Attention, Balance and Coordination - das ABC des Lernerfolgs - Grundlagen der INPP-Methode

Attention, Balance and Coordination - das ABC des Lernerfolgs - Grundlagen der INPP-Methode

von: Sally Goddard Blythe

Hogrefe AG, 2021

ISBN: 9783456960937

Sprache: Deutsch

312 Seiten, Download: 5461 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

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Attention, Balance and Coordination - das ABC des Lernerfolgs - Grundlagen der INPP-Methode



|13|1  Fenster ins Gehirn


1.1  Einführung


Obwohl alles Lernen letztlich im Gehirn stattfindet, wird oft übersehen, dass das Gehirn über den Körper sensorische Informationen aus der Umwelt erhält und über ihn seine Erfahrungen mit der Umwelt ausdrückt. Die posturale Kontrolle spiegelt die Integration der Funktionen innerhalb des Zentralnervensystems (ZNS) wider und unterstützt die Funktionsfähigkeit der Verbindung zwischen Gehirn und Körper. Unreife oder Konflikte in den Gehirn-Körper-Funktionen beeinträchtigen die Fähigkeit des Gehirns, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und sich in organisierter Weise auszudrücken.

Eine Methode zur Beurteilung von Reife und Integrität der Funktionstüchtigkeit des ZNS ist die Überprüfung auf primitive Reflexe und posturale Reaktionen. Das Vorhandensein oder Fehlen von primitiven und posturalen Reflexen in wichtigen Phasen der Entwicklung bietet „Fenster“ in die Funktionsweise des ZNS, die es der qualifizierten Fachkraft ermöglichen, Anzeichen neurologischer Funktionsstörungen oder Unreife zu erkennen.

Ich hoffe, dass dieses Buch ein Verständnis dafür vermittelt, warum die frühkindlichen Reflexe wichtig sind und welche Funktionen sie in der frühen Entwicklung haben, aber auch, in welcher Weise sie sich auf Lernen und Verhalten sowie auf andere Aspekte der Entwicklung wie Körperhaltung, Gleichgewicht und motorische Fähigkeiten auswirken, wenn sie nicht zum richtigen Zeitpunkt in der Entwicklung integriert werden.

Die Reflexe und Reaktionen werden in den folgenden Kapiteln ausführlich beschrieben.

Es liegen immer mehr wissenschaftliche Beweise vor für die Theorie, dass körperliche Fähigkeiten das schulische Lernen unterstützen und auch an der emotionalen Regulierung und dem Verhalten beteiligt sind. Seit seiner Gründung im Jahr 1975 ist das Institut für Neuro-Physiologische Psychologie (INPP) in Chester Pionier in der Erforschung der Auswirkungen unreifer primitiver und posturaler Reflexe/Reaktionen auf Lernen und Verhalten, in der Entwicklung von Testverfahren zur Überprüfung aberranter Reflexe und verwandter Funktionen und in der Entwicklung einer spezifischen Methode zur wirksamen Intervention, der INPP-Methode.

Die in den letzten 30 Jahren sowohl unabhängig als auch vom Institut selber durchgeführte Forschung hat gezeigt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen unreifen frühkindlichen Reflexen, schulischem Underachievement und erhöhter Angst im Erwachsenenleben gibt und dass ein Interventionsprogramm, das direkt auf die Ausreifung und Integration primitiver und posturaler Reflexe/Reaktionen abzielt, positive Veränderungen in diesen Bereichen bewirken kann. Dieses Buch wird die zugrundeliegende Theorie, die Mecha|14|nismen, die Entwicklungsmarker und die Auswirkungen unreifer Reflexe bei älteren Kindern skizzieren, um Fachleuten, die im Bereich der Pädagogik und des Kindeswohls tätig sind, zu helfen, die Anzeichen neurologischer Funktionsstörungen und deren Auswirkungen zu erkennen. Das Buch wird auch interdisziplinäre Defizite untersuchen, die im derzeitigen System zur Identifizierung, Bewertung und Bereitstellung wirksamer Abhilfemaßnahmen bei Lern- und Verhaltensproblemen häufig vorkommen. In diesem Zusammenhang will das Buch eine Lanze brechen für einen neuen Beruf, der die gegenwärtigen Lücken schließen könnte: den Neuropädagogen/die Neuropädagogin. In Neuropädagogik Ausgebildete wären in der Lage, die neuromotorische Schulreife von Kindern zu überprüfen.

