man ist, durch das Bewußtsein genötigt, darüber einig, daß zu jeder Vorstellung ein vorstellendes Subjekt und ein vorgestelltes Objekt gehöre, welche beide von der Vorstellung, zu der sie gehören, unterschieden werden müssen« (217). An der Vorstellung lässt sich also eine Objekt- und Subjektseite unterscheiden. Reinhold nennt jene »Stoff« und diese »Form«. »Zu jeder Vorstellung gehört als innere Bedingung (als wesentlicher Bestandteil der bloßen Vorstellung) etwas, welches dem Vorgestellten (dem von der Vorstellung durchs Bewusstsein unterschiedenen Gegenstande) entspricht; und dies nenne ich den Stoff der Vorstellung« (243). »Zur Vorstellung überhaupt gehört als innere Bedingung (als wesentlicher Bestandteil der bloßen Vorstellung) etwas, wodurch der bloße Stoff zur Vorstellung wird, und dieses Etwas nenne ich die Form der Vorstellung« (248). Damit zeigt sich eine passive und aktive Seite in der Vorstellung. »Das Vorstellungsvermögen besteht erstens aus der Rezeptivität oder der Empfänglichkeit für den Stoff einer Vorstellung, worunter ein bloß sich leidend verhaltendes Vermögen verstanden wird« (271). »Das Vorstellungsvermögen besteht zweitens aus der Spontaneität oder dem tätigen Vermögen, welches an dem gegebenen Stoffe die Form der Vorstellung hervorbringt« (273). Damit ist für Reinhold der Rahmen gegeben, um die Grundzüge der »Kritik der reinen Vernunft« aus dem Begriff der Vorstellung abzuleiten. So nennt er »die Sinnlichkeit« »den ersten Grad der Spontaneität«, die in einem ersten »bloßen Zusammenfassen des Gegebenen« besteht (344). Der Verstand erfasst diese Einheit zunächst insgesamt (404 f) und vollzieht sie in den verschiedenen Urteilen. »Durch die besonderen, in der Natur des Verstandes bestimmten Formen der Urteile sind gewisse Modifikationen der objektiven Einheit als ebenso viele besondere Formen, unter welchen die Gegenstände gedacht werden müssen, a priori bestimmt, und diese bestimmten Formen der denkbaren Gegenstände heißen Kategorien « (409). Die »Vernunft« denkt schließlich die Einheit der kategorialen Differenzierungen (456 ff). Denn: »Die unbedingte Einheit muß von jedem, der seine Vernunft gebraucht, nicht nur notwendig gedacht, sondern auch als etwas an sich Notwendiges, alle Grenzen Ausschließendes, Allesbefassendes und Totales (Vollendetes) gedacht werden. Sie hat sich auch wohl allen Philosophierenden unter diesen Merkmalen aufgedrungen. Aber die einen haben in ihr die Gottheit, die anderen die Natur oder das Universum zu erkennen geglaubt, bis sie der Philosoph von Königsberg [als] der Erste in der Natur des Vernunftschlusses entdeckt hat« (466). Reinhold bezieht sich hier auf den dreifachen Vernunftschluss, nach dem Kant die drei Sphären, in denen sich jene Totalität darstellt, unterscheidet: Seele, Welt und Gott. Es ist die Differenzierung nach der »Form des kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Vernunftschlusses […], durch welche die allgemeine Form der Ideen überhaupt, oder die unbedingte Einheit, in drei besondere Formen besonderer Ideen näher bestimmt wird, welche, rein vorgestellt, die Gegenstände von drei Ideen in engster Bedeutung ausmachen, nämlich von der Idee des absoluten Subjektes, der absoluten Ursache und der absoluten Gemeinschaft« (473). Die Vernunft hat es dabei mit der Vorgabe des Verstandes zu tun. »Der Stoff der Ideen sind Begriffe, in wieferne sie bloße Begriffe, d. h. Produkte des Verstandes sind« (457).

Die Vernunft als die umfassende Spontaneität hat es also letztlich mit sich selbst zu tun. Wenn dies nicht auf einen erkenntnistheoretischen und ontologischen Subjektivismus hinauslaufen soll, ist es Idealismus. Doch diese Konsequenz wird von Reinhold nicht reflektiert. Denn er müsste dann die Frage behandeln, wie sich jene Selbstgegebenheit der Vernunft mit jenem Grundsatz der Vorstellung verträgt, nach dem die Spontaneität der Formgebung stets auf den rezipierten Stoff angewiesen ist. Von diesem seinem Grundsatz her ist für Reinhold auch die Kantische Lehre vom »Ding an sich« nicht gänzlich zu umgehen. Zwar betont er entschieden: »Dem Begriff einer Vorstellung überhaupt widerspricht die Vorstellung eines Gegenstandes in seiner eigentümlichen, von der Form der Vorstellung unabhängigen Form oder des sogenannten Dinges an sich; d. h. kein Ding an sich ist vorstellbar« (256). Reinhold sieht sich aber dennoch gezwungen eine Art von Wirksamkeit des Dinges an sich auf das vorstellende Subjekt anzunehmen. Seine Unterscheidung von verschiedenen Weisen der »Affektion« verschiebt diese Annahme nur und bestätigt sie schlussendlich. »Ich sage, die im Vorstellungsvermögen bestimmte Art des Affiziertseins, und unterscheide dieselbe von der außer dem Vorstellungsvermögen in den Dingen an sich bestimmten Art, wie diese Dinge durch den objektiven Stoff die Rezeptivität affizieren« (359). Den Schritt zu einer Einbettung des Vorstellungsgedankens in eine Selbstgegebenheit der Vernunft und damit die Integration wie auch die Auflösung des Dings an sich hat erst der nachfolgende Idealismus getan.

Dieses Defizit überträgt sich auch auf seine Moralphilosophie, die er hier in Grundzügen anschließt. Die Moralphilosophie ist zusammen mit der Religionsphilosophie von Anfang an ein Hauptanliegen Reinholds gewesen. Das Buch beginnt (nach der Vorrede) mit der herausfordernden Feststellung: »Die Philosophie hat bisher weder allgemeingeltende Erkenntnisgründe für die Grundwahrheiten der Religion und der Moralität noch allgemeingeltende Erste Grundsätze der Moral und des Naturrechtes aufgestellt« (49). Da das Projekt Reinholds nun das ist, aus einem ersten Grundsatz die Gesamtphilosophie nach ihrer theoretischen und praktischen Seite herzuleiten, muss man erwarten, dass dies aus dem...

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