1.2  Neuromotorische Schulreife


Chronologisches Alter und Intelligenz sind nicht die einzigen Kriterien für den Lernerfolg. Ebenso wichtig für formale Bildung ist die neuromotorische Reife. Eine Überprüfung der motorischen Fähigkeiten eines Kindes wird regelmäßig im ersten Lebensjahr durchgeführt, aber wenn die Verantwortung für das Kind zum Zeitpunkt des Schuleintritts vom Bereich der Medizin (Hebamme, Kinderarzt und Mütterberatung) in die Pädagogik wechselt, wird sein Entwicklungsstand im Hinblick auf seine körperliche Entwicklung nicht routinemäßig beurteilt. Sobald ein Kind im Vereinigten Königreich mit dem Erreichen des 5. Lebensjahres in die Schule kommt, wird die körperliche Entwicklung nur dann überprüft, wenn medizinische Probleme auftreten. Überprüfungen innerhalb des Schulsystems konzentrieren sich eher auf Erziehungsprobleme oder sichtbare Symptome als auf die Untersuchung der zugrundeliegenden Ursachen.

Das INPP in Chester wurde 1975 von dem Psychologen Peter Blythe, PhD, mit dem Ziel gegründet zu untersuchen, ob physische Faktoren bei spezifischen Lernschwierigkeiten (SpLS) und bei einigen Angststörungen eine Rolle spielen könnten. In den 1970er Jahren entwickelten Peter Blythe und David McGlown zunächst Testverfahren, um Bereiche mit Funktionsstörungen zu identifizieren, und anschließend physische Interventionsprogramme, um die Funktionsstörungen zu korrigieren. Diese Vorgehensweise, nämlich die Untersuchung des neurologischen Entwicklungsstandes des Kindes und das anschließende körperlichen Interventionsprogramm, ist heute als die INPP-Methode der Entwicklungsförderung bekannt.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Symptome von SpLS die Tendenz haben, diagnostische Grenzen zu überschreiten, wobei verschiedene Kategorien eine Reihe von Symptomen gemeinsam haben (Komorbidität). Dies gilt insbesondere für viele der Symptome von Legasthenie, entwicklungsbezogener Koordinationsstörung, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) und einigen Aspekten von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Eine Reihe von gemeinsamen Symptomen resultieren aus einer ZNS-Unreife und werden manchmal als neurologische Dysfunktion oder neurologische Entwicklungsverzögerung bezeichnet.

1.3  Was ist neuromotorische Unreife?


Die neuromotorische Funktionsfähigkeit liefert einen Hinweis auf die Reife der ZNS-Funktionen. Sie steht auch in Verbindung mit der Funktionsfähigkeit der vestibulären, propriozeptiven und posturalen Systeme, die zusammen eine stabile Grundlage für Zentren bieten, die an der Okulomotorik und im Weiteren an der visuellen Wahrnehmung beteiligt sind. Personen mit neuromotorischer Unreife (NMU) haben häufig Schwierigkeiten mit damit verbundenen Fähigkeiten wie Gleichgewicht, Koordination und visuelle Wahrnehmung, was sich auf das Verhal|15|ten und die schulische Leistung von Kindern auswirken und sich bei Erwachsenen als chronische Angst und emotionale Sensibilität manifestieren kann.

Eine Methode zur Identifizierung von Anzeichen einer NMU ist die Verwendung von Standardtests zur Beurteilung der Persistenz primitiver Reflexe, der Entwicklung posturaler Reaktionen und weiterer Tests auf Soft Signs neurologischer Funktionsstörungen. Soft Signs, die früher als zu pauschal verworfen wurden, um für diagnostische Zwecke nützlich zu sein, sind diskrete neurologische Anzeichen, die auf eine unspezifische zerebrale Dysfunktion hindeuten.

Das Vorhandensein oder Fehlen primitiver Reflexe in Schlüsselstadien der Entwicklung sind anerkannte Anzeichen für ein reifes ZNS. Primitive Reflexe entwickeln sich intrauterin, sind beim voll ausgetragenen Neugeborenen präsent und werden in den ersten 6 Monaten des postnatalen Lebens gehemmt, wenn sich Verbindungen zu höheren kortikalen Zentren und Frontalbereichen des Gehirns entwickeln. Primitive Reflexe werden überlagert und im Laufe der normalen Entwicklung in reifere Verhaltensmuster integriert, wenn sich posturale Reaktionen und Muskeltonus entwickeln. Die Ausreifung der posturalen Reaktionen kann bis zu dreieinhalb Jahre dauern.

Primitive Reflexe bleiben bei bestimmten pathologischen Zuständen erhalten, z. B. bei einer Zerebralparese. Bei einer Zerebralparese persistieren die Reflexe infolge einer Hirnschädigung oder einer anomalen Entwicklung, die pränatal, im Verlauf der Geburt oder postnatal aufgetreten sein kann [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7]. Eine Schädigung des unreifen Gehirns stört den normalen Reifungsprozess und damit einen vorhersehbaren, geordneten Entwicklungsablauf. Das wiederum führt zu mangelnder Hemmung der primitiven Reflexe. Die Folgen: Ein verlängertes Beibehalten der primitiven, undifferenzierten Bewegungsmuster, die für das...

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